Erstellt am: 26. 1. 2015 - 10:51 Uhr
"Wir sind wie ein Stück Seife"
Artist Of The Week
Musikempfehlungen aus der FM4 Redaktion. Diese Woche mit Deichkind
Und dann war ich Lost. Ich stand in einem dieser Berliner Hinterhöfe, die von einer anderen Zeit erzählen. Kopfstein im Boden. Backstein in der Mauer. Irgendwas mit Industrie und Schnurrbart. „Siehst du die große rote Tür?“, fragt der Manager im Telefon. „Davor ist ein Knopf, den drückst du, dann das Stockwerk und wenn du ganz woanders landest, ruf einfach nochmal an, Tschüüü!“ Tatsächlich befindet sich am Ende des Hofes eine geheimnisvolle rote Tür. Ob beim Öffnen Leuchtnebel austreten wird?
Eine kleine Irrfahrt und eine Instant-Bekanntschaft im Lastenaufzug später stehe ich im Berlin-Studio von Deichkind. Es herrscht eine schöne Unordnung. Philipp Grütering (Kryptik Joe) und Sebastian Dürre (MC Porky) skippen sich auf einem Tablet durch die ersten Pressevorschauen auf das neue Album „Niveau Weshalb Warum“. Der Manager zeigt Auszüge aus einem Video-Interview. Mich überrascht das rege Interesse der Deichkinder an ihrer medialen Darstellung und Wirkung.
Christian Lehner
Porky: Klar! Manchmal gibt es Journalisten, die sind auf der Suche nach einer Schlagzeile und dir wird das Wort im Mund umgedreht. Wenn wir das Gefühl haben, dass das nicht okay ist, lesen wir auch schon mal gegen. Aber wir haben noch nie ein Interview verboten.
Philipp: Wir sind bisher auch immer glimpflich davongekommen. Das liegt auch daran, dass wir uns nicht wirklich konkret positionieren. Wir sind wie ein Stück Seife, die man anfasst und die einem immer wieder aus den Händen gerät.
Porky: Und dann fällt die Seife runter und du musst sie aufheben und dann kommt von hinten ein Journalist angerannt.
Philipp: Also was ich jetzt noch sagen wollte: wir befinden uns seit vier Tagen auf Promo-Reise und treffen uns mit Journalisten. Und wir merken, dass man an seine Grenzen gerät. Die Nerven werden dünner, weil man halt auch so richtig ausgefragt wird. Es ist jetzt nicht wie ein Verhör, aber wenn dann 20 Journalisten hintereinander was wissen wollen. Die musst du ja alle erst kennenlernen. Und die kleinste Kritik wird da zum Nadelöhr.
Porky: Mental ist das total daneben. Vier Tage durchlabern. Auf der anderen Seite freuen wir uns natürlich über das gewaltige Interesse. Wir müssen da nicht buhlen. Die kommen zu uns. Ich stell mir das so vor wie bei einem beliebten Arzt. Die Oma kommt rein. Der Junge kommt rein. Der muss jedes Mal wieder geduldig auf diese Person eingehen. Wir fühlen uns mittlerweile wie ein Ärzteteam.
Philipp: Deshalb wollen wir jetzt mal geduldig auf dich eingehen und deine erste Frage beantworten.
Ich frage mich oft, wie man es schafft, immer dasselbe zu erzählen und trotzdem noch interessant zu bleiben. Das wollen die meisten ja dann doch schlussendlich.
Philipp: Ich hab mal angefangen, mich auf Interviews vorzubereiten und mir so Sätze hinzulegen. Das ist aber gänzlich in die Hose gegangen. Die Spontanäität geht verloren. Die ist aber wichtig. Routine hilft natürlich auch. Mit der Zeit pickt man sich von Interview zu Interview die Rosinen raus. Es gibt bestimmte Fragen, die kommen immer wieder und mit der Beantwortung wird man auch sicherer. Dann kommen jene, die man einfach nicht so richtig beantworten kann. Deshalb ist es gut, in der Gruppe interviewt zu werden, weil man sich da schön hinter verstecken kann.
Deichkind live
Niveau Weshalb Warum Tour
- 23.4. Graz, Stadthalle
- 24.4. Linz, Tips Arena
- 26.4. München, Zenith
- 12.-14.6. Nova Rock Festival
Ich hab mich heute ein wenig vorbereitet und ...
