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Sophie Strohmeier Philadelphia

Film, Film, Film

22. 1. 2015 - 14:56

Being Casanova

Casanova Variations: Film liebäugelt mit Oper, John Malkovich singt.

"You were my sexual awakening" seufzt eine Zuschauerin, die irrtümlich hinter das Bühnenbild geraten ist.

Mindestens seit seinem Auftritt als Vicomte de Valmont in Stephen Frears' Dangerous Liaisons (1988) ist John Malkovich genau jenes Gesicht, das Kinozuschauer für einen Casanova im Kopf haben. Malkovich selbst spielt in Casanova Variations bewusst darauf an, indem Malkovichs Starpersona mit Giacomo Casanovas Biographie, diese wiederum mit Mozart-Opern vertauscht wird.

Filmstill Casanova Variations

Amour Fou Film

Casanova erhält Besuch von Schriftstellerin Elisa van der Recke (Veronica Ferres)

Die berühmten Libertins der Zeit vor der französischen Revolution - Casanova, Don Giovanni, Valmont - wurden in der bisherigen Filmgeschichte von so unterschiedlichen Interpreten wie Tony Curtis, Colin Firth, Heath Ledger, Marcello Mastroianni, Ryan Philippe, Vincent Price, Ruggero Raimondi und Donald Sutherland dargestellt. Und so ist es umso passender, dass ein Schauspieler, der in seiner Filmographie immer wieder mit seiner Freigeistigkeit und dem Kult um seine Person kokettiert, sich nochmals (und auf jene latent homosexuelle Art, wie es eben nur eine Darstellung von Casanova möglich macht) mit dieser Figur vereinigt.

Operntheaterdokuspielfilm

Casanova Variations ist die filmische Fortsetzung des hybriden Bühnenkammerspiels Giacomo Variations (2013) von Michael Sturminger, unter musikalischer Leitung von Martin Haselböck; die New York Times rollte damals angesichts der beliebig wirkenden Arien-Auswahl mit den Augen und nannte das Ganze “Mozart meets ‘Mamma Mia!’”.

In der noch viel hybrideren filmischen Form betritt Malkovich eine Mischung aus Opern- und Theaterbühne, dazwischen laufen dokumentarhafte Aufnahmen hinter Bühne und Zuschauerraum. Eine weitere Dimension bilden Geschehnisse aus dem Leben und Denken Giacomo Casanovas (in Nebenrollen spielen u. A. Veronica Ferres und Fanny Ardant), welches dann wiederum auf der Bühne gespiegelt abläuft und besungen wird (es singen u. A. Opernstars wie Jonas Kaufmann und Miah Persson). Und: obwohl ein Bariton (Florian Boesch) ihn in kleinen Szenen “doubelt”, singt John Malkovich auch mit. Und er singt gar nicht gut, denn er ist John Malkovich, ein Filmstar, und kein Opernsänger. Aber es scheint ihm Freude zu bereiten, und das funktioniert irgendwie sogar für den Zuschauer. Außerdem: bei dem super Terzett “Cosa sento!” aus dem 1. Akt von Le nozze di Figaro - da möchte man doch einfach mitsingen.

Filmstill Casanova Variations

Amour Fou Film

Malkovich als Malkovich und der Gesangsunterricht

Und hier zeigt sich ein großer Vorteil der Filmkunst gegenüber den anderen narrativen Künsten: seine einfache Inkorporation von Musik. Es ist vielleicht unfair, aber ein Film mit herrlicher Musik hat einen Vorteil gegenüber einem Film ohne. Deshalb funktioniert es auch, wenn Sturminger berühmte Opernarien aneinanderreiht und zu einem neuen Narrativ verbindet - wie eine geshuffelte Youtube-Playlist, die unweigerlich eine neue, immerfort unterhaltende Handlung ergeben wird.
Obwohl keine Kenntnis der Opern vorausgesetzt wird, ist Casanova Variations ein Film für Menschen, die Mozarts Musik und Lorenzo Da Pontes verrückte Worte und Figuren lieben. Dann kann der Film nicht anders, als Spaß machen.

Arien Mash-Up

Bei Casanova Variations steht nicht nur Don Giovanni im Vordergrund, es kommen auch die restlichen Opern der Kollaboration zwischen Mozart und Lorenzo da Ponte zu Ohr: so auch das moralisch-ambivalente Così fan tutte und diverse explosive Arien aus Le nozze die Figaro.

Alle Arien werden leicht verändert und außerhalb ihres ursprünglichen Kontexts gespielt. Für den Operngeher ist so eine Auflösung erfrischend, da die Musik und ihre performative Dringlichkeit bewahrt und nicht – wie es häufig in der kunstigen Wiener-Festwochen-Welt gerne gemacht – verdammt oder beurteilt wird (z.B. Michael Hanekes lächerliche ernsthafte Inszenierung von Così fan tutte, die unlängst in Wien gelaufen ist: Dort hatte sich jemand sehr bemüht, einen satirischen, aber doch lustvollen Blick auf die Rätsel der Treue und Liebe zu einem bourgeoisen Strindberg-Eiswürferl-Stückchen zu pervertieren, - Aussage: Menschen sind so, so furchtbar! - weshalb der Zuschauer sich am liebsten von der nächsten Loge gestürzt hätte.)

In Casanova Variations hingegen stehen Szenen aus Figaros Hochzeit wie im Theaterstück von Beaumarchais für eine Auflösung von Strukturen, Ständen und Geschlechtern; für das pure, subversive Chaos der Gefühle und der Lust.

Marcello Mastroianni und Hanna Schygulla

Gaumont

La nuit de Varennes: Casanova singt Mozart.

Casanova Variations läuft ab 23.1.2015 in österreichischen Kinos

Das ist das Geile und Unverstaubte an Mozart und Da Ponte. Als einst Marcello Mastroianni und Hanna Schygulla als Casanova und Marie Antoinette’sche Hofdame in Ettora Scolas Roadmovie La Nuit de Varennes (1987) durch die Pampa latschten, konnten sie auch nicht anders, als Arien aus Don Giovanni zu singen.

Casanova ist der berühmteste Freigeist einer untergehenden Gesellschaft; zudem ist er ein Symbol, das naturgemäß mit dem unvermeidlichen Altern, der Sexualität und dem Tod in Verbindung gebracht wird. Die Musik rund um ihn aber kämpft gegen die versteinerte Scheiße des Bürgertums und wird es noch lange tun.
«Viva la libertá!»