Erstellt am: 20. 1. 2015 - 19:00 Uhr
"TTIP-Investorenschutz verfassungswidrig"
Das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP steht diese Woche im Fokus des EU-Parlaments. Am Dienstag fanden in zwei Ausschüssen Aussprachen zum Thema statt, am Mittwoch diskutiert der federführende Handelsauschuss (INTA) über den Zwischenstand, zwei weitere Auschüsse folgen am Donnerstag. Für alle sechs Auschüsse gilt dabei freilich, dass der tatsächliche Verhandlungsstand den Parlamentariern nicht bekannt ist.
Eine am Freitag erschienene ausführliche Rechtsmeinung des deutschen Verfassungsrechtlers Siegfried Broß zum Investorenschutz (ISDS) im TTIP kommt zum Schluss, dass "die Einrichtung privater Schiedsgerichte verfassungswidrig" sei, weil dadurch "eine autonome Rechtsordnung" entstünde, "die allein von den privaten Schiedsgerichten definiert würde". Auch der Wiener Völkerrechtsprofessor Erich Schweighofer hält die derzeitige Praxis im Umgang mit Investorenschutz für verfassungswidrig. Knackpunkt dabei ist die massive Abtretung von staatlichen Souveränitätsrechten an private Schiedsgerichte.
"Die Einräumung eines Klagerechts ausländischer Unternehmen gegen einen Vertragsstaat vor einem nichtstaatlichen Gericht", bedeute, dass dieser Staat "seine Souveränität und Gestaltungsmacht im Völkerrechtsverkehr" aufgebe, heißt es in der Rechtsmeinung des ehemaligen deutschen Verfassungsrichters Broß. Dafür gebe "es keine Legitimation nach deutschem Verfassungsrecht."
Aktuell dazu auf ORF.at
Die Aussagen von EU-Kommissarin Cecilia Malmström am Dienstag in Wien, dass der Rahmen für TTIP, nur "mit etwas Glück" bis Ende 2015 stehen werde, bestätigen diesen Bericht vom 11. Jänner über den weitgehend rudimentären Stand der Verhandlungen.
"Der Kern staatlicher Souveränität"
"Hier ist Broß zuzustimmen, allerdings" gelte es vorher, eine "Abwägung anhand der Dimension des jeweiligen Vertrags zu treffen", sagte Erich Schweighofer dazu. Es gehe dabei nämlich um das Ausmaß der staatlichen Rechtskompetenzen, die in einem Vertragswerk an ein nichtstaatliches Gremium abgegeben würden. Bi- oder multilaterale Verträge auf Staatenebene seien davon nicht betroffen, denn die seien rechtlich grundsätzlich gedeckt. Die zentrale Frage sei, sagte Schweighofer, ob der "Kern der staatlichen Souveränität" aufgegeben und sozusagen privatisiert werde.
CC-BY-SA-3.0 - Erich Schweighofer
Wenn es sich um ein für den Staat insgesamt relativ unbedeutendes Abkommen handle, das einige wenige Rechtsentscheidungen an ein nichtstaatliches Gremium wie ein Schiedsgericht abtrete, sei auch nichts gegen solche Klauseln einzuwenden. "Ein so umfassendes Abkommen wie TTIP, das in fast alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens eingreift, ist meiner Auffassung nach jenseits dieser Grenze", so der Wiener Völkerrechtsprofessor zu ORF.at.
ISDS, Lebensbereiche
Tatsächlich überspannt das Abkommern vom Energiesektor Gesundheit über Ernährung, Umwelt- und Dienstleistungen etc. so ziemlich alle denkbaren Lebensbereiche und damit auch der darin vorgesehene Investorenschutz. Der ermöglicht es ausländischen Konzernen, einen Staat unter den TTIP-Klauseln vor einem privat besetzten Schiedsgericht zu klagen, wenn sich durch Gesetzesänderungen Nachteile für die Unternehmen ergeben. Die Ergebnisse einer diesbezüglichen öffentlichen Konsultation durch die EU-Kommission sprechen für sich (siehe rechts).
Wegen der hohen Beteiligung - mehr als 150.00 Stellungnahmen gingen ein - musste die Frist verlängert werden. Letztlich kam eine ISDS-Ablehnung von 97 Prozent heraus.
Wegen der anhaltenden Proteste wurde der Investorenschutz 2014 bekanntlich ausgeklammert und soll erst nach einer Einigung auf das Vertragswerk selbst nachverhandelt werden. Seitdem rücken sowohl die Kommission, vor allem aber die Parlamentarier von den ursprünglich vorgesehenen ISDS-Klauseln ab.
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Der EU-Handelsauschuss und ISDS
"In Anbetracht der hochentwickelten Rechtssysteme in Europa und den USA stellen zwischenstaatliche Schiedsgerichtsysteme beziehungsweise die nationalen Gerichtsbarkeiten die angemessensten Instrumente zur Streitbeilegung dar", heißt es dann auch im aktuellen Arbeitspapier des EU-Abgeordneten Bernd Lange (SPE), dem Vorsitzenden im Handelsauschuss (INTA) des Parlaments. Wenn ISDS-Regelungen im Abkommen enthalten seien, dann seien weitere Reformen dieser Verfahren notwendig, die bei bestehenden Freihandelsverträgen Probleme mit sich gebracht hätten, so das INTA-Dokument.