Philipp: ... Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht mehr vorbereiten. Wir machen auch diese Interviewtrainings. Da lernt man Haken zu schlagen und das Interview auch schon mal zu übernehmen. Man geht nicht auf alles ein sondern erzählt, was man erzählen will wie zum Beispiel: „Wir sind heute hier, um unser neues Album zu promoten. „Niveau Weshalb Warum“ erscheint am 30. Januar“. Und solche Sachen. Aber stell jetzt deine Frage.
Porky, du hast zum Release von dem Video zu „So’ne Musik“ im Deichkind-Blog etwas Interessantes geschrieben. Da steht: "Hehehe! Jaja, ich freu mich! Auch aufs Album! Endlich kein Pop mehr. Sondern das, was gefällt: Nicht gefallen wollen.“
Porky: Natürlich haben wir uns gefragt, Alter, wie können wir das large produzieren? Aber wir machen uns da längst keinen Kopf mehr, ob wir gefallen. Wir sind Musiker, wir machen das jetzt. Und wenn es gefällt, dann gefällt es. Und wenn nicht, dann nicht. Aber das war eigentlich eh schon immer so.
Das fällt natürlich leichter, wenn man die Erfahrung des Erfolgs im Rücken hat, oder? Man hat schon verschiedene Dinge ausprobiert und die sind eigentlich immer gut angekommen.
Philipp: Das Schöne bei Deichkind ist, dass wir so viele Charaktere sind. Wenn jemand sagt: „Endlich kein Pop mehr“, hat das Relevanz in der Gruppe. Es gibt keinen, der die alleinige Definitionsmacht hat. „Deichkind ist Rap“, oder „Deichkind ist Techno“. Wir agieren genreübergreifend. Pop geht für mich persönlich klar. Deichkind ist für mich eine Pop-Band. Auch Mainstream. Mainstream aber kein Sell-Out.
Porky: Das ist ein wichtiger Punkt.
Philipp: Es gibt dann jemanden in der Band wie Porky, der sagt: Also nee, ich will mal ordentlich auf die Kacke hauen und so eine Nummer machen wie „Niveau Weshalb Warum“, die so dumm ist, dass man sie eigentlich kaum schreiben kann. Mir gefällt das. Wir können in verschiedenen Sprachen sprechen. Diese Narrenfreiheit haben wir uns tatsächlich hart erarbeitet.
Porky: Als etwas freierer Geist fühle ich mich in so einem großen Ding wie Deichkind nicht gefangen. Ich habe schon für richtige Pop-Produktionen gearbeitet. Bei Deichkind gibt’s so etwas nicht. Da lässt man das Individuum auch mal frei shouten, ohne dass das Ding 35 mal umgewendet wird; zum Beispiel der Track „Oma Gib Handtasche“. Das ist jetzt keine Strategie, sondern mehr so ein Energiestrahl. Das ist ja so meine Kunst, wo ich mir keine Gedanken machen muss, ob das jetzt im Radio stattfindet oder nicht.
Philipp: Am Anfang stellt man sich die Frage: dafür oder dagegen sein? Rebellion oder nicht? Und wir sind da in so einem Widerspruch. Das wird auch thematisiert. Klar, wollen wir Pop sein im Sinn von populär, Menschen erreichen, Themen setzen. Aber Authentizität ist wichtig. Ich glaube, es gibt nichts Langweiligeres, als wenn es keinen Anhaltspunkt gibt. Wenn man nur das Populäre will, könnte es schnell scheitern, es sei denn, man pumpt irrsinnig viel Geld rein und deligiert irrsinnig viel raus, engagiert die besten Songschreiber und so weiter. Wir kommen aber von ganz woanders her. Wir kommen eigentlich aus dem Kaputtgemache. Wie wir das dritte Album „Aufstand Im Schlaraffenland“ gemacht haben, war das eigentlich eine Zerstörung, die sich damit auseinandergesetzt hat: „Wie kann man das noch größer machen, noch populärer“. Daran arbeiten wir heute noch.
Radio FM4 /Franz Reiterer
In der ersten Single "So'ne Musik" geht es um aktuelle Themen im Pop. Jay-Z und sein Kunstfimmel, Autotune und so weiter. Und ihr gleicht euch damit ab. Auch im Video seid ihr von Kunst umgeben. Ist das eine Standortbestimmung? Ein Reinfühlen in das Album?
