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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

31. 1. 2015 - 18:55

Eine Wirklichkeit, die keiner je erblicken muss

Tag drei der transmediale. Ich bin ganz baff, wie selbstbewusst hier die Welt erklärt wird. Und bevor ich mich in den nächsten Tagen der Aufarbeitung widme, hier ein paar Aufwärmgedanken.

transmediale

  • Noch bis Sonntag Abend im Berliner Haus der Kulturen der Welt, 10- 21 Uhr
  • Unaufhaltsam: Christiane Rösingers Gedanken zur transmediale

Am ersten Tag der Berliner Medienkunst- und Theorie-Konferenz Transmediale war ich noch in der Selbst- und Themenfindungsphase. Um was geht es hier eigentlich? "Capture All" ist das Motto, sowohl eine Anspielung auf den Versuch, alles an Informationen abzugreifen, als auch selbst ein Gefangener dieser Vorgänge zu sein. Der Full Take der Geheimdienste, die komplette Transkription eines Datenverkehrs und der daraus folgenden Datenauswertung ist damit ebenso gemeint, wie die parallele kapitalistische Verwertungslogik der Daten: Alles, was ein Datum sein kann, hat einen Wert. Und weil wir noch glauben, dass diese Rohdaten schuldlos sind und unideologisch strukturiert, folgen wir diesem Imperativ: Capture All, mehr Daten, mehr Kontrolle, mehr Wissen, mehr Macht. Das Internet erscheint so als Ausbeutungsmaschine, die unsere gesamten Lebenswelten erobert hat.

Damit ist vielleicht ein wenig der Grundkonflikt beschrieben, den die transmediale, wie immer ein wenig verspätet, aufnimmt - und in dessen Ableitungen und Widersprüchlichkeiten und Grundlagen ich hoffentlich ein wenig tiefer eintauchen kann in den nächsten Tagen.

Und obwohl so viel hier schon gesagt wurde: Persönlich gibt es schon eine frühe Einsicht und die Gewissheit, mal wieder am richtigen Ort zu sein. Denn wie kann es sein, dass diese Themen hier auf einer Kunstveranstaltung so viel interessanter gedacht werden können als in den anderen üblichen Foren: den rein politischen, aktivistischen und akademischen Diskursen? Mir scheint es so, als ob der ästhetische Ansatz eine frühe Reizreaktion ist auf ein - stimmt natürlich gar nicht - über uns hereingebrochenes Regime, das in der seltsam dichotomen Abwesenheit und Allgegenwärtigkeit von Politik und Machtdiskursen selbst Macht über unsere Freizeit, Arbeitssphäre und Kultur entfalten konnte. Oder einfacher: Man spürt diese neue Welt, mehr als dass man sie versteht. Und mehr, als sie theoretisch beschrieben werden könnte. Vielleicht auch, weil die technische und technologische Dimension des ganzen einen kritischen Diskurs bislang behinderten. Und weil die Künstler diesen Spagat aus Idee und Material eh ständig vollziehen, ließen sie sich davon nicht behindern - nur so 'ne Idee.

Der für mich zweite größte Aha-Moment: Immer wieder kommt hier die Forderung auf, Algorithmen als Akteure zu verstehen. Nicht der Algorithmus selbst ist interessant, sondern das, was er schafft. Non-human agency, non-human agents wird das hier genannt. Und das passt natürlich hervorragend zum spekulativen Realismus, mit dem sich Kunst und Philosophie aus einer angeblichen postmodernen Sackgasse befreien wollen. Es gibt eine Wirklichkeit jenseits der menschlichen Wahrnehmung, weil wir nicht mehr alleine das Sagen haben auf diesem Planeten. Algorithmen, also Maschinen, erschaffen unsere Welt wie wir selbst. Es gibt eine Wirklichkeit, die kein Mensch je erblicken muss, damit sie wahrhaft ist. Das ist wiederum eine Antwort auf den naiveren, transzendentalen Ansatz, dass man die algorithmischen Ergebnisse als Naturgewalt oder Göttlichkeit hinnimmt. Man muss die Algorithmen ernst nehmen, weil sie neue soziale Tatsachen schaffen, bis tief in unseren Normen- und Wertekosmos hinein. Jetzt kenne ich mich viel zu wenig mit dem neuen Realismus aus, um dazu ernsthaft etwas sagen zu können. Aber vielleicht kann ich es auch ganz handfest versuchen und den Spruch von den nichtmenschlichen Akteuren vereinfachen: Die Automaten haben sich verselbständigt. Jetzt müssen wir mit dieser neuen Realität umgehen.

