Erstellt am: 19. 1. 2015 - 11:03 Uhr
Mit Rihanna am Rummel
Ein Mythos unserer Zeit: Die allgegenwärtige und allumfassende Connectivity erlaube es jedem Kreativling auf diesem Erdball, direkt und gleichberechtigt ins Zentrum der Weltöffenlichkeit vorzustoßen. Kann man ja auch mit ein paar Klicks, Links und Likes. Aber wenn der Guerilla-Rmx auf die Website einer supervenetzten Spaßbass-Coummunity mit Stammsitz in Unterchinesien hochgeladen wurde; und wenn der Rechner dann einmal runtergefahren ist und man den Schritt raus in die große weite Welt macht, steht man doch oft nur auf irgendeinem Dorfplatz. Es ist dunkel. In der Ferne furzt eine Kuh.
Four Music
Es gibt zwar, um unsere Geschichte einen Rahmen in der Bundesrepublik zu verpassen, Gegenbeispiele - Stichwort "Weilheim" - doch noch immer überwiegt der Standortvorteil Großstadt, wenn eine avancierte und ambitionierte Popband ein entsprechendes Umfeld sucht, wo man sich reiben, vernetzen und ausprobieren kann. Das Trio Sizarr ist so eine Band. Hat man sie einmal gehört, denkt man an die Lichter einer Großstadt.
Sizarr stammen jedoch aus jenem Ort, den Harald Schmidt in seiner Show immer dann bemühte, wenn er ein Synonym für den bundesdeutschen Provinzialismus brauchte. Landau im Landkreis Südliche Weinstraße in Reihnland-Pfalz ist das, was dem Projekt X Attnang-Puchheim in Oberösterreich war, ein symbolischer Reibebaum mit Fliegen, die drumherum schwirren.
Obwohl die Bandmitglieder mittlerweile über mehrere Standorte verteilt leben, weist die Sizarr-Bio immer noch Landau als Stammsitz aus. Ins weit entfernte und dennoch nahe liegende Berlin hat es das Trio jedenfalls nicht verschlagen. Dorthin fährt man aus professionellen Gründen: Konzerte spielen, Interviews geben (zum Beispiel diesem Sender) und vielleicht auch ein bisserl herumschmusen (es gilt die Unschuldsvermutung).
Gereist wird seit jeher in und mit der Musik. Sizarr mögen aus der pfälzischen Provinz kommen, ihr Indie-Pop ist jedoch eine einzige Fluchtbewegung und spielt auf Augenhöhe mit der juvenilen Kollegenschaft in East London oder Bushwick. In Berlin sieht es mit einem ähnlich versierten und am musikalischen Puls der Zeit fühlenden Pop-Entwurf sogar eher ziemlich traurig aus, wenn er auf Englisch angestimmt werden soll und auf internationale Ohren abzielt.
Nachdem man die Punk-Cover-Band im Rotzbubenalter durch hatte, wurden Fabian Altstötter (Gesang, Gitarre), Philipp Hülsenbeck (Synths) und Marc Übel (Schlagzeug) von all dem Zeugs sozialisiert, das in den späten Nullerjahren so aus den hippen Kanälen des Internets quoll. Post-Punk in der Neuauflage, Dub-Step, Experimental-Pop mit weltmusikalischer Schräglage, Neo-R&B, die immer wiederkehrenden Achziger mit Schulterpolsterumhängesynths und der ewige Radiohead, der einfach nicht aus den Köpfen junger sensibler Männer mit guter Schulausbildung zu bringen ist.
Christian Lehner
Christian Lehner
Wenn man die Zutaten gegenwärtig verdichtet und vermanscht, sagt man dazu nicht mehr "postmodern" sondern "post-internet". Gemeint ist ein selbstverständlicher, respektvoll respektloser Umgang mit den Quellen, der die unterschiedlichsten Stile, Qualitätsstufen und Verfügbarkeitskriterien gleichberechtigt nebeneinander stehen lässt.
