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Sammy Khamis

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20. 1. 2015 - 10:29

"Werden hier täglich verfolgt" - Refugees in Dresden

Am Montag vergangene Woche wird der Asylbewerber Khalid Idris in Dresden ermordet. Aber nicht nur wegen des Todes des 20-jährigen Eritreers haben Flüchtlinge in Dresden Angst auf die Straße zu gehen.

"Hier ist Khaleds Leiche gelegen." Der 20 Jährige Said aus Eritrea steht in einem aufgeräumten Innenhof einer grauen Plattenbausiedlung. Direkt neben einem Kellerfenster liegen einige Blumen. Grablichter flackern, jemand hat sie erst vor Kurzem angezündet. Khalid Idriss ist in der Nacht von Montag auf Dienstag erstochen worden. Von wem? Die Dresdener Polizei weiß es nicht. Am Anfang ging sie noch nicht einmal von einer Straftat aus, obwohl die Leiche nach Zeugenaussagen blutüberströmt war. Said zieht die Schultern hoch. Vielleicht ist es die Kälte, vielleicht aber auch die Tatsache, dass es ihm passieren hätte können.

Sammy Khamis / Park 15

Am Dienstag 13. Jänner wurde die Leiche Khaleds von seinen Freunden und Mitbewohnern in Dresden Leubnitz-Neuostra gefunden

"Wir haben Angst."

Erst seit drei Monaten lebt Said hier im Osten der sächsischen Hauptstadt. Er führt mich in den zweiten Stock der Siedlung. Die Kriminalpolizei steht noch in der Diele. Sie nehmen einen Mitbewohner Saids mit. Zur Befragung. Said setzt erst einen Topf mit Wasser auf die Herdplatte und geht dann ins Wohn- und Esszimmer. Er schläft hier auch. Zu acht leben sie in der kleinen Wohnung.

"Glücklich ist hier keiner von uns. Im Gegenteil: Um ehrlich zu sein, ich habe Angst. Hier gibt es Demonstrationen. Gegen den Islam, gegen Muslime und gegen Ausländer." Montags, wenn in Dresden bis zu 25.000 Menschen gegen die "Islamisierung des Abendlandes" auf die Straße gehen, bleiben Said und seine Freunde zu Hause.

"Auf der Straße ist es nicht mehr sicher." Meldet sich Abdelhab zu Wort. "Wenn wir uns Freitags auf den Weg zur Moschee machen, werden wir angeblafft." Die Moschee liegt eine halbe Stunde mit der Straßenbahn entfernt. Es sind 30 Minuten, in denen sie einmal durch Dresden fahren müssen. Durch die Stadt, in der 1991 der Mosambikaner Jorge Gomondai ermordet wurde. "Es ist wohl das einzig gute daran, dass wir kein Deutsch können," meint Said, "Wir verstehen nicht, wie uns die Leute hier beschimpfen."

Sammy Khamis / Park 15

Der 20-jährige Said aus Eritrea zeigt seine Fotos vom Gedenkmarsch für Khalid Idriss am Samstag in Dresden

Immer wieder seien sie vor dem Haus herumgeschubst worden. Neonazis aus dem gleichen Wohnhaus hätten Hakenkreuze an die Wohnungstüren geschmiert. Das heißt nicht, dass hinter dem Mord an Khaled ein Nazi stehen muss, meint der älteste im Raum, Mohammed. "Es hätte jeder sein können. Aber ich frage die Polizei: Warum haben sie bis jetzt [Stand Montag morgen 19. Jänner] nur die Eritreer im Haus verhört?"

Said zeigt mir Fotos auf seinem Handy. Man sieht Khaled. Eingerahmt ist sein Bild von Herzen. Auf arabisch steht in einer Sprechblase: "Für den Märtyrer Khalid Idriss Bahray." Das Foto direkt danach zeigt einen Demonstrationsmarsch. Am Samstag gingen 3500 Dresdener auf die Straße, um an Khalid zu erinnern. Viele Flüchtlinge sind froh, dass viele Menschen sie unterstützen. Auf einem Meeting am Samstagabend sprechen rund 300 Eritreer im Gewerkschaftshaus der DGB von ihren Ängsten, planen weitere Veranstaltungen. Unterstützer stellen WG-Betten zur Verfügung. Die meisten Eritreer aber wollen über den Schock sprechen, der seit dem Tod Khalid alle erfasst. Die Sitzung geht bis tief in die Nacht. Beschlossen wird, dass man am Montag gemeinsam gegen PEGIDA demonstrieren will.

Demo für den verstorbenen Khalid Idriss

APA/EPA/OLIVER¦KILLIG

Rund 3500 Menschen erinnern an den ermordeten Khalid Idriss

Am Sonntagleitet das Bundeskriminalamt eine relativ diffuse Terrorwarnung], an die Behörden in Sachsen weiter. Die veranlassen dann, dass die PEGIDA Demonstration in Dresden abgesagt wird. Ebenso alle anderen Versammlungen unter freiem Himmel. Am Sonntagabend darf sich PEGIDA Organisatorin Kathrin Oertel in der landesweiten Talkshow von Günther Jauch, als Vertreterin einer besorgten deutsche Mitte darstellen, die "diffuse Abstiegsängste" hat.

Wer aber einmal mit einem Asylbewerber in Dresden spricht, der weiß, wessen Ängste man mindestens ebenso ernst nehmen muss. In der Nähe des Hauptbahnhofes warten Yaser, Abdelrahman und Yassin auf die Tram. Sie gehen nur noch zu dritt auf die Straße. "Gerade in der Straßenbahn wird man immer wieder angepöbelt." Yaser spricht fest. Gutes Deutsch. Seit drei Jahren ist er hier. "Und immer wieder sagen Nazis zu mir Geh zurück, wo Du her kommst! Sie spucken dich an. Am Wochenende hielt ein Auto vor unserer Unterkunft. Ein Typ steigt aus, und schreit, dass er das Haus anzünden wird."

Yassin und Abdelrahman sprechen weniger deutsch. Aber den Satz "Ausländer raus!" kennen sie. "Wir hören den Satz ständig."

Die eritreeischen Flüchtlinge in Leubnitz-Neuostra vergleichen ihre Situation in Dresden mit der Zeit in Libyen. Dort wurden sie als Schwarzafrikaner verfolgt, zum Teil gefoltert. Wenn es darum geht Ängste ernst zu nehmen, dann sollte man in Dresden bei den Schwächsten anfangen, nicht zwingend bei den "diffusen Ängsten" der PEGIDA.