Erstellt am: 29. 1. 2015 - 15:51 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 29-01-15.
#sportpolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Red Army, das bereits auf der Viennale zu sehen war, läuft morgen in einigen österreichischen Kinos in Hockey-Hochburgen an - im Volkskino Klagenfurt, Cinematograph Innsbruck, Schubert und Kiz Royal in Graz, Dieselkino in Kapfenberg und Votivkino in Wien.
Übrigens führt die nächstwöchige FM4-Filmpremiere Foxcatcher per Spielfilmhandlung in ein vergleichbares Sport/Propaganda-Milieu.
Aufblende
Die Rote Armee war der schlecht ausgerüstete aber vielköpfige Heeresverband der Sowjetunion, der vor 70 Jahren Auschwitz befreit hat (und drei Monate später dann Wien). Später wurde der sowjetische Armeesportverein (ZSKA Moskau) so genannt, vor allem im Kalten Krieg, der Propaganda- und Bedrohungsschlacht zwischen USSR und USA.
Titel
Als es am Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen in den 70ern zu ersten direkten, als Kampf der Ideologien gehighlighteten Exhibitions zwischen den besten nordamerikanische Eishockey-Vereinen und der mit dem ZSKA identen sowjet-Nationalmannschaft kam, labelte das US-Fernsehen den Gegner als Red Army.
Ein Propaganda-Schachzug in Stil von Rocky Balboa gegen Ivan Drago.
Bloß: es ging nach hinten los. Die "Russen" zauberten ein vom Gedanken an die Kraft des Kollektivismus beflügelten künstlerisches Kombinationsspiel aufs Eis, gegen das das individualistisch geprägte nordamerikanische Eishockey wie einfältiges Hillbilly-Gestrampel aussah.
1. Akt
Genau da setzt Red Army, der Film von Gabe Polsky an. Wie viele seiner Generation (weltweit) ist der Chicagoer von der tänzerischen Eleganz und dem Spielwitz des ideologischen Klassenfeindes fasziniert. Auch später noch, im Wissen um den brutalen Drill und die Propaganda, hat das alte Sowjetteam, die Red Army ihren Ruf als beste Eishockeymannschaft aller Zeiten weg.
Der Protagonist
Slava Fetisov ist ein unsympathischer Mann: ein derbe Sprüche klopfender Machtvoller, der - so wie die gesamte Putin-Generation - eben noch in der alten Sowjetunion sozialisiert wurde und entsprechend die schlechten Eigenschaften des alten Kommunismus und des neuen Kapitalismus verbindet.
Fetisov war auch der beste Verteidiger aller Zeiten; und der langjährige Kapitän des Sbornaja, der Red Army.
Fetisov ist der Protagonist von Polskys Doku - entlang seines persönlichen, von zahllosen Hakenschlägen und Wirrnissen begleiteten Lebens erzählt Polsky die Geschichte ums Entstehen der Legende.
2. Akt
Fetisov, der bauernschlaue Muffelkopf lässt das zu, weil Polsky als Sohn russischer Einwanderer die Seele von Hockey kapiert hat; und sich auch durch seine Mätzchen nicht nervös machen lässt. Dafür lässt er ihn nahe rankommen: meist ist das, was Fetisov auf eine Frage nicht sagt, wichtiger als das, was er von sich gibt.
Es kommen auch Tormann Vladislav Tretjak, Fetisovs Abwehrpartner Kasatonov und der bereits vom nahenden Tod gezeichnete Stürmer Vladimir Krutov zu Wort, die gemeinsam mit Larionov und Makarov die beste 1. Linie, also die beste Grundaufstellung, die jemals auf diesem Planeten zusammen Hockey spielten, bildete. Und Umfeldfiguren aus Verband, Geheimdienst, Politik. Hockeygrößen aus den USA und Kanada, in deren NHL Fetisov und andere dann nach der Perestroika spielen durften.
Rückblende
Fetisov erzählt von der Basis, die der große Eishockey-Lehrer Anatoli Tarassov legte, der den Talenten Schach und Ballett beibringen ließ um sie zum Besonderen zu befähigen, Fetisow erzählt vom Monster Viktor Tihkonov, dem Schleifer im direkten Auftrag des Zentralkomitees des Staatspartei, Fetisov erzählt von den unterschiedlichen Stilen und Anforderungen für Menschen wie Sportler im damals noch weit auseinanderliegenden Osten und Westen, Fetisov erzählt von seinem Besuch beim Verteidigungsminister Jasov (dem späteren Putschisten gegen Gorbachov 1991), seiner Isolation und der Gefahr in einem sibirischen Lager zu landen. Polsky erzählt von Fetisovs Aufstieg bis zu Putins Sportminister
3. Akt
Die Szenen des traumwandlerischen Hockeys mit dem sich Fetisov-Kasatonov-Makarov-Larionov-Krutov zu allen erdenklichen Titeln und in die Erinnerungsspeicher aller Fans eines fantasievollen Teamsports spielten, sind dünn gesät in dieser wuchtigen und gleichzeitig leichterhand erzählten Doku. Da dominiert die ganz private Tragik dahinter: die Enge des Sowjetsport-Drills, der Chauvinismus auf beiden Seiten, die schrecklichen Frisuren und getötete Freundschaften wie die zwischen Fetisov und Kasatonov. Die Parteioffiziellen zwangen Fetisovs besten Freund dazu, sich in der Stunde größer Not von ihm abzuwenden. Beide können heute noch nicht über diese Zeit sprechen. Und auch als sie nebeneinander auf einer Ehrentribüne stehen (und das, weil der Minister dem alten Freund einen Vize-Irgendwas-Job verschafft hat) steht ein Eisblock zwischen ihnen.
Schlussroller
All das kann die Perfektion, die die Red Army in ihren Sport gebracht hat, nicht verhüllen; der Zweck heiligt die Mittel nie ganz. Und so ist die Hommage, mit der Polsky da den historisch schönsten Ausschnitt seines Lieblingssports belegt, eine zwischen Melancholie und Trauer, ganz ohne Verklärung und Zukunfts-Euphorie. Also auch ein Portrait des heutigen Russland.