Porky: Es ist eine Standortbestimmung aber auch ein Gegenwirken gegen so einen allgemeinen Komplex. Jay-Z lässt sich ja neuerdings gerne in der Kunsthalle ablichten, mit bekannten Namen und vor allem Picasso. Aber bei Picasso stellt sich ja auch die Frage „wann?“ und „welcher Picasso?“ Wir haben uns deshalb gleich mit den alten Meistern hingestellt. Die brauchten 15 Jahre, um so ein Bild zu malen. Da gab es noch kein künstliches Licht. Da mussten die Künstler malen, wenn der Tag so war und nach einer halben Stunde mussten sie wieder aufhören, sonst war das Bild im Arsch. Und da ist dann auch der Zusammenhang zu Deichkind. Uns gibt’s jetzt auch schon fast wieder 20 Jahre. Es passt halt. Ich persönlich wäre nie auf die Idee gekommen, mich in die Kunsthalle zu stellen. Das macht dann DJ Phono, der bei uns das ganze Gewimmel zusammenführt.
Man kann bei „So’ne Musik“ vom Style her eine Rückwendung zum Hip Hop eurer Anfangszeit erkennen und zur sogenannten New School der frühen 90er ...
Porky: Das ist aber auch nur so ein Feeling. Man kann das natürlich nicht sehen im Radio, aber ich fiste jetzt mal mit der Faust wie ein Boxer. Das war das Gefühl, das wir hatten. Jetzt sind wir aber wieder mehr so „die Arme hoch“. Wir haben nicht bewusst gesagt: „wir machen jetzt wieder mehr Hip Hop“. Das ist ein Prozess, wo Deichkind jetzt drin ist. Die nächste Platte könnte zum Beispiel Gabba sein, noch schneller. Das ist einfach kreatives Potential, das seinen eigenen Weg geht.
Philipp: Mich hat das überrascht, weil das viele gesagt haben, dass wir uns jetzt selbst zitieren, weil die ersten zwei Alben Rap waren ohne einen einzigen Four-To-The-Floor-Beat. Ich seh das überhaupt nicht so. Auch bei den letzten drei Techno-Alben hatten wir Rap-Songs, aber das waren nicht die stärksten Nummern. „So’ne Musik“ hat sich einfach als sehr kraftvolles Stück entwickelt, an dem keiner in der Band vorbeigekommen ist. Nicht mal der Kapitalo und der Dinkel.
Radio FM4 /Franz Reiterer
Wie trefft ihr denn Entscheidungen? Was bleibt drin und was muss raus?
Philipp: Deichkind gleicht sich intern immer ganz gut aus, was den musikalischen Geschmack angeht. Ferris kommt aus einer ganz anderen Ecke wie DJ Phone, der auf Minimal Techno steht. Es sind die Schnittmengen, die greifen. Wir sind diesbezüglich unser eigenes Meinungsforschungsinstitut.
Gilt das auch für die Themen der Songs? Wie findet ihr die?
Philipp: Wir fühlen uns manchmal wie unter einer Käseglocke, weil wir Künstler sind und nicht wirklich teilnehmen am normalen Arbeitsalltag und -leben. Und dann sind wir doch oft näher dran am Zeitgeist, als wir denken.
In euren Texten legt ihr häufig die Bruchstellen der Gesellschaft offen, reiht Beobachtung an Beobachtung, trefft dabei meist einen Nerv, hütet euch aber auch vor eindeutigen Kommentaren. Im FM4-Forum hat jemand mal geschrieben, dass Deichkind eigentlich für jeden etwas anzubieten haben, bloß keine Haltung.
Porky: Deichkind hat eine klare Haltung. Was du meinst, ist wohl so eine gewisse Meinungslosigkeit. Wir sind halt gute Beobachter und deshalb kommt wohl diese riesige Schnittmenge an Beobachtungen zustande.
Stört es euch, wenn ihr als reine Fun-Band bezeichnet werdet?
Porky: Wir sind doch eine Fun-Band! Die ganzen Feuilletons nerven mich auch ab, dass da immer etwas reininterpretiert wird, was Ernstes. Ich will in Ruhe saufen, Alter! (alle lachen).
Wie geht ihr die Produktion eines neues Albums an?
Philipp: Am Anfang sind wir leer, so richtig alle. Da gibt es ganz wenige Themen wo man sagt, das will ich jetzt ansprechen. Wir müssen uns einen Deadline setzen. Dann sperren wir uns irgendwo ein und diskutieren. Was war irre? Was hat euch aufgeregt? Wo gab es eine Auseinandersetzung? Das ist eigenlich ein cooler Moment. Man hat auch jedesmal ein wenig Bammel, dass einem nix mehr einfällt. Aber dann kommt die Erfahrung ins Spiel und das Vetrauen, dass einem etwas einfallen wird. Hits werden keine geplant, weil man das nicht planen kann.