Leider habe ich den zweiten Tag verpasst, weil ich etwas zu lange im Berghain den Club transmediale gefeiert habe und mir am nächsten Tag der Rechner kaputtging. Aber jetzt am dritten Tag verdichtet sich das Bild: Besang die letztjährige transmediale noch den Afterglow des technischen und technologischen Aufbruchs und damit das Ende des Internets als Zukunftsversprechen, geht die jetzige von dieser neuen Welt einfach aus. Statt Entwicklungsmöglichkeiten geht es nun um den Umgang damit und die Abwehr.

Und so hab' ich den für mich bislang interessantesten Gedanke der transmediale in einem Vortrag von Tiziana Terranova aufgeschnappt: Wenn dieser neuen Welt und diesem Internet der Kapitalismus und das neoliberale System eingewoben ist, wie sähe dann eine zum Beispiel kommunistische Alternative aus? Und darum geht es hier nämlich auch in den Workshops und Einwürfen: Nur "her mit dem neuen Internet!" reicht nicht. "Her mit neuen Paradigmen" müsste es heißen. Das geht dann so: Wie können soziale Netzwerke nicht als soziale Fabrik gedacht werden, sondern als dem Allgemeingut nützliche Maschinen. Solche, die dem sozialen System, aus dem sie Mehrwert abschöpfen (Konversion von sozialen Interaktionen in Werte, deren Anhäufung und Veräußerung) wieder Werte zurückspielen.

Eine marxistische Kritik am kapitalistischen Paradigma, nach dem das Internet benutzt wird - das ist auf keinen Fall neu, aber erscheint plötzlich ganz handfest. Oder eher: die Zeit der Kritik ist vorbei, jetzt muss gehandelt werden. Denn diesem Materialismus hat es bislang einfach an Material gefehlt. Diese technische Welt, die da Subjekte hervorbringt, war einfach nicht verstanden. Möglicherweise durch den Snowden-Schock aber scheint das System durchleuchtet. Auf dieser Transmediale hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, dass es einen Konsens darüber gibt, wie das Internet und die vernetzte Welt funktioniert. Dass also die Kritik an Substanz gewonnen hat und konkrete Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden können - weil man denkt zu verstehen, was für Subjekte die Internetwelt hervorbringt und wie sich das entwickeln könnte.

Und das ist vielleicht der letzte Aspekt von Capture All, dem Titel der Transmediale: Dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, sich das Internet zu schnappen. Und zwar nicht als technische Infrastruktur, sondern als Denke. Die Zeit, in der nur das kapitalistische Argument zählte, sollten echt vorbei sein. Jetzt fehlt es nur an aufgeklärten Entwicklern und Entwicklerinnen, die neue soziale Systeme im Netz aufbauen, die nach neuen Paradigmen funktionieren und so deren Durchsetzung unterstützen.

transmediale

https://www.flickr.com/photos/transmediale/

transmediale Opening Night (Bild: transmediale/CC BY-NC-SA 2.0)

Wie es Tiziana Terranova in einem Nebensatz konkretisierte: „Die Frage ist immer, ob soziale Netzwerke böse sind. Für mich ist Facebook der queerste Ort im Internet; nur Anonymous könnte noch queerer sein.“ In meiner Übersetzung: Facebook ist viel zu toll, als dass man es den Arschlöchern überlassen dürfte.

Aber wie gesagt: Alles noch sehr lauwarm und ersteindrücklich. Ich hoffe, nach der Transmediale noch ein paar klarere Gedanken an konkreten Projekten festmachen zu können. Und mich interessiert natürlich auch, ob jemand von Euch hier ist/war - und wie die Transmediale auf Euch wirkte.