Erstellt am: 21. 1. 2015 - 16:55 Uhr
O Tempora, O Mores!
- gemeinfrei -
Zwei Russen wurden neulich verhaftet, weil sie das Lenin-Mausoleum in Moskau mit Weihwasser bespritzt haben. Die Verhafteten sind Teil der Künstlergruppe „Blue Rider“. Laut deren Sprecherin wollten sie mit der Aktion den Mythos von Lenins Unsterblichkeit auflösen, indem sie versuchen Lenin auferstehen zu lassen. Genau wie Jesus, Lazarus auferstehen ließ. Als sie den Mausoleum begossen, schrien die beiden Russen: „Steh auf und verschwinde!“. Danach wurden sie schnell verhaftet. Wahrscheinlich müssen wegen Unruhestiftung eine Weile im Gefängnis bleiben.
Über das Mausoleum von Lenin wir seit dem Zerfall der Sowjetunion und bis zum heutigen Tage diskutiert. Die Nachfolger der russischen Kommunisten betrachten es immer noch als eine heilige Pilgerstätte. Für die heutigen Anführer von Russland ist es eine riesige Einkommensquelle. Der Eintritt im Mausoleum ist zwar gratis, man muss aber alle seine Sachen an der kostenpflichtigen Garderobe lassen. Die Einkommen daraus sind gewaltig. Das Lenin-Mausoleum ist immerhin eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Moskaus.
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Es ist bekannt, dass Lenin selbst nicht mumifiziert, sondern begraben werden wollte. (Es ist allerdings unklar, ob das nicht ein weiterer Teil der Legende über die Bescheidenheit des Anführers des Weltproletariats ist. Gewiss ist allerdings, dass Lenin in den letzten Jahren seines Lebens nach mehreren Schlaganfällen und möglicherweise auch wegen einer fortgeschrittenen Syphiliserkrankung nicht ganz klar im Kopf war).
In meiner Geburtsstadt Sofia gab es auch ein Mausoleum – vom ersten bulgarischen Kommunistenanführer Georgi Dimitrov. Dimitrov war ein bekannter Mitwirkender der Kommunistischen Internationalen in den 30er-Jahren des 20. Jahrhundert. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten beschuldigt, dass er an der Brandstiftung am Reichstagsgebäude in Berlin am 27. Februar des gleichen Jahres teilgenommen hatte. Er wurde allerdings von dieser Anschuldigung freigesprochen und schließlich in die Sowjetunion abgeschoben. Dort verbindet man seinen Namen mit den stalinistischen Säuberungen. Er kommt zusammen mit der roten Armee zurück nach Bulgarien und wird zum Symbol des stalinistischen Kommunismus. Er stirbt 1949 in Folge einer banalen Leberzirrhose, die er wegen systematischen Alkoholismus bekommen hatte.
CC-BA-SA-3.0 / Angela Monika Arnold, Berlin
Die Bulgaren sind nicht so gute Geschäftsleute wie die Russen und nahmen Dimitrov schon 1990 aus seinem Mausoleum heraus und begruben ihn. Für eine Weile wurde das leere Mausoleum in Sofia von der angehenden Werbebranche in Bulgarien verwendet. Ich erinnere mich, dass aufgrund der Filmpremiere von „101 Dalmatiner“ das weiße Mausoleum mit schwarzen Flecken beklebt wurde. Das war der größte kubistische Dalmatiner der Welt.
Ende der 1990er Jahre wurde das Mausoleum in Sofia gesprengt. Daran erinnere ich mich ganz gut. Man könnte die Sprengsätze eine Woche lang in der ganzen Stadt hören. Böse Zungen behaupteten, dass das Mausoleum schneller gebaut, als gesprengt wurde. Es hieß, dass seine Stahl-Beton-Konstruktion stark genug ist um eine Atombombe auszuhalten.
Dimitrovs Nachfolger in Bulgarien, Todor Zhivkov, hat einmal auf einem KPSS(Die Kommunistische Partei der Sowjetunion)-Kongress gesagt: „Falls der Genosse Lenin jetzt auferstehen könnte, dann würde er sagen „браво, молодцы ребята!” (Ihr habt es toll gemacht Burschen!)“ Lenin stand nicht auf und gratulierte niemandem.
Vielleicht könnte er jetzt auferstehen, nachdem der mit Weihwasser begossen wurde? Falls er es tatsächlich macht, wird es aber nicht aufgrund der Kunstaktion in Moskau passieren. Denn die Politik von Putin ließ schon Stalin auferstehen. Lenin ist der nächste, er und Putin sind ja irgendwie Kollegen: Lenin war ein deutscher Agent in Russland und Putin ein sowjetischer in Deutschland.