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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

24. 1. 2015 - 16:16

Sieger sehen anders aus

Großes Kino über klägliche Antihelden: Die Protagonisten in „Höhere Gewalt“ und „Birdman“ scheitern erfrischend würdelos.

Es ist schön zu sehen, dass das Kino, wie auch avancierte TV-Serien, die gängigen perfektionistischen Rollenbilder nicht immer nur befeuert und übersteigert. In unregelmäßigen Abständen tauchen auch Filme auf, die herumgeisternde Ideale von Tapferkeit, Mut und besonders männliches Heldentum radikal demontieren. Und die damit, so wie etwa auch Songs von Tocotronic oder Bücher von Michel Houellebecq, den Gewinnerkult der neoliberalen Gegenwart bis zu dem Punkt entlarven, wo es lächerlich wird und gleichzeitig heftig weh tut.

Das skandinavische Beziehungsdrama „Höhere Gewalt“, im Original schlicht „Turist“ betitelt, ist so ein Streifen. Am Anfang steht noch eine vermeintliche Idylle. Wie die perfekte Familie aus der schwedischen Möbelhaus-Reklame versuchen Tomas und Ebba mit ihren beiden Kindern für ein Ferienfoto zu posieren, auch wenn das Grinsen leicht verkrampft wirkt. Im Laufe des gemeinsamen Winterurlaubs wird hinter den nadelfeinen Rissen im Familiengefüge aber ein klaffender Abgrund sichtbar.

Schuld ist eine Lawine, die am zweiten Tag des Aufenthalts im französischen Ski-Ressort, auf die Aussichtsterrasse des Hotels losdonnert. Die reale Katastrophe bleibt aus, denn die gigantischen Schneemassen wurden kontrolliert losgelöst. Dennoch ereignet sich ein Desaster der zwischenmenschlichen Art. Denn im allgemeinen Chaos reagiert Tomas panisch auf die Bedrohung – und überlässt flüchtend Frau und Kinder ihrem vermeintlichen Schicksal.

Höhere Gewalt/Turist

Filmladen

"Höhere Gewalt" (Turist)

Schneeverwehtes Kammerspiel

Das übliche Hollywood-Remake wird im Fall von Ruben Östlunds preisgekröntem Film, der auf mehreren Festivals gefeiert wurde, wohl ausbleiben. Denn auch die abgründigsten Antihelden in US-Filmen faszinierten oft mit einem außenseiterischem Charisma. Tomas dagegen (brilliant jämmerlich: Johannes Kuhnke) leugnet seine reflexhafte Handlung und mutiert hinter seiner wortkargen Fassade zum Häufchen Elend.

Ruben Östlund zeigt Verständnis für die verstörte Ebba (Lisa Loven Kongsli) und die existentielle Verwirrung der Kinder, denen im entscheidenen Moment der beschützende Papa abhanden gekommen ist. Trotzdem ergreift der Regisseur aber keine Partei, er beobachtet in „Höhere Gewalt“ einfach nur, zeigt, wie der instinktive, unheroische Akt den Zusammenhalt des Ehepaars nachhaltig erschüttert. Mit jedem weiteren Tag auf der Skipiste verliert nicht nur Ebba das Vertrauen in ihren Mann, auch im Freundeskreis der Beiden macht sich Verunsicherung breit.

"Höhere Gewalt" (Turist) ist eben in den österreichischen Kinos angelaufen.

Die beinahe eisige Distanziertheit des Films, die exakt komponierten, tableauartigen Einstellungen, lassen bisweilen an die emotionalen Vergletscherungsstudien eines Michael Haneke denken. Aber dann flackert in den quälenden Szenen einer Ehe auch immer wieder ein dunkler Humor auf, der bei dem österreichischen Regisseur undenkbar wäre und dem schneeverwehten Kammerspiel eine ganz spezielle Stimmung verleiht.

