Erstellt am: 28. 1. 2015 - 18:33 Uhr
Stürme der Herzen
Von der cartoonhaften Überzeichnung als Stilmittel in Film und Fernsehen, vom selbstreferenziellen Augenzwinkern, von ironischen Meta-Spielchen ist man in den meisten Fällen längst schon gut ermüdet. Jaja, Trash, haha. Wir wissen, dass wir wissen, dass wir kapiert haben, dass das alles ja gar nicht so gemeint ist.
Die US-Show "Jane the Virgin" ist soeben in der Mitte ihrer ersten Staffel angekommen und hat bislang mit schwindelig machender Luftigkeit gezeigt, wie das gehen kann - den Liebes-Pomp, die wilden Lenden, die Intrigen des schmalztriefenden Formats "Telenovela" mit Respekt vor dem Sujet zu persiflieren und dabei selbst Telenovela zu sein.
The CW
Der Plot von "Jane the Virgin" ist also schon weit an den Haaren herbeigezogen, das muss in diesem Falle so sein, man soll sich jedoch von der furchterregenden Prämisse nicht abschrecken lassen, diese - man muss es so sagen dürfen - bezaubernde Show zu sehen.
Von Salsa, Conga-Musik und Latin-Softrock begleitet lernen wir den Schauplatz Miami einmal mehr als vor Karibik-Verve und bunter Cocktail-Geilheit vibrierende Großstadt kennen, neben funky Lebensfeeling spielen freilich der Glauben und speziell der Katholizismus eine definierende Rolle: Titelfigur Jane wohnt mit ihrer junggebliebenen Mutter Xo und ihrer Großmutter Alba in einem gemeinsamen Haushalt, nicht zuletzt weil Xo seinerzeit noch im Teenageralter Mutter geworden ist, drillt die fromme Oma Alba Enkelin Jane auf Enthaltsamkeit bis zur Ehe.
Jane ist mit 23 Jahren noch Jungfrau, Boyfriend und baldiger Verlobter Michael, ein wohlerzogener Cop, macht die Vereinbarung auch nach zweijähriger Beziehung mit - komplett keusch bleiben müssen die beiden ja nun wieder nicht. Während eines Routine-Besuchs beim Arzt kommt es gleich in Folge 1 zu einem groben Fehler: Aufgrund einer Verwechslung wird Jane irrtümlich künstlich befruchtet und trägt nun das Kind eines fremden Mannes in sich. Es entspinnen sich die erwartbaren emotionalen Komplikationen: Freund Michael will nicht als Vater des Kindes eines anderen fungieren, Jane sieht sich zwischen Zweifeln und Glücksgefühlen hin und hergeworfen.
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Mit welcher Leichtigkeit nun "Jane the Virgin" diese eventuell zum Augenrollen animierende Ausgangslage jongliert, sucht Vergleichbares. Was gern behauptet wird - hier ist es wahr: "Jane the Virgin" findet einen eigenen Ton, die Show kokettiert zwar ausdrücklich mit Campiness, ist albern und quietschbunt lächerlich, balanciert den Klamauk doch stets mit ganz großem Herzen für die Figuren und ernsthaft rührendem Drama aus.
Die Turbulenzen kochen hoch: Zufälliger Samenspender und Kindsvater von Janes Baby ist der snobbige Gigolo Rafael, ein Erbe, Hotelbesitzer mit Luxusbody, den er gern im halb geöffneten Hemd in Lachstönen durch die Welt paradiert. Klarerweise arbeitet Jane just in Rafaels Hotel als Kellnerin und hat den schicken Schleimbeutel in jugendlicher Schwärmerei vor Jahren einmal geküsst. Er hat das längst vergessen.
Die Vernunft sagt Jane, dass es wohl schlauer wäre, ihr Baby in andere Hände zu geben, Superdouche Rafael gelobt moralische Besserung und möchte sich mit seiner Ehefrau Petra um das Kind kümmern. Petra betrügt derweil Rafael mit dessen besten Freund und hat es nur auf das Hotel-Vermögen abgesehen. "Petra" übrigens, das ist nur eine Tarnidentität, diese Frau birgt ein finsteres Geheimnis.
Die Plottwists überschlagen sich, ein Mordfall muss geklärt werden, die Jagd auf einen Drogenbaron führt in rätselhafte Gefilde, es kommt zu interfamiliären Reibereien, da Mutter Xo ihrer Tochter Jane deren Vater bislang verschwiegen hat. Wie sich herausstellt, handelt es sich hier um den in der Realität der Show weltberühmten Telenovela-Star Rogelio de la Vega: ein graumelierter, gockelhafter Schwiegermutterschwarm, der sich nur allzu gern im eigenen Glanz sonnt, ein eitler, naiver, jedoch wohlmeinender Galan, der sich freut, nun endlich eine Beziehung zu seiner Tochter aufbauen zu können und auch das Feuer zwischen ihm und Xo neu entflammen möchte.
Dieser Rogelio ist in "Jane the Virgin" die herrliche Quatschfigur, er kann auch in Privatsituationen bloß noch mit antrainierten, übertriebenen Telenovela-Gesichtsausdrücken agieren und muss sich selbst in jedem zweiten Satz seines Ruhms und seines Talents versichern, das ihm der große Gott geschenkt hat. Dazu kommt ein unsichtbarer, allwissender Erzähler aus dem Off, der die Handlung von "Jane the Virgin" erläutert und mit persönlichen Kommentaren würzt. Er tut dies mit spanischem Akzent, im Latin-Lover-Tonfall.
"Jane the Virgin" kombiniert die Quirkiness von "Arrested Development" mit dem Pathos von "Revenge" und der Wärme und dem schönen Schmelz von "Dawson's Creek". Dass der Seiltanz großartig glückt, ist nicht zuletzt dem Ensemble zu danken, das suave zwischen Subtilität und genau dosiertem Overacting durch die Serie gleitet. Allen voran Gina Rodriguez, die für ihre Rolle der Jane kürzlich den Golden Globe erhalten hat. Witz, der sprüht, und leise Spannung, das Kribbeln auf unserer Haut, das Stechen in unserer Brust, eine Erscheinung, ein kleines Wunder, mit oder ohne Gott.