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Paul Pant

Politik und Wirtschaft

21. 1. 2015 - 10:28

Aufruf der Sache: Der Staat gegen Josef S.

Vor fast genau einem Jahr ist Josef S. nach den Randalen beim Wiener Akademikerball verhaftet und später zu 12 Monaten teilbedingter Haft verurteilt worden. Bis heute kämpft er gegen das Urteil und beteuert seine Unschuld.

Es ist nicht sehr schwierig, einen Treffpunkt für ein ‚Blind Date‘ in Jena zu finden. „Wir treffen uns in der Mitte. Beim Hochhaus ist die Uni“, nuschelt mir Josef S. um zehn Uhr morgens ins Telefon, „in einer halben Stunde vor der Mensa“. Aufgelegt.

Der JenTower in der Stadtmitte ist das einzige Hochhaus in der überschaubaren Kleinstadt. Es soll sogar das höchste in den neuen deutschen Bundesländern sein. In DDR-Zeiten hatte der Turm das Aussehen eines Fernrohrs, da Jena mit dem Carl-Zeiss-Kombinat und seinen 60.000 Beschäftigten das Zentrum der feinmechanischen-optischen Industrie war.

Josef S. ist am 24. Jänner 2014 nach dem Akademikerball verhaftet worden. Der deutsche Student reiste aus Jena an, um gegen rechte Burschenschafter zu demonstrieren. Nach einem halben Jahr U-Haft wurde er zu 12 Monaten teilbedinger Haft verurteilt (nicht rechtskräftig).

Josef studiert in Jena Werkstoffkunde. Seit dem vergangenen Jahr ist er in Österreich neben Zeiss, Schiller und Hegel der wohl bekannteste Jenaer und vielleicht sogar der bekannteste Jenenser, die Bezeichnung für die echten Kinder der Stadt. Dass die Stadt sich solidarisch vor ihre Söhne und Töchter stellt, hat man im Verlauf des Prozesses gegen Josef eindrucksvoll sehen können. Selbst Oberbürgermeister Albrecht Schröter hat sich für den Aktivisten der Roten Falken eingesetzt und ihn für sein Engagement gegen Rechts mit einem Preis für Zivilcourage geehrt. Zum Prozess nach Wien kam sogar der SPD-Landtagsabgeordnete Henning Homann aus Sachsen angereist.

Josef zahlt nix

Die Solidarität für seinen Fall habe viel mit der Mentalität im Osten zu tun, erklärt Josef. Er führt mich stolz zu einer Litfaßsäule, auf der ein Sticker klebt, auf dem sein Wiener Polizeifoto zu sehen ist. Darauf steht: „Josef zahlt nix“. Später, beim Kaffeetrinken in einem beliebten veganen Lokal, weigert sich die Kellnerin, mein Geld zu nehmen. Sie winkt unwirsch ab und sagt: „Josef zahlt bei uns nix“.

Solidaritäts-Sticker in Jena für Josef S.

Radio FM4 / Paul Pant

Auf dem Solidaritäts-Sticker für Josef S. ist das Bild, das nach der Verhaftung von der Wiener Polizei aufgenommen wurde. Jetzt klebt das Bild in Jena auf Litfaßsäulen und in Lokalen, wo Josef aus Solidarität nicht mehr zahlen muss.

Solidarität

„Ich glaube bei meinem Fall haben viele Menschen gesehen, dass ein Exempel statuiert werden sollte“, sagt Josef. Das er Deutscher ist und zur Demo angereist war, das seien wohl starke Motive gewesen, ihm den Prozess zu machen, meint er heute. „Es gab schon den Willen zu zeigen, ok, so wollen wir das nicht haben (Anm. deutsche DemonstrantInnen in Wien) und da hat man vielleicht ein bisschen weniger auf die Fakten geguckt, sondern mehr auf die Stimmung, die danach in den Medien geherrscht hat“, so Josef. Und einmal mehr sagt er: „Ich habe an dem Tag nichts gemacht, wofür ich ins Gefängnis gehöre“.

