Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Jochen Distelmeyers erster Roman "Otis""

Martin Pieper

radio FM4

Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

5. 4. 2015 - 06:35

Jochen Distelmeyers erster Roman "Otis"

Das werden harte Zeiten für Blumfeld-Fans, prophezeit Martin Pieper, der das Buch schon gelesen hat.

Im Sumpf

Jochen Distelmeyer ist am Ostersonntag ab 21 Uhr bei den Sumpfisten Thomas Edlinger und Fritz Ostermayer zu hören und im Anschluss für 7 Tage on Demand.

Weiterlesen

Literaturkritiken und Buchempfehlungen auf

Als Blumfeld in der Szene Wien 2007 ihr vorläufig allerletztes Österreichkonzert gespielt haben, bin ich noch zu Jochen Distelmeyers Autogrammstunde gegangen, um mir die "Verbotene Früchte"-Stofftasche signieren zu lassen. Und dann hab ich zu ihm gesagt: "Bitte weiter Musik machen und keine Gedichtbände schreiben." Distelmeyer hat gelacht und genickt, und jetzt ein paar Jahre später ist die Situation wie folgt: Blumfeld waren 2014 doch wieder auf Tour, um ihr altes "L’etat est moi"-Album wiederaufzuführen und dieser Tage erscheint tatsächlich ein erstes Buch von Jochen Distelmeyer. Immerhin kein Gedichtband, seufze ich erleichtert, um den knapp 300 Seiten dicken Roman "Otis" aufzuschlagen.

Jochen Distelmeyer, Heavy

Jochen Distelmeyer

Aus dem Seufzen bin auch während der Lektüre nicht mehr herausgekommen. Schon als Blumfeld-Fan war der Leidensdruck mitunter hoch. Wie oft habe ich den Schwenk der Band von Politik und Lärm zu Liebe und Äpfeln verteidigen müssen. Dazu die ewigen Klischees vom "Brillenschlangen-Gymnasiasten-Pop", den wahlweise zu verschwurbelten, zu kitschigen oder zu simplen Songtexten. Und doch war zumindest für meine Fanseele jeder ästhetische Move von Distelmeyer nachvollzieh- und argumentierbar. Und nicht wenige meiner aller-, allerliebsten deutschsprachigen Songs sind von ihm nicht nur geschrieben, sondern vor allem auch herrlich interpretiert worden. Und jetzt also "Otis". Der erste Roman, der im Berlin des Jahres 2012 spielt und eine Hauptfigur namens Tristan Funke durch einen sehr berlinerischen Alltag begleitet. Das ist jetzt aufs erste nichts, wo ich in Euphorie ausbreche ob der Originalität des Settings, aber auch noch nichts, vor dem ich schreiend davon laufe.

Odysseus in der Gypsy Bar

Der Roman beginnt mit Berliner Wohlfühlwetter, Kinderwägen, Spielplatz, großer Bahnhof. Tristan, ein aus Hamburg zugezogener ehemaliger Verlagsmitarbeiter und nunmehriger Romanautor, holt einen Onkel samt Nichte Juliane vom Bahnhof ab, geht mit den beiden teuer essen und übernimmt schließlich für eine paar Tage die Begleitung des Teenagers. Außerdem trifft er Freunde und Freundinnen, verflossene Liebschaften und gegenwärtige Affären. Im medial leise rauschenden Hintergrund kommt der deutsche Bundespräsident Christian Wulff zu Fall und die Costa Concordia erleidet Schiffbruch. Und sonst? Plot-technisch passiert eigentlich nicht sehr viel mehr. Es gibt noch einen Abend in der "Gypsy-Bar", einen Ausflug in den Zoo, ein Dartturnier und eine Menge Odysseus-Mythos. Tristan Funkes fiktiver Roman, der natürlich "Otis" heißt, ist nämlich eine Art Paraphrase auf die Odyssee in Gestalt der Irrfahrten eines Programmierers namens Otis. Otis wie Redding, aber auch Otis wie die Aufzugsfirma übrigens. Das alles wird uns von Jochen Distelmeyer auch haarklein erklärt. Spannender macht das die Lektüre nicht.

Hunde, die Gassi geführt werden; Cover von Jochen Distelmeyers "Otis"

Rowohlt Verlag

Jochen Distelmeyers Roman "Otis" ist im Rowohlt Verlag erschienen und ab 30.1. im Handel erhältlich.

Sprachlich hat sich Jochen Distelmeyer für ein leicht antiquiertes Schriftstellerdeutsch entschieden. "Otis" ist immer einen Tick zu umständlich formuliert. Das macht die Fallhöhe zwischen absichtlich (?) banalem Inhalt und etwas angeberischer Form noch zusätzlich größer und mitunter unfreiwillig komisch. Die in direkter Rede gehaltenen Dialoge bewegen sich im Gegensatz dazu im bundesdeutschen "Hey, Alter, ganz schön crazy!"-Duktus. Man stelle sich vor: ein paar Tropfen Christian Kracht, eine Messerspitze Thomas Meinecke und eine homöopathische Dosis Sven Regener, verdünnt in einem ganzen Swimmingpool gefüllt mit Alltags-Banalitäten. So ungefähr liest sich Otis.

Eintragung ins Nichts

"Kommst du mit in den Alltag?" hat Jochen Distelmeyer einmal per Blumfeld-Song gefragt. Das hat er vielleicht ernster gemeint, als wir früher gedacht haben. "Otis" enthält so viel Alltag (Teekochen, auf den Bus warten, nach Hause kommen), dass man sich ständig fragt, ob da noch was kommt. Spoileralarm: es kommt nicht viel. Gelegentlich mag man sich noch ärgern über die bildungs-huberische Verweise auf die griechische Mythologie, aber meist überwiegt die Langeweile. Ab und zu gelingt Distelmeyer auch eine ironisch getönte Vignette über den Berliner Theater- und Kulturbetrieb, Rainald Goetz muss sich deshalb aber noch lange nicht warm anziehen. Was in erster Linie überbleibt, ist das ungläubige Augenreiben angesichts dieser 300 Seiten Langeweile von einem Autor, dessen Songtexten ja vieles nachgesagt werden kann, aber nie, dass sie einem am Hintern vorbeigehen.

Tausend Tränen tief

Als Blumfeld-Fan und Verteidiger wird das Leben in den nächsten Wochen hart. Ich prophezeie Verrisse biblischen Ausmaßes in den deutschen Feuilletons und "Otis" gibt nichts her, was ich dem entgegensetzen könnte. Falls ich mich da irren sollte und eine gedankliche Volte oder einen literarisch doppelten Boden verpasst habe, der einen literarischen Ausweg aus der Tristesse der Otis-Lektüre bieten könnte, werde ich zur Strafe alle meine Blumfeld-Platten verschenken.