Höhere Gewalt/Turist

Filmladen

"Höhere Gewalt" (Turist)

Tragik und Komik als endlose Kamerafahrt

Stilistisch könnten der bedächtig dahinschleichende „Turist“ und Alejandro González Iñárritus filmische Raserei „Birdman“ nicht weiter entfernt sein. Trotzdem vereinen, neben dem Mix aus Tragik und Sarkasmus, gewisse Grundfragen beide Filme. Was bedeutet eigentlich Männlichkeit im Zeitalter des Postfeminismus? Warum sehnen sich im Grunde auch politisch fortschrittliche Lager nach den Siegerfiguren der Unterhaltungsindustrie, statt die klägliche Realität des menschlichen Seins zu akzeptieren? Wann hören Selbstschutz und gesunde Eigenliebe auf und wo beginnt die Egomanie?

Der mexikanische Regisseur Iñárritu erforschte diese und ähnliche Themen auch in Filmen wie „21 Grams“ (2003) und „Babel“ (2006), mit denen er sich einen Namen als plakativer Dramatiker des Weltkinos machte. Nicht unberechtigt ächzten und stöhnten aber auch viele Kritiker unter den pingelig konstruierten Drehbüchern dieser starbesetzten Filme, die sämtliche Tragik der Welt in aufgesetzte Wendungen und Twists verpackten.

Schmerzhaft geht es auch in „Birdman“ zu, allerdings ohne verkrampft verschachtelte Erzählweise, dafür aber mit einer großen Portion Komik, die das tonnenschwere Trademark-Pathos des Alejandro González Iñárritu aushebelt. Ohne auffällige und oft sogar sichtbare Schnitte, in einer gefühlt endlosen Kamerafahrt, folgen wir Michael Keaton als Riggan Thomson, alternder Ex-Star des Comickinos, durch einen entscheidenen Tag in seinem Leben. Der Mann, der in der Rolle des fliegenden Rächers Birdman die Leinwände der achtziger Jahre rockte, versucht sich am Broadway als Schauspieler neu zu erfinden.

Birdman

Centfox

"Birdman"

Herrlicher Größenwahn, körperlich spürbar

Dabei steht Riggan Thomson zwischen allen Stühlen. Von Hollywood aufs Abstellgleis gestellt, belächelt ihn die Theaterszene wiederum als abgehalferten Kommerzkasperl, der von wahrer Kunst keine Ahnung hat. Weder seine Tochter noch die Exfrau oder die Coakteure des von ihm auch inszenierten Bühnenstücks blicken dem einstigen Superheldendarsteller respektvoll entgegen. Zuviele Scherben hat der nach Anerkennung gierende Thomson bereits in seinem Umfeld hinterlassen.

"Birdman" läuft nächste Woche in den heimischen Kinos an und ist auch am Mittwoch, 28. Jänner, 20 Uhr in der UCI KINOWELT Millennium City, Wien im Rahmen eines FM4 Kino unter Freunden zu sehen.

So perfekt, so clever, so unfassbar choreografiert kommt dieser Höllenritt durch den Alltag eines Ausnahmeneurotikers daher, dass man die Überambitioniertheit des Regisseurs förmlich greifen kann. Aber wie gesagt, da ist der teilweise schon fast slapstickhafte Witz, der an beinharte Satiriker wie Chuck Palahniuk erinnert, mit dem Iñárritu punktet. Und die grandiosen Schauspieler, die den tragikomödiantischen Fiebertraum mit bitterem Realismus erden.

Birdman

Centfox

"Birdman"

Neben dem zurecht gefeierten Michael Keaton exorzieren vor allem auch Edward Norton und Emma Stone mitreißend ihren jeweiligen Background im Comickino, ob alleine oder in Dialog-Duellen, die schon jetzt zu den Kinomomenten 2015 zählen. Überhaupt muss man am Ende, sogar als Iñárritu-Skeptiker, vor diesem herrlich größenwahnsinnigem, körperlich spürbaren Film kapitulieren. Und sich freuen, dass neben den markigen Heroen auch erfrischenderweise die peinlichen Verlierer ins Blitzlicht rücken. Schließlich könnte es doch sein, dass wir uns nur in einem ewigen Spiel der Projektionen befinden – und in Wirklichkeit arme Würstchen sind.