Erstellt am: 22. 1. 2015 - 11:17 Uhr
Schmusen, Diskutieren, Alleinsein.
Ende November war ich in Trapani, einem Ort, an dem sich die tagsüber ausgestorbene Fußgängerzone allabendlich in eine Bühne verwandelt. Aus einer Kirche klingen Gesänge, am Straßenrand gegenüber bläst ein bloßfüßiger Mann mit Dreadlocks in sein Didgeridoo (der schnorrt dann später in einem Fischrestaurant um Essen und wird hochkant rausgeschmissen). Frauen in Pelzmänteln, Kinder auf Fahrrädern, Männer in Kleingruppen unter dem sanften gelblichen Licht mediterraner Sraßenbeleuchtung.
Es gibt einen Weinhändler, der vor seinem Laden Pölster auflegt, auf denen man mit einem Glas Wein in der Hand den Sizilianern beim gemächlich eleganten Flanieren zuschauen kann.
Ein paar Schritte weiter haben wir hinter einer unscheinbaren Fassade ein 50er-Jahre Kinojuwel entdeckt. Es herrschte gähnende Leere, auf der Leinwand liefen „Die Pinguine von Madagaskar“ in 3D. Dieses Angebot kann nicht mit der Straße mithalten.
Johann F. Puntigam
Warum, habe ich mich gefragt, warum gehe ich immer wieder ins Kino? Und habe die Dezembernächte in Wien auf meiner Couch verbracht und mir Staffel eins bis vier von Downton Abbey reingezogen, bis der Genuss auf Suchtmodus umgeschaltet und ein Gefühl von Isoliertheit derart von mir Besitz ergriffen hat, dass sich allein die Vorstellung von verbaler und direkter Kommunikation (mit jemandem reden! draußen! unter Menschen!!!) fremd anfühlte. Maximal hätte ich mit Maggie Smith Tee trinken können. Aber das passiert nicht oft.
Das wirksamste Mittel gegen das Gift der Vereinsamung ist das Kino. Man kann unter Menschen sein und muss doch nicht reden. Zugegeben, ein eher trübsinniges Argument für das Kino. Aber dennoch eines meiner Hauptmotive, ins Kino zu gehen.
Ich versuch´s noch mal: vergangenen Freitag war ich bei der Kuss-Demo vor dem Café Prückel. Am Weg nach hause bin ich am Ring beim Gartenbaukino vorbei gekommen, aus dem eine immens lange Menschenschlange herausgewachsen ist, um sich für die Edward Snowden - Doku mit anschließender Diskussion anzustellen.
Richtig, ganz richtig, ins Kino geht man nicht zuletzt, um Leidenschaften zu frönen. Sich für 90 Minuten in einen Traum zu verlieben, die ferne, weite, große Welt ganz nah an sich heranzulassen, zu weinen und zu lachen und zu denken und zu spüren und danach mit Verve zu diskutieren. Des Schmusens wegen, egal mit wem, wird man sicher nicht rausgeworfen. Das Kino ist ein liberaler Ort. Einer der liberalsten, die ich kenne. Punkt.
Die Nacht der Programmkinos
Wir sind in Österreich in der glücklichen Lage, dass es Kinobetreiberinnen und –betreiber gibt, die mit ungebremstem Enthusiasmus und Geschick die Lichtspielkultur in der Vielfalt (oder nennen wir es Unüberschaubarkeit?) des medialen Angebots hochhalten.
Nun findet zum fünften Mal die Nacht der Programmkinos statt, in der 15 österreichische Kinos dem Publikum gratis ihre Türen öffnen. Diese Programmkinos überleben mit einem Mix aus Nischenfilmen und anspruchsvollem Unterhaltungskino, flankiert von Diskussionsveranstaltungen, Konzerten, Speis und Trank. Sie sorgen dafür, dass der europäische Film in Österreich erhalten bleibt. Und dafür, dass wir nicht auf unseren Sofas vereinsamen. Danke!
Was gibt's zu sehen?
Luna Filmverleih
Der auf einem guten Schmäh beruhende Vampir-Film „What we do in the shadows“, auf Deutsch „5 Zimmer Küche Sarg“, läuft im Cinema Paradiso in St. Pölten, im De France in Wien und im Leo-Kino in Innsbruck. Die drei Vampire – ein Perverser, ein Dandy und ein Rabauke – die eine WG teilen und sich über Putzpläne, Blutbeschaffung und Freizeitbeschäftigungen in die Haare kriegen, ist die perfekte Arthouse-Komödie – schräg, witzig und nicht ganz platt.
Diese Attribute gepaart mit exaltierten Charakteren verschmelzen im isländischen Film „Von Menschen und Pferden“ zu einem eigenwilligen Biotop tierisch-menschlicher Beziehungen. Der Film läuft im Wiener Filmcasino und im Moviemento in Linz - „Kultstatus“ hat ihm der britische Guardian bereits verliehen.
Katzenvideos und Laura Poitras
Es gibt sie, ja, es gibt sie: Katzenvideos. Und ihre Fans. „Bis in die Galaxie und noch viel weiter“ – unter diesem Titel laden die Vienna Independent Shorts gemeinsam mit dem Votivkino in Wien zu einer Cat Video Session ein.
Gartenbaukino
Das Gartenbaukino zeigt die zwei ersten Filme von Laura Poitras Trilogie "The New American Century", deren Edward Snowden Doku "Citizenfour" letztens für die lange Schlange gesorgt hat. Laura Poitras beschäftigt sich in dieser Trilogie mit den politischen Folgen der Anschläge von 9/11.
Österreichisches, Timbuktu und Überraschungsfilm
Nicht zuletzt sind die Programmkinos auch Spielstätten des österreichischen Films. Im Moviemento in Linz wird der neue Film von Marie Kreuzer „Gruber geht“ (nach dem gleichnamigen Roman von Doris Knecht) über einen arroganten, sexistischen, stinkreichen Mitdreißiger, der einer Krebsdiagnose ins Auge sehen muss, laufen. Die Hauptfigur spielt Manuel Rubey, wodurch das Arschloch (der Gruber) sehr charmant daherkommt.
Das Leokino in Innsbruck lässt Michael Glawoggers abstruse Antwort auf die philosophischen Fragen „Wer bin ich?“ und „Wie bin ich hierher gekommen?“ mit „Contact High“ wieder auferstehen.
Wer den grandiosen Spielfilm „Timbuktu“ noch nicht gesehen hat, kann das im De France in Wien oder im Volkskino in Klagenfurt tun. In letzterem wird es auch einen Überraschungsfilm geben.
Nahversorgung, wie sie die österreichischen Programmkinos betreiben, bedeutet auch, dass sie im Austausch mit ihrem Publikum agieren. Dieses Prinzip pflegen vor allem die beiden Cinema Paradisos in St. Pölten und Baden – bei der Nacht der Programmkinos lädt das BORG St. Pölten zu einem Band-Abend ein (und kündigt unter anderem Police-Covers an!).
Nacht der Programmkinos
Die Nacht der Programmkinos findet am 23. Jänner in sämtlichen teilnehmenden Kinos bei freiem Eintritt statt. Schaut, schmust und freut euch!
Alle Infos auch auf programmkino.at.