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Pia Reiser

Filmflimmern

23. 1. 2015 - 10:34

Mensch und Maschine

"The Imitation Game" ist pomadiertes und rausgeputztes Seitenscheitelkino, das stolz das "True Story"-Abzeichen trägt. Trotz Benedict Cumberbatch ein Stück allzu formelhaftes Kino, das nach dem Oscar schielt.

"Are you paying attention?", richtet Mathematiker, Logiker, Kryptoanalytiker und Codeknacker Alan Turing die Frage zu Beginn des Films an den ihn verhörenden Kommissar, aber natürlich gilt die Frage auch dem Kinopublikum. Und wie könnte die Antwort eine andere als Ja sein, wenn es Benedict Cumberbatchs so nah an Alan Rickmans Klang gebaute Stimme ist, die diese Frage stellt.

"I will not pause, I will not repeat myself, and you will not interrupt me. You think that because you’re sitting where you are and I am sitting where I am, that you are in control of what is about to happen. You are mistaken. I am in control. Because I know things that you do not know.", fährt Turing fort und man kann nicht umhin, an eine andere Figur Cumberbatchs zu denken, die ähnlich wohlformuliert und von sich selbst überzeugt spricht: Sherlock Holmes, in dessen wahnwitzig gut geschnittenen Mantel Cumberbatch für die BBC Serie "Sherlock" geschlüpft ist. Und es bleibt nicht bei der einen Ähnlichkeit. Zwar ist Sherlock Fiktion und Alan Turing nicht, doch beide Briten sind umweht von Genialität in Sachen Rätsellösen und Dechiffrieren und beide sind im täglichen Umgang nicht die Einfachsten, manchmal nicht fähig oder nicht interessiert, sich den Konventionen menschlicher Kommunikation und Interaktion zu beugen.

Benedict Cumberbatch in "The Imitation Game"

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Als "high functioning sociopath" bezeichnet sich Sherlock selbst, "mother says I can be a little off putting sometimes", so Turing in einer der vielleicht einnehmendsten Szenen von "The Imitation Game". Da sitzt er im Jahr 1939 gegenüber Commander Denniston (Charles Dance) und versucht den von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass der britische Geheimdienst ihn engagiert, um Enigma zu knacken. Enigma, die Chiffriermaschine der deutschen Wehrmacht, "the crooked hand of death itself", wie sie im Film bezeichnet wird. In Bletchley Park, einem Landsitz ca. 70 Kilometer außerhalb von London, befindet sich die "Government Code and Cypher School". An die 9000 Menschen arbeiten hier an der Dechiffrierung des Nachrichtenverkehrs der Deutschen, und nun eben auch Turing mit einer kleinen Gruppe an der Entschlüsselung der Enigma.

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One Turing to rule them all

Unser täglich Code

Was die Enigma unter anderem so besonders macht ist, dass ihr sogenanter Tagesschlüssel jeden Tag gewechselt wird, man hat nur einen Tag, um die Nachrichten des jeweiligen Tages zu entschlüsseln, Punkt Mitternacht muss man von vorne beginnen; eine Sisyphosarbeit für die Seitenscheitelträger (außer Turing noch drei weitere Männer und eine Frau). Dass die Beendigung des Krieges und der Sieg über die Deutschen eventuell von dieser Entschlüsselung abhängen, macht die Arbeit nicht unbedingt einfacher.

There is no "I" in Team

Turing wird Teil eines Teams, das Tag für Tag und Nacht für Nacht versucht, aus den 159 Trillionen Möglichkeiten den richtigen Schlüssel zu finden. Wobei, natürlich wird Einzelgänger Turing ganz und gar nicht Teil eines Teams. Im Alleingang baut er eine elektromechanische Maschine, sie soll schaffen, woran die hochbegabten Kryptoanalytiker scheitern: Enigma zu knacken. Turing ist der seltsame Außenseiter, ein Meister im Entschlüsseln von Codes, aber nicht in der Lage freundlichen Smalltalk zu führen. Ironie prallt bei ihm auf Unverständnis und seine fast kindliche Angewohnheit, alles Gesagte wörtlich zu nehmen, lässt einen nicht umhin kommen, sein Verhalten als eine Form von Autismus zu deuten.

constantin

Seltsamer Kauz

Nun kann (und muss) ein Film natürlich nie die Wirklichkeit abbilden, auch dann nicht, wenn die Geschichte, die er erzählt, auf einer wahren Geschichte beruht. Doch es ist mehr als irritierend, wenn man nachliest und entdeckt, dass Turing nicht der antisoziale innere Waldschrat war, wie er in "The Imitation Game" porträtiert wird. Wie man hier nachlesen kann, wird Turing von früheren Kollegen als "very approachable man" beschrieben. Üblicherweise zeigt Hollywood geschichtliche Persönlichkeiten in schmeichelhafterem Licht (naja, außer Nixon, aber zaubern kann auch Hollywood nicht), warum also bemüht sich "The Imitation Game" aus Turing eine unnahbare Figur zu zimmern?

Benedict Cumberbatch in "The Imitation Game"

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Da Alan mit seiner Maschin

Das Kino und vor allem das Fernsehen der letzten Jahre hat einen Narren an Figuren gefressen, die sich alle am ähnlichen Punkt des Autismus-Spektrum befinden: Hoch intelligent und Insel-begabt, aber schwierig bis unfähig zu funktionierender, alltäglicher Kommunikation. Die Entwicklungsstörung wird mit einem Dasein als Genie gleichgesetzt, nun aber, soweit sich das heute sagen lässt, war Turing ein Genie, aber kein Autist. Doch es wird klar, was Drehbuchautor Graham Moore an dieser Andeutung gereizt hat. Durch die Darstellung Turings als Ausgeburt des Rationalen, der in Gesprächen beinah roboterhaft agiert, wird der Bau seiner Maschine, die Enigma entschlüsseln soll, emotional aufgeladen. Er, der Einzelgänger, der Unverstandene ohne Freunde, baut sich einen Kompagnon aus Drähten und Kabel.

