Erstellt am: 21. 1. 2015 - 13:43 Uhr
Emotional Landscapes
Die Fans waren nicht unbedingt begeistert vom Björk-Gate, dem unfreiwilligen Album-Leak vor ein paar Tagen, der Björk dazu gezwungen hat, ihr neues Album schon jetzt, Mitte Jänner, digital zu verkaufen. Man hätte sich ja schon auf monatelange "Vorfreude" und "Gerüchteküche" eingestellt. Hie und da wäre ein Informationskrümel über angebliche und echte Kollaborationspartner, erste Tracklistings, Preview-Tracks, Artworkentwürfe auf den Musikblogs erschienen, und dann Ende März das große Rollout des neuen Björk-Werks, mit Video, großer MoMA Retrospektive in New York, Festivalkonzerten etc.
Doch dann rutschen die Tracks ins Netz, und zack, kaum steht man in der Früh auf, muss man feststellen, dass es eine Björk-Platte gibt. Zumindest Digital, der Vinyl- und CD-Release wird erst im März nachgeholt.
One Little Indian
Dabei ist der richtige Build-Up für den ultimativen Popmoment fast so wichtig wie die Musik selbst. Im Gegensatz zu Madonna, die wegen ihres geleakten "Rebel Heart"-Albums auch zu einem digitalen Pre-Release gezwungen wurde und das mit entsprechend grantigen Wortmeldungen kommentierte, hat Björk die Fassung bewahrt und ihr Album einfach auf Itunes gestellt. „I am so grateful you are still interested in my work !!” schreibt sie auf Facebook. Danke liebe Björk!
808s and Heartbreak
In einem Jahr werden wir das natürlich alles längst vergessen haben. Was bleiben wird, ist ein – aufs erste Hören - etwas zugänglicheres Album der Isländerin. Vielleicht liegt das daran, dass sich Björk wieder einmal den „emotional landscapes“ widmet. Nach ihren Ausflügen in Kunstmusik („Drawing Restraint 9“) und Naturwissenschaften („Biophila“) ist sie für „Vulnicura“ beim Heartbreak angekommen. Drei Songs vor und drei Songs nach einer Trennung erzählen davon – in allen emotionalen Details. Im Booklet sind ersten sechs Songs auch feinsäuberlich datiert "3 months before", "2 months after" etc. und bilden den konzeptuellen Kern der Platte.
„Give me some emotional respect“ singt sie im ersten Song „Stonemilker“, in dem sich das Unglück schon ankündigt. In der Mitte wartet der „Black Lake“, zehn Minuten lang Hass und Verbitterung - „you have nothing to give, your heart is hollow“ - begleitet von Streichern und einem fast toten elektronischem Puls. Die Familienstiuation (ganz klassisch als „father mother child“ beschrieben) bröckelt. Am Ende steht die Einsicht: „We carry the same wound, but have different cures.“
Danach kommen noch drei Stücke, wenn man so will der Epilog. „Atom Dance“ dockt textlich an das Biophilia-Universum an und featured Antony, den alten Freund der Familie, als Gesangspartner. Wenn Disneys Arielle in einem Avantgarde-Paralleluniversum gemacht worden wäre, hätte dieser zarte Tanz der Transformation mitten in rosa Korallenriffen der Soundtrack sein können.
Die Musik
Björks musikalischer Hauptpartner auf „Vulnicura“ ist Arca, über den sie über dessen 2013er Mixtape gestolpert war. Damals war er noch nicht als Producer von Acts wie FKA Twigs oder Kanye West aufgefallen. Mittlerweile gilt er als einer der wichtigsten Klang-Architekten, wenn es um zeitgenössische elektronische Popmusik geht. Sein Soloalbum, dass Ende 2014 in der Auskenner-Presse in diversen Jahreswertungen auftauchte, hat diesen Ruf nur zementiert.
Die musikalischen Freundschaften von Björk waren immer schon anderes gestrickt, als die übliche "ich kaufe mir einen Hipster-Producer für den Imagetransfer"äMethode, die von anderen Popkünstlern, die schon länger im Geschäft sind, so inflationär gebraucht werden. Insofern fällt Arcas musikalischer Input weniger ins Gewicht als vielleicht angenommen. Eine Björk Platte ist immer in erster Linie eine Björk Platte. Auch Haxan Cloak, ein düsterer Industrial-post-goth-Musiker, war an „Vulnicura“ bei der einen oder anderen Nummer beteiligt und trotzdem ist es kein verspäteter Gruß aus der Witchhouse-Küche. Der Sound wird vor allem von Streichern getragen, von Björk selbst angeleitet und arrangiert, die Beats, Klicks und Glitches erinnern beim ersten Hören durchaus an ihre Arbeiten mit dem unlängst überraschend verstorbenen Langzeit-Musik-Partner Mark Bell.
Wie sperrig ist sperrig?
Björk bleibt auch weiterhin dem Kunstlied treu. Das ist auf „Vulnicura“ nicht anders als auf ihren letzten vier, fünf Platten. Auch das Konzept „Konzept“ bleibt erhalten. Die Herzensbruchsuite ist musikalisch ambitioniert und den Planeten Pophit umkreist Björk weiterhin mit sicherem Abstand. Die Lyrics sind diesmal allerdings weit eindeutiger und deskriptiver als zuletzt, dem einen oder anderen sicherlich schon zu „offenherzig“.
Die Frage nach dem autobiografischen Gehalt wird sicher nicht nur in den Fanzirkeln heftig diskutiert werden, immerhin hat sich Björk ja mittlerweile von ihrem Langzeitpartner, dem Künstler Matthew Barney getrennt, wie man als Indie-Gossip-Freund mit Schrecken zur Kenntnis genommen hat. Das Cover mit zitronengelben Verlauf und Björk als stacheliges Fabelwesen ist jedenfalls bunter als Inhalt und Form von „Vulnicura“.
Auf die ersten Videos, die auch das optische Konzept wohl noch klarer machen, werden wir noch ein bisschen warten müssen. Leak hin oder her.