Sizarr live am kommenden Samstag beim FM4 Geburtstagsfest in der Ottakringer Brauerei
Das daraus nicht notwendigerweise bloß Pastiche entsteht, demonstrierten Sizarr bereits auf ihrem Debüt "Psycho Boy Happy". Das Album erschien 2012 unter Beifall der internationalen Presse (vgl. The Guardian). Kaum der Schule entschlüpft überzeugten die drei jungen Männer auf Anhieb. Ihr atmosphärisch aufgeladener Pop klang wie aus kenntnisreichen Veteranenhänden geformt und dennoch jugendlich vibrierend.
Sizarr können sehr gute Songs schreiben, Stimmungen verdichten und Musik arrangieren. Sie können ausgereizte Formen beleben, Richtiges vom Falschen trennen, Falsches mit Falschem richtig machen. Und Fabian Altstötter kann singen. Nicht so, wie eines dieser hässlichen Entleins mit der vermeitlichen Ausdruckskraft einer Operndiva, wie sie Casting Shows am Laufband produzieren, sondern wie ein hübscher Jüngling mit einem gewissen Sendungsbewusstsein, das sich in den Stimmbändern Bahn bricht. Er ist einer, der weiß, was er hat und doch nicht bei jeder Gelegenheit draufdrückt. Nur so lässt sich die Schönheit betören, das Herz gewinnen.
Sizarr legen ihre Popeinflüsse offen. Natürlich ist da viel geklaut. Dankenswerterweise wird das auch so gesagt - was in der germanischen Plagiatskultur alles andere als selbstverständlich ist. Manchmal schlägt die Aneignungseuphorie etwas zu stark durch, zum Beispiel wenn ganze Leads aus anderen Stücken adoptiert werden wie etwa bei "Word Up" aus Sizarrs Erstlingswerk. Das dort zu hörende Intro interpretiert "A Forest" von The Cure als Gothic-Chello. Oder im Eröffnungstück des neuen, im Februar erscheinenden Albums "Nurture": In "Clam" wird nach dem Auftakt die Gitarrenmelodie des The Police-Klassikers "Message In A Bottle" freigegeben.
Aber das ist bloß ein wenig Unkraut in einem Soundgarden, der die wundersamsten Blüten treibt und einen höchst fantastischen Gesamteindruck hinterlässt. In "Scooter Accident" zum Beispiel gibt Fabian nicht unoriginell die Rihanna am Rummel und stirbt am Ende doch den Spaghetti-Sultan-Tod im Ravehörnchen-Wald. Das sind Popbekenntnisse, wie sie im Mutterland des Diskursrock und der Ballermann-Gaudi eher selten zu hören sind.
sizarr.com
Sizarrs Weltläufigkeit brachte den drei Landjungs relativ schnell gemeinsame Auftritte mit gut abgehangenen Standeskollegen wie The Editors, Animal Collective oder These New Puritans. Trotzdem und trotz guter Presse, einem Plattenvertrag und ordentlichen Referenzen bleiben Fabian, Marc und Sebastian jedoch realistisch. Im Segment von Indie Rock und Pop ist es für Acts aus Deutschland nach wie vor eher schwierig, in den Mutterländern des Pop Fuß zu fassen.
Radio FM4
Paaarty!
Das FM4 Geburtstagsfest mit Die Sterne, HVOB, Kele und vielen mehr. Am 24.1.2015 in der Ottakringer Brauereri in Wien.
Weniger ermutigend, als das allgemein immer angenommen wird, war zum Beispiel eine Einladung nach Texas zum South-By-South-West, dem größten Showcase-Festival der Welt. Obwohl als Talente-Plattform vermarktet, spielen dort mittlerweile vor allem große Stars vor großem Publikum. Die kleinen Acts aus den eher exotischen Popnationen finden auf Nebenbühnen vor spärlichem Publikum statt.
Vom rauen Wind der großen weiten Welt haben sich Sizarr dann aber doch nicht entmutigen lassen. "Nurture", das neue Album, ist eine im Ton sanftere, aber auch wesentlich selbstsicherere Platte als das Debütalbum geworden. Das Potential für den Aufschwung in die Ausnahmestellung, also eine Laufbahn, die auch mal in Ortschaften führt, deren Namen nicht mit -ing, oder -dorf oder -hof enden, ist eindeutig vorhanden. Auch wenn in der Ferne eine Kuh furzt.