Christopher a.k.a. Bombe

Tatsächlich scheint Turing seine Dechiffrier-Maschine mehr zu schätzen als viele seiner Mitmenschen - zumindest will uns das der Film glauben machen - und lässt den Mathematiker die Maschine Christopher taufen. Nach seinem verstorbenen Schulfreund und seiner ersten (wenn auch heimlichen) Liebe. Jenen Christopher gab es tatsächlich, nichtsdestotrotz trug die riesige Maschine einen weitaus weniger prosaischen und romantischen Namen: Bombe.

Benedict Cumberbatch in "The Imitation Game"

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Teestubenromantik im Krieg

Apropos Bombe: In kleinen Dosen zeigt "The Imitation Game" immer wieder schwarz-weiße Dokumentaraufnahmen des Zweiten Weltkrieges. Die tatsächlichen wenigen Szenen, die sich mit den unmittelbaren Konsequenzen des Krieges beschäftigen sind bizarr pittoresk. Es scheint, als würde der lästige Bombenalarm bloß die kuschelige Tweed und Teestubenromantik stören. In den U-Bahn Schächten kauert die Londoner Bevölkerung bei Bombenalarm, die Kamera fängt elegant gekleidete Damen ein, hübsche Kinder in noch hübscheren Mäntelchen, dicht aneinandergekauert und ein Mann, der Akkordeon spielt. Auf den Straßen wird gemeinschaftlich der Schutt der zerbombten Häuser weggeräumt, eine ältere Dame reicht einem Herren auf einem Schutthaufen eine - was sonst - gute, heiße Tasse Tee im guten Porzellan. Es wirkt wie Krieg, wie ihn sich Amelie Poulain vorstellt.

Der Titel "The Imitation Game" bezieht sich auf den Titel eines Experiments, das in einer von Turings Publikationen beschrieben wird und das Imitieren ist auch ein Grundthema des Films. Turing imitiert das menschliche Alltagsverhalten, das gemeinhin als normal angenommen wird. Etwas vortäuschen, was man nicht ist, das muss Turing schon lange, denn homosexuelle Handlungen sind in England (bis 1967) strafbar. Der Auseinandersetzung mit Turings Gefühlsleben weicht der Film allerdings aus, nie sehen wir ihn mit einem Liebhaber. Und umso weniger einleuchtend wird plötzlich auch der emotional aufgeladene Bau der Maschine: Warum Emotionalität konstruieren anstatt von Turings Privatleben zu erzählen?

Dieses Ausblenden wird gegen Ende des Films auffällig, wo sich "The Imitation Game" kurz dann dem bitteren und tragischen Ende des genialen Mannes widmet: 1952 wird er wegen "homosexueller Handlungen" angeklagt und wählt Hormonbehandlungen (chemische Kastration) als Alternative zu einer Gefängnisstrafe.

Dass er zwei Jahre später an einer Zyanid-Vergiftung stirbt (Selbstmord, sagt der Film, es gibt aber auch die Unfall-Theorie), davon erzählt nur mehr der Abspann. Fast wirkt es so, als wollte Regisseur Morten Tydlum einem die Laune nicht verderben und hinterlegt die Worte zum Tode Turings mit Bildern aus glücklichen Tagen: Der Codeknacker und seine Kollegen stehen glücksstrahlend an einem Feuer und verbrennen nach Entschlüsselung der Enigma - auf Geheiß des Geheimdienstes - ihre Unterlagen. Und wer schon mal im Kino war, weiß, dass ein Bild meistens sehr viel stärker ist (und nachhallt) als abzulesende Worte. So wirkt die Thematisierung von Turings Homosexualität halbherzig und gehudelt.

Keira Knightley in "The Imitation Game"

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"The Imitation Game" ist für acht Oscars nominiert - und apropos Oscars: Auch dieses Jahr gibt es wieder den Liveticker zur Oscarnacht!

Die leichte Enttäuschung über den wohlmeinenden und betulichen Film setzt allerdings erst danach ein, währenddessen ist man durchaus gefangen in etwas, was man wohl Schauspielkino nennt. Cumberbatch macht das, was er immer macht, er brilliert und wird flankiert von einem exzellenten Cast. Ich könnt ja auch zwei Stunden Matthew Goode beim Rauchen zusehen. Der Film ist "this year's 'The King's Speech'", nur, dass er wohl keine Oscars mit nach Hause nehmen wird. Dabei würd' er das so gerne, "The Imitation Game" ist pomadiertes Seitenscheitelkino, das die Banderole "True story" mit stolz geschwellter Brust trägt und in jeder Szene ein auf den Oscar schielendes "For your consideration" eingewebt zu haben scheint.

Wer ein ganz großes Herz hat, kann die Formelhaftigkeit und die Berechenbarkeit als Konzept und Hommage an die Codeknacker sehen. Allen anderen bleibt vielleicht als Kernstück des Films die Verbindung zwischen Alan Turing und seiner Codeknacker-Kollegin Joan Clarke, Freundschaft, Zuneigung und Zweck-Verlobung als Bündnis gegen eine sexistische und homophobe Umgebung. "I know it's not ordinary. But who ever loved ordinary?", beschreibt Clarke diese Beziehung. Schade nur, dass "The Imitation Game" über ordinary nicht hinausgeht.