Und wie stachelt ihr euch gegenseitig auf?
Porky: Mit Motivationstennis. Wenn einer strauchelt sagt der andere: Komm, komm, komm! Wenn beide abkacken wird manchmal auch das Studio abgeschlossen. Alter, lass abhauen! Wenn nix geht, stürzt sich Philipp gerne in noch mehr Arbeit und ich stürz mich gerne ins Phlegma.
Am neuen Album gibt es ja auch einen Song zum Thema Motivation. „Denken Sie Groß“ handelt von Ratgeberliteratur und dem Zwang zur Selbstoptimierung.
Philipp: Die Idee gibt es schon seit dem letzten Album „Befehl Von Ganz Unten“. Ich lese ja gerne Motiviationsbücher.
Proky: Ich hasse sie!
Philipp: Ich nehm da was Postives raus, aber ein anderer Teil von mir denkt: „Hach, jetzt lass ich mir da von so einem Ami erzählen, wie man Erfolg hat.“ Das hat dann zu so Lines geführt wie „Trinken Sie den Baikalsee auf ex“ oder „Kaufen Sie kein Weed, kaufen Sie Jamaica“. So übertriebene Selbstmotivationsbilder fand ich spannend. Man berauscht sich daran und nach drei Tagen bist du wieder in der Realität.
Porky: Für mich manifestiert sich da auch eine Wut und eine gesellschaftliche Kritik an diesem Way Of Life, denn wenn du Jamaica kaufst, machst du alles platt, was eigentlich Jamaica bedeutet.
Sultan Günther Music
Bei „Like Mich Am Arsch“ geht der gesellschaftliche Auftrag voll und ganz im Titel des Stückes auf. Wieder werden unterschiedliche Rollen durchgespielt.
Philipp: Wir sind ganz klar Fans von Facebook. Wir haben 750.000 Friends. Das ist eine mächtiges Tool für eine Band. Man kann so viel damit machen. Auch privat. Aber dann ist da dieses Unbehagen im Freundeskreis und auch in der Gruppe: Facebook ist übermächtig. Wie läuft eigentlich dieser Laden? Was machen die mit unseren Daten? In diesem Zwiespalt stehen wir und wahrscheinlich auch du. Es ist konfus und nervt. Uns ist aber wichtig, dass wir uns dann von diesen Betrachungen auch nicht ausnehmen.
Porky: Ich bin da radikaler. Arbeit gut und schön, aber privat bin ich da richtig weg. Ich möchte mit den Leuten nix zu tun haben. Also auf dieser Plattform.
Eine Frage, die man in unseren Breitengraden nicht so häufig stellt, nämlich die Frage nach dem lieben Geld. Wie lebt es sich eigentlich als Deichkind? Und wie kommt ihr als Band mit den immer schmaler werdenden Etats im Musikbiz zurecht?
Philipp: Wir leben gut von der Musik. Wir sind jetzt keine Billionaires wie Rick Ross, aber es hat von Anfang an gelangt. Wir haben 1997 unsere erste Platte gemacht und uns immer so durchgeschlingert. Natürlich war unser letzte Album („Befehl Von Ganz Unten“, 2012) das erfolgreichste. Das hat unseren Arsch für die nächsten 10 Jahre gerettet. Wir sind auch eine Band, der bewusst ist, dass man ständig investieren muss. Das haben wir die letzten Jahre auch getan.
Porky: Deichkind ist mittlerweile ein Ding mit 30 Mitarbeitern. Da sind jetzt nicht alles Fixangestellte, aber es ist schon so ein richtig großer Clan, dem wir auch zeigen wollen, dass wir es geil finden, dass die für uns arbeiten.
Philipp: Wir gehen bewusst Risken ein und machen uns autonomer. Wir haben jetzt wieder ein Stück mehr Verantwortung übernommen und mit Sultan Günther Music eine eigene Plattenfirma gegründet. Dort kommt auch das neue Album raus. Das ist natürlich riskant, weil wir wenig Erfahrung haben auf dem Gebiet, aber wir lernen auch viel darüber, wo man die Fäden zieht und wo man Geld reininvestiert und wo nicht und wo lohnt es sich. Vielleicht fallen wir auf die Schnauze bei bestimmten Punkten, wo wir völlig falsche Entscheidungen getroffen haben, aber dann macht man es halt beim nächsten Mal besser.