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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

16. 1. 2015 - 11:07

Angelika, der Zündschlüssel und ich

Mit dem Krankenwagen in die Schwerelosigkeit - oder wie sich vor zwanzig Jahren die erste Nacht mit FM4 anfühlte.

*Stimmt, schon das zweite Mal in zwei Wochen schaue ich hier zurück. Reicht dann schon wieder? Normal service will resume.

Stoppt mich, falls ihr das schon einmal gehört habt*: Ich weiß ehrlich nicht mehr, ob ich meinen Teil der Geschichte schon zu anderen Jubiläen dieses Senders niedergeschrieben habe, aber: Vor zwanzig Jahren, als FM4 gegründet wurde, stand ich sowohl drinnen als auch draußen.

Damals war ich (nach mehreren Aufschüben) nämlich Zivildiener und fuhr ein paar Monate lang mit dem Krankenwagen herum. Weil ich von dem Geld, das ich dafür kriegte, nicht Miete, Gas und Strom zahlen konnte, arbeitete ich nebenher weiter, schrieb ein paar Artikel für den Falter, der immer erst sechs Monate später zahlte, und machte Beiträge für genau die Ö3-Sendungen (Zick Zack, Music Box, ein, zwei mal Nachtexpress), die als störende Elemente gerade im Begriff waren, im Zuge einer auf "Durchhörbarkeit" abzielenden Senderreform abgeschafft zu werden.

RR in Samariter-Uniform vor Krankenwagen

Robert Rotifer

Autor als Zivildiener im Frühling '95. Als FM4 dann schon im Rollen war.

Zwischendurch besuchte ich, sooft es der Dienstplan erlaubte, die eine oder andere leidenschaftliche Sitzung zur Planung jenes neuen Abendsenders auf den Frequenzen von Blue Danube Radio, an dem alle unsere Hoffnungen hingen, und der nach einigen Diskussionen (so weit ich mich erinnern kann, war das Mischa Zicklers Vorschlag) FM4 heißen sollte.

Nicht bloß unsere persönlichen Hoffnungen auf einen Job, übrigens (Jobs gab es damals noch einigermaßen genug für junge Journalist_innen). Sondern darauf, einem in Österreichs Radiolandschaft sonst unrepräsentierten Universum seinen Platz zu geben.

Zyniker_innen mögen das nicht glauben, aber das war der sehr ernsthafte Hauptantrieb des Projekts. Und deswegen flogen - laut Martin Pieper - bei den stürmischen Grundsatzdebatten über die richtige Musikfarbe auch die Aschenbecher durch den Sitzungssaal, während meine Wenigkeit mit dem Krankentransporter durch Wien kreuzte.

Irgendwie rauften sie sich jedenfalls alle zusammen (die Namen der Beteiligten, von Blumenau über Scharang und Unger bis Ostermayer und Geier bitte anderswo nachlesen, hier geht es nicht um Credits, sondern um eine subjektive, von den Jahren fast bis zur Unkenntlichkeit verwischte Sicht, und ich möchte lieber keine Liste schreiben, ehe ich jemand vergesse).

Werner Geier fragte mich schließlich nach einem kleinen Sendungskozept, mit dem ich mich neben Eva Umbauer offiziell für die Ko-Moderation der Alternative & Indie-Spezial-Sendung Heartbeat bewarb. Und in irgendeiner zerquetschten Produktionspause in einem Radio Wien-Studio verpasste mir Mischa Zickler noch eine Blitzschulung als "Selbstfahrer".

Davor waren wir nämlich alle gewohnt gewesen, dem Techniker unsere Platten und Zuspielbänder abzugeben und uns hinter die Scheibe, an den mit grünem Samt bespannten Moderatorentisch zu setzen. Jetzt saß ich vor einem Mischpult mit gefühlten vierzig Reglern und versuchte mir zu merken, wozu die da waren, bzw. sie koordiniert zu bedienen, während ich spontan oder vom Blatt ins über einem improvisierten Plastikpult baumelnde Mikro faselte.
Nach circa zwanzig Minuten behauptete Mischa (sehr optimistisch), ich hätte begriffen, wie das ging.

Das nächste Mal sah ich das Pult am 16. Jänner 1995 wieder, dem ersten Sendetag von FM4. Ich hatte glücklicherweise keinen Nachtdienst beim Samariterbund, das traf sich gut, denn Montag war Heartbeat-Tag, und ich sollte den Sender um 22 Uhr live übernehmen.

Ich schälte mich also spätnachmittags aus der nach Desinfektionsmittel stinkenden, grauen Sanitäter-Uniform, zog mich um und fuhr ins Funkhaus.

Die ersten drei Stunden Homebase moderierte ganz selbstverständlich die zu jener Zeit hochschwangere Angelika Lang, die als Königin des Nachtexpress mit Abstand kompetenteste Mischpult- und Mikrofon-Pilotin unter uns restlichen Zuckerpüppchen aus dem Sprecherkämmerchen (mit Ausnahme der Ö3-Treffpunkt-geschulten Claudia Czesch und Hannes Eder).

