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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

29. 1. 2015 - 17:19

"Selbstporträt mit Flusspferd"

Arno Geiger widmet sich in seinem neuen Buch der ersten Trennung: "Wo sind die glücklichen Paare? Da bleibe ich lieber allein." Sein lässigster Roman.

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"Hedonism" von Skunk Anansie ist nicht der Song, den man nach einer Trennung hören will. Weder heute, noch 2004. Damals liegt der 22jährige Julian daheim auf der Couch, in den Nachrichten wird über Terroranschläge berichtet und Judith hat sich eben von ihm getrennt. Radiohörend will er vom Weltschmerz abgelenkt werden. Und dann spielen sie "Hedonism":

"I wonder what you're doin' now … I wonder if you think of me at all ... Zum Ende der Schulzeit hatte ich dieses Lied manchmal nonstop auf meinem CD-Player gespielt, das lohnte sich allein wegen des Riffs am Anfang. Jetzt deprimierte es mich nur. Es hat eh alles keinen Sinn, sagte ich mir, alles ist sinnlos. Was soll es überhaupt, dass ich lebe? Es ist eine dreckige, verhunzte und mitleidlose Welt, und ich selber bin ein Stümper. Bestimmt fehlt mir das Talent zum Glücklichsein, so ist es und bleibt es für alle Zukunft. – Dieser Gedanke versetzte mich zuerst in Panik, dann machte er mich todunglücklich. Auch heute noch, wenn ich daran zurückdenke, habe ich Beklemmungen. Es war schrecklich."

buchcover arno geiger selbstportrait mit flusspferd

Hanser Verlag

Arno Geiger: Selbstportät mit Flusspferd, Hanser 2015 - ab 2.2. im Handel erhältlich

Es gäbe praktisch keine Bücher über die erste Trennung, erklärt Arno Geiger im Interview. Dabei sei die erste Trennung so einschneidend, prägend und wichtig. "Das ist ein echter Punch. Da fehlt einfach komplett das Besteck, damit umzugehen." Der Hilflosigkeit und Verlorenheit, die mit der ersten Trennung einhergehen, widmet sich Arno Geiger in seinem neuen Roman "Selbstporträt mit Flusspferd".

Der Roman setzt 2014 in einer tierärztlichen Notfallambulanz ein. Eine Frau bringt einen verletzten Uhu. Der Arzt erkennt in der Frau sofort seine erste große Liebe. Er erinnert sich an den Sommer der Trennung vor zehn Jahren.

Damals war er 22, studierte an der Vetmed und betreute die Ferien über ein Zwergflusspferd im Garten eines Professors. Seine erste große Liebe, Judith, hatte ihn eben verlassen. ("Ich habe dir die Drecksarbeit abgenommen.")

Kurze Zeit später lernt er Aiko, die Tochter des Professors, kennen. Und so ist er hin- und hergerissen im Spannungsfeld zweier Frauen: der bodenständigen, selbstsicheren, verlässlichen Judith und der mysteriösen, unzugänglichen, eigenwilligen Aiko. Julian wird von existentiellen Sorgen und Ängsten geplagt, sucht seinen Platz in der Gesellschaft und der Welt. Und die Welt ist alles andere als sicher.

Rettet die Wale

"Selbstporträt ist eben nicht Selfie. Also als reine Bekundung einer Anwesenheit oder so, sondern es ist eben Selbstreflexion", erklärt Arno Geiger

Im schicksalhaften Sommer 2004 finden in Athen die olympischen Sommerspiele statt, wenig später ereignet sich in Russland im Nordkaukasus die Geiselnahme auf die Schule in Beslan mit mehr als 300 Toten. Gustav singt damals "Rettet die Wale".

Diese zeitliche "intime Distanz" war für Arno Geiger wichtig. Bedauerlicherweise könne man den Anschlag in Beslan austauschen mit dem Anschlag auf die Schule in Peshawar im letzten Dezember oder auch mit den Anschlägen in Paris. "In Wahrheit hat sich nichts geändert. Aber wenn ich heute über die Anschläge in Paris schreiben würde, ich glaube, dann wäre ich da zu emotional und zu involviert." Das wäre nicht die richtige Herangehensweise zum Schreiben. Aber 2004 sei letztlich die selbe Epoche. "Das ist die Epoche in der wir leben. Eine Epoche der Ratlosigkeit, der Hilflosigkeit, in der alle so ein bisschen Angst atmen."

Der Soundtrack zum Roman -
zu hören in der FM4 Homebase am Donnerstag, 29. Jänner

  • Skunk Anansie - "Hedonism"
  • Gustav - "Rettet die Wale"
  • Lou Reed - "Perfect Day"

Perfect Day

Es ist immer wieder erstaunlich, wie Arno Geiger den Protagonisten ehrlich auf Augenhöhe folgen kann, ohne sich über sie lustig zu machen oder über sie zu urteilen. Er versetze sich einfach gern in andere Menschen und als solche sieht er seine Charaktere. In einem seiner Lieblingssong "Perfect Day" besingt Lou Reed dieses Gefühl "to be someone else". Diese Wandlungsfähigkeit bedeutet tatsächliches Glück für Arno Geiger.

So lässig wie Bob Dylan

"Selbstporträt mit Flusspferd" scheint nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich und stilistisch der "jüngste" Roman von Arno Geiger zu sein. "Mein jüngster und mein bester", lacht Arno Geiger. Das entspräche seinem Kunstverständnis, dass man auch einen lässigen Umgang mit der Substanz haben kann, ohne einen bildungsbürgerlichen Kunstanspruch vor sich herzutragen. "So zu schreiben, wie Bob Dylan Gitarre spielt: einfach lässig. Da bin ich definitiv einen Schritt weiter gekommen." So ist es.

Es gäbe praktisch keine Bücher über die erste Trennung stimmt so nicht mehr. Es gibt den großartigen Roman "Selbstportät mit Flusspferd".