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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

15. 2. 2015 - 10:44

Schärferausch und Frauenveredelung

Johanna Sinisalo entwirft in "Finnisches Feuer" eine superoptimierte Parallelgesellschaft, in der es keine Drogen, aber domestizierte Frauen gibt.

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Gerade jetzt zu Jahresanfang ist die Blütezeit der guten Vorsätze und viele betreffen die Gesundheit: weniger trinken, nicht mehr rauchen, mehr Sport. Damit soll die Lebensqualität verbessert werden, aber man erhofft sich auch, alt zu werden ohne Krankheit, ohne Wehwehchen und Zipperlein. Wie eine Welt aussehen könnte, in der Gesundheitsoptimierung Staatsdoktrin ist und wo Alkohol, Nikotin und andere Drogen schon so lange illegal sind, dass Chili die ärgste Droge ist, die man sich vorstellen kann, zeigt uns Johanna Sinisalo in ihrem Roman "Finnisches Feuer":

"Die Eusistokratie ist die finnische Gesellschaftsform. Ihr höchstes Entscheidungsorgan ist das Gesundheitsamt. Eusistokratie bedeutet, dass die Menschen nicht immer wissen, was für sie gut ist und wie man gesund und lang leben soll", schreibt Hauptfigur Vanna in einem Schulaufsatz in Gesellschaftskunde.

Prohibition und Eugenik

Wir befinden uns im Finnland des Jahres 2016: der Staat ist auf zwei Säulen aufgebaut: Prohibition und Eugenik. Technische Errungenschaften wie Handys oder das Internet werden vom Staat unterbunden, Autos gibt es nur auf Zuweisung und Fleisch und Zucker nur auf Antrag beim Gesundheitsamt und gegen eine hohe Strafsteuer. Damit ist Finnland ein idealer, um nicht zu sagen perfekter Staat, bei dem das Wohl der Gemeinschaft und die Umwelt im Sinne aller geschützt werden. Gegenbeispiel für diesen perfekten Staat sind so genannte Verfallsdemokratien - das Beispiel Spanien wird hier immer wieder herangezogen - die aus der Sicht Finnlands dem Untergang geweiht sind.

In dieser Umgebung treffen wir Vanna. Sie konsumiert und vertreibt die einzige Droge, die es im optimierten Superfinnland noch gibt: Capsaicin, der Stoff, der die Chili scharf macht.

"Das Brennen muss gehütet werden wie eine Flamme. Man muss es leben lassen, darf es nicht mit Brot oder Milchprodukten oder einem kühlen Getränk ersticken. Denn solange Mund und Magen den heiligen Schmerz spüren, werden wollüstige Opiate in den Organismus gepumpt."

Chilis, rot und grün

CC BY-SA 4.0 by Eric in SF on Wikipedia

CC BY-SA 4.0 by Eric in SF on Wikipedia

Veredelung der Femifrauen

Nicht nur wegen ihres Chilikonsums, auch wegen ihrer Neugierde und ihres Wissensdursts passt Vanna nicht in die finnische Gesellschaft. Denn das Wohl der Gemeinschaft hängt nicht nur vom Fehlen jeglicher gesundheitsgefährdender Stoffe ab, sondern auch von der Domestizierung der Frauen. Analog zu Hunden wurden Frauen im Laufe der fiktiven finnischen Parallelgeschichte gezähmt: soll heißen, nur die Braven und Fügsamen wurden zur Paarung zugelassen.

"Bei der Veredelung der Femifrauen wurden sprichwörtlich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, indem man dem Mann eine sowohl vom Verhalten als auch vom Aussehen her ideale Partnerin schuf."

So genannte Femifrauen, nach HG Wells Science-Fiction-Klassiker "Die Zeitmaschine" auch Elois genannt, werden von Kindheit an ihrer einzigen Bestimmung zuerzogen: den Männern - genannt Maskos - eine gefällige und angenehme Partnerin zu sein und gesunden Nachwuchs für die Gesellschaft zu zeugen. In einem Ratgeber für angehende Ehemänner heißt es:

"Du musst in der Lage sein, deine Frau als das zu respektieren, was sie ist, als Instinktwesen, das von seinen Hormonen gesteuert wird. Wiederholung, Belohnung und Bestärkung sind Ecksteine der Auffassungsgabe von Elois."

Intellektuelle Fähigkeiten unerwünscht

BuchCover "Finnisches Feuer" - Chilis

Tropen Verlag

Johanna Sinisalo "Finnisches Feuer", erschienen im Tropen Verlag

Elois lernen ihr Leben lang, hübsch zu sein und sich zu pflegen, Feste auszurichten, den Haushalt zu führen und untereinander um Männer zu konkurrieren. Intellektuelle Fähigkeiten sind unerwünscht. Frauen, die diesen Idealen nicht entsprechen, Morlocks genannt, sind vom Paarungsmarkt ausgeschlossen und werden für Arbeitsdienste herangezogen.

Vanna passt in beide Kategorien nicht ganz hinein: sie hat zwar das mädchenhafte Aussehen einer Eloi, aber den Wissensdurst und die Kombinationsgabe einer Morlock. Das finnische System unterfordert und langweilt sie. Außerdem hat sie ihre Eloi-Schwester Manna verloren, die angeblich gestorben ist. Das alles erzeugt in ihr ein dunkles, schwarzes Loch, das sie mit dem Kick aus der Chilischote bekämpft. Und die Chilischote birgt noch ein Geheimnis, dem Vanna erst am Ende des Buchs auf die Spur kommen wird.

Kichern, manchmal

Beim Lesen von "Finnisches Feuer" muss ich immer wieder kichern. Zum Beispiel, wenn ein Lehrfilm über Chilisucht beschrieben wird. Und der Ex-Süchtige - im Buch werden sie Capser genannt - darüber berichtet, wie froh er ist, mit sauberen Hosen zu leben (denn Chilikonsum verursacht bekanntlich Durchfall). Oder wenn die Figuren in Lokalen nie etwas anderes trinken, als frische Kräutertee-Getränke. Wenn die "akzeptable" Lektüre für Femifrauen beschrieben wird: Magazine mit kurzen Geschichten über Heiratsanträge - ohne lange Sätze und schwierige Worte. Johanna Sinisalo nimmt so aktuelle gesellschaftliche Trends gekonnt auf die Schaufel.

Nicht zum Kichern ist allerdings, dass manche dieser Ideen - ich sage nur körperliche Selbstoptimierung - in der neoliberal geprägten Gesellschaft längst in unseren Köpfen angekommen sind.