Erstellt am: 29. 1. 2015 - 18:56 Uhr
Der tiefe Blick ins finstere Tal
Natürlich waren alle überrascht und haben überhaupt nicht damit gerechnet, dass sie einen Preis bekommen (obwohl die Wahrscheinlichkeit bei jeweils drei Nominierten pro Kategorie gar nicht sooo klein ist). Die ersten beiden Preisträgerinnen, die Kostümbildnerin Natascha Curtius-Noss und die Maskenbildnerin Helene Lang, die jeweils für ihre Arbeit am Film „Das Finstere Tal“ ausgezeichnet wurden, waren derartig überrascht, dass sie sich selbst auf der Stelle vergessen haben und ausschließlich den anderen, allen voran dem Regisseur Andreas Prochaska, überschwänglich dankten.
anna k laggner
Ohne ihn wären sie ja gar nicht da.
Und was, wenn doch?
Dass sie selbst etwas geschafft haben, genäht, gewerkt, gekämmt, geschminkt, ist ihnen nicht der Rede wert. Warum sprechen sie nicht über ihre Leidenschaften, darüber, wie sie zu dem Beruf gekommen sind oder einfach nur ÜBER SICH, so wie es bald nach ihnen der Preisträger für Beste Musik tut. Die Eigenschaft der Frauen, und damit erweisen sie sich einen Bärendienst, so zu tun, als wäre es nur dank Erweckungsmagikern möglich, dass sie etwas schaffen, hält sich ungemein zäh. Vermutlich nicht zuletzt, weil sich Andreas Prochaska den Mantel des Erweckungsmagikers mit großer Selbstverständlichkeit umhängen lässt. Und das kann man ihm auch nicht verdenken.
Der Preisträger für Beste Musik (Matthias Weber), ebenfalls für seine Arbeit am Film „Das Finstere Tal“ ausgezeichnet, erzählt uns, dass er schon als Kind Österreich liebte und grüßt seine Frau in Los Angeles, die dort auf die Kinder schaut. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten: all das war nur der erste Blick in ein sehr finsteres Tal.
Eine erste Ahnung vom Bodensatz der Branche hat uns der Kameramann Thomas Kiennast verschafft, ausgezeichnet - wir waren nicht mehr überrascht – für „Das Finstere Tal“. Es war noch rührig, dass er zuerst seine Tochter erwähnt hat („sie ist heute mit mir hier und feiert ihren zehnten Geburtstag“), dann aber gings Schlag auf Schlag. Er bedankt sich jovial bei „seinen Jungs“ für die Mitarbeit, und geht daraufhin auf die Schwierigkeiten, die Belastungen, die Herausforderungen bei der Filmarbeit ein.
„Die Männer im Saal wissen, wovon ich spreche.“ Einer Frau, der Cutterin Karin Hammer blieb der Mund nicht vor Entsetzen offen stehen, sondern sie hat das einzig richtige gerufen, nämlich: „Wir Frauen wissen das auch!“ Dass er trotz seiner Ankündigung, darauf noch zu sprechen zu kommen, mit keinem weiteren Wort erwähnt hat, dass auch Frauen mit den Schwierigkeiten in der Filmbranche arbeiten, zeigt, dass Thomas Kiennast es nicht sieht.
Wie groß das Wissen um die Herausforderung tatsächlich ist, beweist etwas später die Produzentin Gariele Kranzelbinder, die wörtlich sagt, in dieser sehr schweren Zeit bestärke sie der Preis (Bester Dokumentarfilm) weiter zu machen.
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die junge Regisseurin Magdalena Lauritsch, die den Preis für den Besten Kurzfilm verliehen bekam (worüber sie natürlich überrascht war – warum das nie zum running gag wurde?), die anwesende Filmbranche mit nachdrücklichem Enthusiasmus darum gebeten hat, den Nachwuchs aus der Filmakademie wahr zu nehmen.
Fünf Scheibtruhen voller Sargrosen
Wie zur Besänftigung aller musste dann der gesamte Saal aufstehen und Erni Mangold ein Geburtstagsständchen singen, die weder überrascht war noch sich für die Auszeichnung als Beste Hauptdarstellerin im Film „Der letzte Tanz“ bedankte (dafür sei sie zu alt), dafür aber fünf goldene Scheibtruhen voll weißer Rosen bekam, was, wie sie richtig bemerkte, aussah wie für eine Beerdigung. Dem noblen Anlass entsprechend waren ja auch 90% der BesucherInnen schwarz gekleidet (wenn man auch bei Begräbnissen weniger hohes Schuhwerk trägt). Dann war´s aber sehr schnell wieder Schluss mit lustig (daran konnte auch der Witz über eine Ziege, die einen Film frisst, dargebracht in theatralischer Breite von Moderator Karl Markovics, nichts ändern). Denn zum Ende der Veranstaltung, dem dramaturgischen Höhepunkt, nämlich der Auszeichnung für den Besten Spielfilm, hat sich das Wesen der Branche in vollem Umfang offenbart. Wenig überraschend wurde „Das Finstere Tal“ als Bester Spielfilm ausgezeichnet und Regisseur Andreas Prochaska hat sich bei seiner Frau Astrid bedankt und damit den Blick in den Abgrund ewiggestriger Geschlechterverhältnisse frei gegeben. Prochaska sagte „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau“. Und dass ja immer alles so chaotisch sei beim Filmemachen und man habe viel um die Ohren und in dem ganzen Chaos, da sei es wichtig, dass eine starke Frau zu Hause sei, um das Chaos zu beseitigen. Also Danke Astrid.
Man sieht, alle bedanken sich, die Preisträger genauso wie die Preisträgerinnen. Es geht um die Haltung, mit der man das tut. Aufrecht, wie die Cutterin Karina Ressler, die über die intellektuellen und emotionalen Entdeckungen in der Zusammenarbeit mit Jessica Hausner spricht. In stolzer Rührung, wie der Schauspieler Murathan Muslu, dem bei seinem Dank an den Regisseur Umut Dag die Stimme versagt, der dann aber eine Zeile aus einem selbst geschriebenen Song zitiert. Oder zu vermitteln, dass man nur dank anderer auf dieser Bühne steht. Davor, das sei gesagt, sind auch Männer nicht gefeit, aber aufgrund ihrer Sozialisierung passiert es seltener. Und es gibt auch Männer, die im Zirkel ihrer ganz großen Artgenossen nicht mitspielen können oder wollen. Diese Vielfalt an Haltungen hat auf der Bühne im Wiener Rathaus gefehlt.