Staatsanwalt Hans-Peter Kronawetter sprach im Gerichtsaal von kriegsähnlichen Zuständen und Demonstrationssöldnern.

Bei den dramatischen Schilderungen des Staatsanwaltes konnte man meinen, dass es in Wien Tote geben hätte, schrieb Florian Klenk im Falter. Und in der Presse stellte Oliver Scheiber fest: Wenn Akten Grundrechte verhöhnen

Tatsächlich gab es einen Sachschaden in der geschätzten Höhe von 500.000 Euro und 15 Festnahmen, 17 AktivistInnen und fünf PolizistInnen wurden verletzt.

Dienstnummer 30897

Das im Prozess zu beweisen, war allerdings schwierig. Ein einzelner Zivilpolizist, mit der Dienstnummer 30897, belastete den heute 24-Jährigen. Ausschließlich auf dessen Beobachtungen stützte sich die Anklage. Er sei einer der Rädelsführer der Randalierer gewesen, sagte der Beamte aus. Der Schöffensenat wertete die Ausführungen als glaubwürdig. Trotz widerlegter Zeitabläufe, Erinnerungslücken, Widersprüchen und nachträglich korrigierter Aussagen wurde Josef im Verfahren zu 12 Monaten teilbedingter Haft verurteilt (nicht rechtskräftig): wegen Landfriedensbruchs in Rädelsführerschaft, versuchter schwerer Körperverletzung und schwerer Sachbeschädigung.

Die Beweisführung der Verteidigung, dass sich der Beamte in vielen Details geirrt hatte, wurde vom Gericht nicht gewürdigt. Dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ entgegnete Richter Thomas Spreitzer mit dem Grundsatz „der freien Beweiswürdigung“ vor Gericht. Es sei nicht an den Ausführungen des Polizisten zu zweifeln, sagte der Richter bei der Urteilsverkündung.

Die Haft

Durch die lange Untersuchungshaft von sechs Monaten konnte Josef die Gefängniszelle nach dem Urteil wieder verlassen. Den unbedingten Teil der Haftstrafe in der Höhe von vier Monaten hatte er da bereits abgesessen. Das kommt in Österreich durchaus häufig vor und wird oft als einer der ersten Kritikpunkte genannt, wenn es um das österreichische Justizsystem geht. Nicht zuletzt durch den Umstand dass ein Untersuchungshäftling weniger 'Freiheiten' und Betätigungsmöglichkeiten hat als ein normaler Häftling, sondern auch längere Einschlusszeiten in den Zellen von bis zu 23 Stunden. „In sieben Tagen hatte ich eine Stunde Leben, sozusagen, wenn ich Besuch bekommen habe, und der Rest war ein Überleben“, schildert Josef die U-Haft.

Es sei eine harte Zeit und eine große psychische Belastung gewesen, erzählt er weiter. Die ersten Tage habe er sich vor seinen Mithäftlingen gefürchtet, da er davor nichts mit Justiz, Polizei und „Kriminellen“ zu tun gehabt habe. Nach einiger Zeit hätten sich aber viele Dinge hinter den Gefängnismauern relativiert und aufgehoben. Einmal habe er sogar Gottfried Küssel (wegen Wiederbetätigung zu neun Jahren Haft verurteilt) aus der Ferne gesehen. Mit dem habe er sich zwar nicht unterhalten, er konnte aber sehen, wie sich dieser mit einem Schwarzen freundlich ausgetauscht hat. „Auch das gibt es im Gefängnis“, sagt Josef.

Josef S. auf dem Marktplatz in Jena

Radio FM4 / Paul Pant

Josef in seiner Heimatstadt Jena auf dem Marktplatz, neben dem Hanfried, einer Bronzefigur zum Gedenken an Johann Friedrich I. von Sachsen, dem Begründer der Uni der Stadt.

