Erstellt am: 25. 1. 2015 - 16:39 Uhr
Szenen einer Ehe
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- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.
Zwar wird in der Popmusik immer wieder gerne von der "Family" gesungen, gemeint ist dabei nur in seltenen Fällen die Kleinfamilie im eigentlichen, mit dem Staub des Traditionsverpflichteten bedeckten Wortsinne. Vielmehr geht es oft um die "Family" als Gemeinschaft Gleichgesinnter, als ideologische Schwesternschaft, als Bündnis gleichermaßen Verrückter. "We Are Family" singen Sister Sledge und man spürt jedes Mal aufs Neue, dass diesem Statement des euphorischen Händehaltens nichts entgegenzusetzen ist.
In der modernen, wilden Kunst wird die Familie – bisweilen freilich zu Recht – oft als Geißel eines konservativen Geistes, als ein Zwang, ein Korsett gezeichnet, dem es zu entfliehen gilt. Das gedehnt und gebogen werden muss. Man soll dabei jedoch nicht vergessen, dass es doch auch so sehr schön sein kann.
Björks aktuelles Album "Vulnicura" dreht sich also bekanntlich um das Zerbrechen ihrer Beziehung mit dem Künstler Matthew Barney, dem Vater Björks 2002 geborener Tochter. Björk nennt die Platte "a complete heartbreak album" und man kann aus jeder Pore von "Vulnicura" das Erfrieren und Zerbersten des Herzens heraushören.
Traurige Lieder handeln ja schnell mal vom Einschlafen einer Liebe, vom Verlassenwerden, oft aber bloß in Gestalt von kaum mehr als der hohlen Geste von Entertainment-Selbstmitleid. Björk zieht uns in die intimsten Kreise des Leidens, wir folgen ihr gerne. Im Song "Family", neben dem 10-Minüter "Black Lake" das emotionale Zentrum von "Vulnicura", singt Björk ganz ohne gekünstelte Erhabenheitsmanöver vom schlichten Glück des Familieseins und davon, wie es dann verschwunden ist: "There is the mother and the child / Then there is the father and the child / But no man and a woman / No triangle of love".
Darunter sind karge Schab- und Kratzgeräusche zu hören, ein bloß alle Ewigkeiten wie aus einer morschen Pauke gezwungener Beat, ein Surren und Summen, bedrohliche, auf einem Grammophon in Zeitlupe rückwärts abgespielte Streicher. Dass hier die zwei Dekonstruktionselektroniker The Haxan Cloak und Arca ihre Finger im Spiel gehabt haben, ist nicht zu überhören. Entgegen etwas unscharfer Behauptungen ist "Family" aber das einzige Stück auf "Vulnicura", an dem auch tatsächlich beide kompositionstechnisch beteiligt waren. Arca hat sieben Tracks maßgeblich mit Klang beliefert, The Haxan Cloak war fast ausschließlich für das Mixing zuständig.
Ohnehin ist "Vulnicura" klarerweise Björks Platte, falls das jemand kurz bezweifelt haben sollte. Ihre Vision, sie hat die Lieder geschrieben, die Streicher arrangiert, Beats gebaut. Sie hält diese schwierige Jonglage aus Glasminiaturen zusammen.
In "Family" kommt alles aufs angenehm Unbehaglichste zueinander. Kalte, harte Sounds, ein privates Problem, auf den Kern reduziert, ein Verlorengehen in den Wellen des Schmerzens und den Weiten einer fernen Musik. Im sakraIeren, sanft optimistisch angelegten zweiten Teil des Stückes singt Björk dann: "I raise a monument of love / There is a swarm of sound / Around our heads / And we can hear it". "A Swarm of Sound" – das ist es, er umkreist uns, wir können es hören, es besteht Hoffnung, wenn auch anderswo.