Die erste Serie der von der EU-Kommission veröffentlichten TTIP-Dokumente dokumentieren einen Verhandlungsstand mit "sehr viel Potenzial nach oben".
Gemeint ist damit die Welle der Kritik an immer mehr Klagen internationaler Großkonzerne gegen Staaten vor verschiedenen solchen Schiedsgerichten dieser Art. Klagsgegenstand sind wie in der Sache Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland entgangene zukünftige Erträge aus den deutschen Atomkraftwerken des schwedischen Energiekonzerns, die nach dem Atomausstieg der deutschen Bundesregierung abgestellt werden mussten.
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Als weiteren gravierenden Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze sieht der deutsche Verfassungsrechtler Broß dabei sowohl die Organisation der Schiedsgerichte wie auch das angestrebte ISDS-Verfahren, das beides "den für Gerichte anerkannten rechtsstaatlichen Grundsätzen" widerspreche. Denn: "Elementar ist rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren deren Öffentlichkeit", die gesamten TTIP-Verhandlungen werden jedoch unter Auschluss der Öffentlichkeit geführt. Die offiziellen Briefings für "TTIP-Stakeholder" - diese Informationsveranstaltungen wurde erst auf massiven öffentlichen Druck eingeführt - geben ebenfalls keinen Einblick in den tatsächlichen Verhandlungsstand, EU-Abgeordnete wie auch die breite Öffentlichkeit erfahren dies ausschließlich durch Leaks.
Die Rechtsmeinung von Verfassungsrechtler Broß ist Teil eines größeren Projekts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Transparenzregeln der UN
Um dieses rechtliche Dilemma aufzuheben, könnte man ganz einfach die neuen UNCITRAL-Regeln zur Transparenz bei derartigen Streitbeilegungsverfahren anwenden, sagte Schweighofer. UNCITRAL, die in in Wien angesiedelte Kommission für internationales Handelsrecht bei den Vereinten Nationen, hatte 2013 einen Transparenzpargrafen in ihr Regelwerk für Schiedsgerichtsverfahren eingefügt, der im April 2014 in Kraft getreten ist. Das wäre ein sehr brauchbarer Ansatz, dem bestehenden Rechtsdilemma zu entkommen, sagte Schweighofer zu ORF.at: "Leider wird dieser Ansatz noch zu wenig gelebt."
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ICSID und die Insider
Das Internationale Zentrum für Investment-Verfahren gehört zur Weltbank.
Der Schlussfolgerung des deutschen Verfassungsrechtlers Siegfried Broß, dass bei einer solch massiven Abtretung staatlicher Souveränitätsrechte nur zwischenstaatliche Schlichtungsgremien in Frage kämen, schließt sich Völkerrechtler Erich Schweighofer durchaus an. "Es ist unabdingbar, dass der Staat oder auch die Staatengemeinschaft die Zusammensetzung solcher Gerichte entscheidend mitbestimmen kann. Dies darf nicht den Insidern des ICSID überlassen werden", sagte Schweighofer. Das bei der bei der Weltbank angesiedelte Zentrum für Investment-Verfahren (ICSID) gilt zurzeit als die wichtigste Plattform für Investment-Streitigkeiten, unter den dort gelisteten Schlichtern sind auch fünf Juristen aus Österreich.
DrDr. Erich Schweighofer ist Professor für Rechtsinformatik-, Völker- und Europarecht und leitet die Arbeitsgruppe Rechtsinformatik an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät
Seitens der Kommission und anderer Befürworter werde zwar darauf hingewiesen, dass solche privaten Schlichtungsverfahren seit fünfzig Jahren bestünden, sagte Schweighofer. Das gelte aber längst nicht für die Anzahl und den Streitwert der Verfahren, beides sei in den letzten Jahren nachgerade explodiert. Während Schlichtungsverfahren ehedem seltene Ausnahmen waren, seien sie heute an der Tagesordnung und "inzwischen verdienen diese Schlichter ausgesprochen gutes Geld damit".
Das könnte natürlich das juridische Auge beim Abwägen schon etwas trüben, "soziale und umweltrechtliche Anliegen" landeten "in den Amicus-Curiae-Briefen" (Gerichtseingaben Dritter nach US-Vorbild) und würden dann ad Acta gelegt, sagte Völkerrechtsprofessor Erich Schweighofer abschließend.
Wie es weiter geht
Am Dienstag fanden sowohl im Justizqausschuss (JURI) wie auch dem Ausschuss für Konstitutionelle Fragen (AFCO) Aussprachen zum Thema statt. Am Mittwoch wird der federführende Handelausschuss dazu tagen, am Donnerstag sind dann die Ausschüsse für Inneres und für Entwicklung dran. Während der achten TTIP-Verhandlungsrunde ist in Brüssel auch ein öffentliches Event in Form eines sogenannten "Stakeholder-Treffens" angesagt.