Von außen sah sie völlig souverän und unbeeindruckt aus, von innen fühlte es sich offenbar anders an. Ich hab Angelika vorgestern per Email um ihre Sicht des Abends gebeten, und klänge es nicht wie eine Clickbait-Headline, würde ich sagen, ihre Antwort hat mich umgeworfen. Sie schreibt:

"Ouch - 20 Jahre? Gibt's jetzt aber echt nicht. Ja, großer Bauch, drin das Baby Max, das auch bald 20 wird, heißer Kopf, drin das Baby FM4 und pochendes Herz, drin beide Babys. Stundenlanges Ringen mit mir selbst um den ersten Satz, was sagt man, wenn ein Sender zum ersten Mal on air geht. Dann die wahrscheinlich in diesem Fall wirklich bauchgesteuerte Entscheidung für 'So klingt das, wenn das Herz von FM4 zu schlagen beginnt'-Wahrheiten, gelassen erzählt über die Introbeats von 'Sabotage', die ja wirklich so klingen, als würd' das freiliegende Herz eines Aliens langsam, entschlossen und zwingend in Betrieb, in den Life-Modus gehen.

Beastie Boys übrigens ganz ohne Ringen, weil dass die FM4 aufmachen, war damals so klar wie das Anspringen des Motors nach Drehen des Zündschlüssels. Knackevolles Studio, LRPD hat das damals geheißen, heute ist es der RP9, die Nacht davor noch mit Werner dort gesessen über den Soundscapes für den neuen Planeten, heute gefühlte 1.000 Leute um mich herum auf diesen 16 Quadratmetern, we are family, aber auch X-Large-Leute (die damalige Fernsehjugendsendung, Anm.) samt Kamerateam und der damalige Ö3-Chef Edgar Böhm.

Bin mit meinem 8-Monate-Bauch kaum an die Regler vor mir gekommen. Und dann - Sekundenzeiger der Studiouhr tickt sich immer langsamer werdend auf volle Stunde 19h hin, ich griff zum Cartridge-Regler, rauf damit, Werners Ortungssignal und los. Hat sich irgendwie unwirklich angefühlt in den ersten Minuten, schwerelos, erst mit den ersten Anruferinnen und Anrufern - who needs Facebook in 1995 - dann angedockt und sowas wie Bodenhaftung gekriegt. Ja, wir werden gehört, ja, da draußen ist wer! Welcome. you're at home baby, it's only FM4."

Angelika Lang, Martin Pieper, Miriam Unger

FM4

Angelika Lang, Martin Pieper und Mirjam Unger 1995, sichtbar von Grundsatzsitzungen gezeichnet.

Soweit Angelika.

Als ich selber um zehn Uhr abends meine ersten zwei Platten auf-, und die Cartridge mit der von Werner Geier gebastelten Signation einlegte und mich hinters Mikro setzte, hing bereits sowas wie eine post-natale Euphorie der Erleichterung in der Luft. Angelika Lang hatte die ersten drei Stunden des neuen Senders dermaßen brillant hingeknallt, FM4 war im Rollen, scheinbar nicht mehr zu stoppen, es sei denn durch einen blutigen Novizen wie mich, der alles auf einen Schlag wieder versemmeln würde.

Aber irgendwie ging dann doch alles gut, genau das von Angelika beschriebene Gefühl der Schwerelosigkeit stellte sich ein (ich schwöre, mir ist 20 Jahre drauf genau dieselbe Vokabel eingefallen), selbst wenn ich versehentlich zweimal hintereinander dieselbe LP startete. Nach der ersten Stunde war ich bereits völlig übermütig geworden. Als ich ein paar neue Platten auflegte, sah ich, wie der von Angelika erwähnte Edgar Böhm sich ans unaufhörlich blinkende Hörertelefon setzte, um sich ein wenig die aufgeregte Volksmeinung anzuhören, und teilte das in meinem schelmisch-ungestümen Enthusiasmus gleich der gesamten Hörer_innenschaft mit: "Übrigens: Wenn ihr jetzt bei uns anruft, sprecht ihr mit dem Ö3-Chef persönlich."

In den zwei Wochen bis zu meiner nächsten Sendung wurde ich jedenfalls nicht rausgeworfen. Jeden Abend machte eine_r nach der/dem anderen dieselbe Erfahrung durch wie ich ("Angelika Lang ist schon am zweiten Sendetag krankheitsbedingt ausgefallen", erinnert sich Martin Pieper "und ich musste als sehr unerfahrener Moderator für die zweite Ausgabe der Homebase einspringen. Das hört man auch!"), und unsere geballte, neu gewonnene Schwerelosigkeit verdichtete sich schnell zu einer positiven Art von an Gang-Mentalität grenzender, gemeinsamer Unantastbarkeit. Jedesmal, wenn ich im Funkhaus vorbeikam, schien dieses Gefühl noch stärker geworden zu sein. Und ständig strömte die verbündete Außenwelt in Studio und Redaktion: DJs, Musiker_innen, Fanzine-Schreiber_innen, Hörer_innen, die spontan unten an der Rezeption auftauchten.

"Ich erinnere mich an ein Bild, dss damals Mona Moore - die Sängerin von Sin - ins FM4-Studio als Geschenk zum ersten Sendetag mitgenommen hat", erzählt Martin Pieper, "Das ist dann auch jahrelang als Prunkstück im alten Studio gehangen."

Natürlich kamen bald genug die ersten Konflikte auf. Und Kritik. Sowieso. Aber dieses im atomisierten Jetzt der narzisstischen Social Media-Mikrokosmen in seiner vollen Größe nicht mehr nachvollziehbare, von Werners Sender-Slogan behauptete Gefühl des "At home"-Seins, bestand von jenem Moment an, als Angelika den Regler hochzog und die Beastie Boys den Motor anwarfen. Ganz in echt.

Als ich dann im Mai 1995 - dehn die Metapher, bis sie platzt! - das letzte Mal den Zündschlüssel meines Krankenwagens drehte, war nicht nur die österreichische Radiowelt bereits eine unleugbar andere geworden.