Erstellt am: 27. 1. 2015 - 12:26 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 27-01-15.
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
#demokratiepolitik #machtpolitik
Würden Wahlen etwas ändern können, dann... Obwohl...
Es war vor zwei oder drei Sommern. Ich befand mich in einer informellen Runde von Expertinnen und Definitions-Mächtigen, die - wiewohl wegen eines anderen Themas zusammengekommen - die gemeinsame Vor- und Nachbereitungszeit in erster Linie zur Abstimmung der persönlichen Katastrophen-Vorsorge nutzte. Wie man den anstehenden, jedenfalls unvermeidlichen Untergang der europäischen Ökonomie, den tsunamiartigen Zusammenbruch aller Strukturen, den Rückfall auf Selbstversorgertum, den Zerfall des Gemeinwesens und all das bewältigen könnte - also alles gemäß dem Denk-Prinzip des klassisch-distopischen Ansatz des amerikanischen Day-After-Stunde-Null-Dramas.
Meine Einwände, dass all diese Szenarien doch eher wenig Aussicht auf einen Eintritt ins echte Leben haben würden, sondern als Begleitmusik für die damals aktuelle Krisenstimmung (samt Griechenland-Rettung, samt Sparkursen etc) nötig waren und dementsprechend instrumentalisiert würden, fanden nicht einmal für Sekunden Gehör. Der Wunsch, in den Chor des Endzeit-Geheules einzustimmen, war stärker. Und es waren wie gesagt keine sonst faktenresistenten Verschwörungs-Theoretiker, sondern über Gebühr gut Informierte.
Ich bin als Kind des Kalten Krieges, als durch Petting-statt-Pershing-Geprägter vielleicht ein wenig resistenter gegen dieses historisch redundante Geraune, das als Hintergrundgeräusch permanent präsent ist und in Zeiten der etwas kollektiver bewusstgemachten Krisen dann eine Spur lauter wird und somit vor den Lärmpegel-Vorhang tritt. Und damit Aufmerksamkeit kriegt; auch bei mir.
In den letzten Monaten gab es wieder ein besonders aufgeregtes Narrativ: wenn der wilde Linke in Griechenland an die Macht kommen würde, dann wär's wieder einmal soweit - unvermeidlicher Untergang des Abendlandes, der Euro-Zone, Europas etc.
Irgendwie, rein gefühlt, haben es die Kampagnisierer diesmal aber übertrieben; obwohl es ein Wirtschaftsthema befasst, also ein Feld, in dem sich a) nur wenige auskennen und es b) für jede noch so abstruse neurechte/neuliberale Behauptung eine Armvoll gutaussehender Think-Tank-Mietredner gibt. Die so richtig gruselige Angst der Europäer vor Tsipras/Syriza blieb aus. Vielleicht auch weil anderes (der Pariser Terror, Pegida und Co) die Sicht verstellte.
Das Welteuropauntergangs-Blabla fing vor allem im auch direkt bedrohten Griechenland nicht. Und die Syriza-Regierung erhält jetzt die Möglichkeit, ihre (zum Teil eh unentgegenbaren) Forderungen durchzusetzen und in anderen Bereichen Verhandlungen zu führen, Kompromisse zu erzielen, also so richtig-klassische Politik zu machen. Und so zur Nagelprobe für ein vergessene Idee zu werden: dass Wahlen einen Unterschied machen und dass Politik aktiv gestalten und nicht nur hecheln hinterherlaufen kann.
Zudem, der Kollege Misik weist hier drauf hin, steht in Spanien - medial höchst unterberichtet - Ähnliches an; was zu einer Neujustierung der gesamten EU-Politik und -Ökonomie führen kann. Ganz ohne distopische Ängste, die sonst vernünftige Menschen hinter ihren Paradeiser-Stauden Deckung nehmen lassen.
#glaubenskriege #globalbusiness
Das Unternehmen IS und sein Geschäftsmodell
Übrigens ist Kobane seit gestern so gut wie befreit - medial recht unbemerkt; man treibt ja aktuell andere, zugegebenermaßen schwergewichtige Säue durchs Dorf.
Der Kampf um die Grenzstadt war ja ein Grund für eine Art Angst vor der IS in Europa, die Al-Kaida niemals zusammenbringen konnte: die Idee das Kalifat mittels militärischen Vormarsches in die Festung Europa zu bringen, erzeugt (Köpf-Videos hin, Djihadistenburli-Rekrutierung her) klarere Feindbilder als das nadelstichartige Vorgehen des Vorgänger-Generation Marke Al-Kaida. Erst diese Bilder haben eine Gegenreaktion wie die Pegida ermöglicht.
Und das war natürlich Kalkül. In der IS-Geschäftszentrale prostet man einander bei jeder neuen Montags-Demo fröhlich zu: derart deutlich zur Schau gestellte Ablehnung erzeugt Interesse, Interesse bringt Novizen und Medienaufkommen und alles zusammen steigert das Geschäfts-Volumen.
Und darum geht es.
Die religiöse Praxis, der Islam, das Kalifat - alles schöne Zutaten, deren geschickte Einsatz-Kombination pralle Narrative ins Netz, in die klassischen Medien und in die Menschenköpfe setzt, die als ideologischer Treiber enorm wichtig sind; wiewohl sie null Rücksicht auf tatsächliche islamische Regeln nehmen. Und auch kein Interesse an der Umsetzung der Drohungen haben.
Und schau, eine Woche später gibt's sogar eine ganze fm4-Story zum Thema.
Längst ist das, was man auf den ersten Blick als klassische Geldbeschaffung für die eigentliche Tätigkeit betrachten könnte, der Haupt-Act. Und die medienwirksam umgesetzten Kriegsspiele, Entführungen und Rekrutierungs-Präsentationen die glatte Marketing-Oberfläche. Dahinter boomt neben der Lösegeld-Sparte der Drogen-, Menschen- und Waffenhandel oder der Kunstraub; mit dem Fernziel der Übernahme aller mafiaähnlichen Geschäfts-Aufgaben, nicht nur in den besetzten Gebieten, sondern auch in vielen Bereichen des arabischen Raums, wo man mit seinem frischen Sieger-Image punkten kann.
Es wirkt in der Tat fast so, als wäre die Kalifats-Idee, als wäre der ganze IS-Plan ein radikales Business-Model eines Gates/Zuckerberg-Kopfes, also eines gewieften Konsumwelten-Denkers & Handlers, der die westliche Reaktions-Logik nicht erst adaptieren muss, sondern bereits vorgeplant hat.
Dafür und deshalb braucht die IS/ISIS den Westen ganz dringend. Und solange die Geschäfte so gut laufen, wird die Eroberungs-Rhetorik ein Papiertiger bleiben.