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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

18. 1. 2015 - 16:53

Deine große Schuld

Der Song zum Sonntag: Waxahatchee - "Air"

Miteinander geht es nicht gar so gut, eine gemeinsame Liebesbeziehung ist ungesund für uns und macht uns das Leben giftig. Ohne einander kommen wir natürlich auch nur schwer durch die öden Tage. Vielleicht sollten wir bloß nebeneinander in der Wiese liegen, warmes Bier im Park trinken, aus Dosen, und alles wäre fein?

Die aus Alabama stammende Sängerin und Songwriterin Katie Crutchfield formt mit ihrem Projekt Waxahatchee die schon hundertfach verhandelten, schwerwiegenden Themen aus dem Teenager-Poesie-Album zu kleinen, eindrücklichen Preziosen. Die Veränderung und die angebliche Reifung, die emotionalen Turbulenzen, Alkohol, viel zu viele leere Flaschen im Schrank, in der Badewanne die Sorgen mit Pillen runterspülen, Horrortrips auf aber wirklich viel zu vielen Pilzen, Selbstmordgedanken, Verzweiflung, Glühen und Verglühen.

Waxahatchee

Waxahatchee

Gewichtige Geschichten, die Waxahatchee ohne falschen Prunk und Selbstmitleid, ohne zur Schau gestellte Weinerlichkeit, wie beiläufig in minimale Liedchen gießt. Lieder von zerschmetterten Träumen und den Ambivalenzen der Liebe, kaputt, und doch voller Kraft und Selbstsicherheit. Dass man aus dem wohldosierten Zergehen im eigenen Sich-Traurig-Vorkommen magische Energien ziehen kann, weiß Waxahatchee freilich auch:"And we will find a way to be lonely any chance we get / And I'll keep having dreams about loveless marriage and regret", heißt es beispielsweise in dem Song "Swan Dive", einem ihrer besten Stücke.

Nach dem kargen Lo-Fi-Folk-Debüt "American Weekend" und dem elektrischeren, krachigeren und mit Bandunterstützung aufpolierten Nachfolger "Cerulean Salt" wird kommenden April unter dem Namen "Ivy Tripp" das dritte Album von Waxahatchee erscheinen. Als Vorbote zur Platte dient der eben veröffentlichte Song "Air", Katie Crutchfield bleibt hier ihren Themen, dem Leben, treu.

"Air" singt vom Zerfallen einer Beziehung, vom Auseinanderdriften, von den Unehrlichkeiten, den Boshaftigkeiten, diesmal neben der Gitarre von weichen Wellen aus dem Synthesizer getragen, akzentuiert durch Trommelwirbel. "I left you out like a carton of milk", lautet hier eine Zeile, die die Gleichgültigkeit vertont, später, betäubt, mechanisch, bloß noch ohne Gefül agierend: "When we are moving, we just pretend to be strangers lamenting a means to an end".

In diesem schlank strukturierten Song, der ohne unnötiges Fett daherkommt, fungiert eine leicht variierte Zeile immerhin als eine Art Refrain und arbeitet so auch die Wiederholungen in einer Beziehung, den Trott und die Abstumpfung heraus.

"You were patiently giving me every answer as I roamed free", heißt es beim ersten Mal, nach der ersten Strophe. Während der eine Part gutherzig versucht, zu kitten und zu reparieren, der Sache, bei allem was schiefgelaufen ist, noch eine Chance zu geben, taumelt die andere Person längst frei, eigennützig durch die Welt und probiert die Optionen.

Am Ende von "Air" geht diese Zeile dann so: "You were patiently giving me everything that I will never need". Ein harter Schnitt, alle Hoffnung ist vom Wind verblasen. Alles ist aus, sie wird auch nur ein einziges Mal gesungen werden, Katie Crutchfield erliegt nicht der Versuchung, diese Passage durch inbrünstige Repetition und Steigerung im Sinne von Schmalz und gefühligem Mitgröhl- und Mitfühl-Pomp auszubeuten. Der Titel des Songs taucht in dem Stück selbst nicht auf. "Air" ist ein Gas. Alles ist verflogen, wir sind schwerelos, ungezwungen, ungebunden und ohne Halt.