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Kampf für einen Freispruch

Das Thema WKR-Ball bzw. Gerichtverfahren wird Josef auch dieses Jahr noch nicht hinter sich lassen können. Er hat eine Nichtigkeitsbeschwerde eingebracht. Diese zielt auf einen Freispruch ab. Denn dieser ist nur dann möglich, wenn der Prozess neu aufgerollt wird. Da das Urteil von einem Schöffensenat gefällt wurde, gibt es bei einem Berufungsverfahren in zweiter Instanz keine Möglichkeit, die generelle Schuldfrage anzufechten. Also ob der Angeklagte die Taten begangen hat oder nicht. Eine Berufung würde somit ein Eingeständnis in der Schuldfrage bedeuten, auch wenn das womöglich bessere Aussichten auf ein milderes Urteil bedeuten würde.

Den Schritt mit der Nichtigkeitsbeschwerde musste sich Josef sehr genau überlegen, da es natürlich auch ein erhebliches Risiko gibt, dass der Oberste Gerichtshof (OGH) das Urteil nun einfach bestätigt. Der Akt liege derzeit beim OGH und man warte auf die Entscheidung des zuständigen Richters, berichtet Josef. Die Stellungnahme der Obersten Staatsanwaltschaft wurde inzwischen abgegeben, darin beharrt man auf der Richtigkeit des Urteils und es wird die Einstellung des Verfahrens gefordert.

Geldsorgen

Die Nichtigkeitsbeschwerde hat sich Josef auch genau durchrechnen müssen. Bis zu 50.000 Euro könnten am Ende die Schadenersatzforderungen, Gerichts- und Anwaltskosten ausmachen. Alleine für das Polizeiauto, das bei der Polizeistation Am Hof demoliert wurde, will die Wiener Polizei 10.000 Euro Schadenersatz von Josef geltend machen. Aufgrund einer Vielzahl von Spenden, die in etwa die Hälfte der hochgerechneten Kosten ausmachen würden, könne er sich aber die Nichtigkeitsbeschwerde leisten, sagt Josef.

Aktivismus

Beim diesjährigen Akademikerball will Josef nicht mehr in Wien auf die Straße gehen. Auch wenn die Organisatoren aus dem NO-WKR-Bündnis ihn gerne als Galionsfigur gesehen hätten. „Ich finde, der Protest und das Bündnis kann für sich selber sprechen“, sagt er. Menschen müssen von alleine aktiv werden und eine Entscheidung treffen. „Hinterherlaufen“ fände er schwierig. Außerdem hätte er ja nichts geleistet, sondern sei lediglich als Sündenbock herausgegriffen worden und hätte den Kopf für die Sachbeschädigungen hinhalten müssen, meint er.

Gewalt und Sachbeschädigungen lehne er ab, sagt Josef. Die Blockaden, die die Ballbesucher davon abhalten sollten, in die Hofburg zu kommen, findet er hingegen in Ordnung. Denn es ginge bei dem Ball auch darum, dass sich rechte und rechtsextreme Gruppen vernetzten und dort ihre Politik absprechen, die darauf abziele, die Menschenrechte von anderen zu beschneiden. „Im Gegenzug ihre Versammlungsfreiheit zu stören, halte ich für legitim“, betont Josef.

Und dem Vorwurf, dass vor allem gewaltbereite DemonstrantInnen aus Deutschland anreisen würden, entgegnet Josef: Wer Schaufenster mit Steinen einwerfen will, könne das auch zu Hause machen, „da muss man nicht nach Wien fahren.“. Er hält die Ängste, von denen auch dieses Jahr wieder zu hören sind, für übertrieben.

Am Mittwoch in der FM4 Homebase

Das Interview mit Josef S. gibt es am 21. Jänner 2015 ab 19 Uhr in der FM4 Homebase zu hören und im Anschluss für 7 Tage on Demand.