Erstellt am: 17. 1. 2015 - 12:10 Uhr
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Festivalradio
Vor Ort bei euren Lieblingsfestivals, auf der Suche nach frischer FM4 Musik.
Viel wurde schon geschrieben über das Für und Wider von Showcase-Festivals, wie dem Eurosonic Festival in Groningen. Zusammengefasst ist es ganz einfach ein Treffen der Musikbranche, ob Journalist_innen, Booker_innen, Manager_innen, Labels und natürlich Musiker_innen. Ich versuche solange ich hier bin, nur die positiven Seiten dieser Zusammenkunft zu sehen, und freue mich auf Auftritte von jungen unbekannten Bands, und von Bands, die ich schon immer mal live sehen wollte.
Mittwoch, Tag 1
Den Startschuss zum Eurosonic bilden jedes Jahr die European Boarder Breakers Awards (kurz: EBBA). Neben allen Dingen, die Award-Shows super und furchtbar machen, gab es mittendrinnen einen Live-Auftritt, der mich trotz seiner Kürze von nur drei Songs umgehauen hat: MØ! Das Publikum sitzt, aber das ist der dänischen Sängerin komplett egal. Sobald sie auf der Bühne steht, gehört alles in diesem Raum ihr und ihr allein. Zu jedem einzelnen Beat möchte man am liebsten "Ja!" rufen. Schade, dass sie kein ganzes Konzert hier spielt.
Auch die Belgierin Melanie de Biasio tritt bei dieser Award-Show auf, aber ihre zwei Songs können mich nicht Recht überzeugen. Doch dann stolpere ich zufällig in ihr nächtliches Konzert und ich werde sofort hineingesogen in ihre Welt, oder was ich glaube, was ihre Welt ist. Die Querflöte in der Hand und den Kontrabass als treibende Kraft im Rücken, verzaubert sie das ganze Publikum, ob mit guter oder böser Magie ist nicht Recht auszumachen. "It's all based on Songs, but we just improvise here", erklärt sie den jazzigen Charakter des Konzerts. "We will go through this together", sagt sie und zeigt mit einladender Geste ins Publikum und man fühlt sich sofort geborgen.
Die Band Hinds (fromaly known as Deers) sind die großen Sympathieträger_innen des Abends. Die vierköpfige Band hat wohl den unfähigsten Soundtechniker des ganzen Festivals zugeteilt bekommen, immer wieder fallen ihre Stimmen aus, und dennoch schaffen sie es, die ganze Situation mit Witz und Ironie zu meistern: "Okay, this is the best concert we ever had." Ihre Songs heißen "Supernova" oder "Between Cans" und schaffen gute Laune, trotz der Widrigkeiten auf der Bühne. "Groningen is really beautiful", versuchen sie die Stimmung zu lockern. "But you are not from here anyways." und endlich lachen sogar die immer ernsten unter den Musikbusiness-Menschen.
Vök nennt sich das isländische Quartett, das im Keller eines Kaffeehauses ihre dunklen Beats zum Besten gibt. Sie wirken schüchtern zwischen den Songs, aber geben alles an Kraft beim Musizieren. "This next song is about a person, who got paralyzed and can't move and talk anymore", flüstert der Saxophonist ins Mikrofon, und: "This goes out to our guitarists grandmother." Der Gitarrist greift sich in die Haare und schaut betroffen zu Boden und jeder Mensch, der ein Herz hat, ist jetzt Fan.
Donnerstag, Tag 2
Eines der tollsten Dinge am Eurosonic Festival ist ja der Umstand, dass - obwohl das offizielle Line-Up eh schon übervoll ist - sich trotzdem auch abseits vieles tut. Manche Bands reisen hier her und versuchen einfach ihr Glück. So auch Ian Fisher, der amerikanische Singer/Songwriter mit österreichischem Herzen (oder so). Auf seiner Facebook-Seite kündigt er nachmittags einen spontanen Gig in einem kleinen Café an. Circa dreißig Leute folgen dem Aufruf und das Konzert wird zu einem Festivalhighlight für mich: so intim, so nah an der Musik und am Musiker selbst ist man hier sonst nirgends dran. Und immer diese schönen Texte, Gedanken, die wir uns alle schon mal gemacht haben: "Maybe its a phase, or maybe i'm fucked."
Dann gibt es einen Empfang beim isländischen Kulturminister und ein Mini-Konzert von Júníus Meyvant aus Island. Toll, denn den hatte ich gestern verpasst. "I wrote this one when I was doing laundry. Not joking." Man sollte öfter Waschtag machen, wenn das dabei rauskommt:
Es folgt das Konzert von Warm Graves aus Deutschland. Ich weiß ja nicht, was noch so auf mich zukommt hier in Groningen, aber das war bis hierhin das Beste. Unglaublich kraftvolle Musik, eine mit Hall belegte Stimme, man spürt die Dunkelheit im Grab, aber auch die Wärme einer Umarmung. Außerdem: der Sänger ist wohl der best-aussehendste Mann am Festival. Die Band darf man nicht verpassen!
Dann spielt Soley im Altarraum einer wunderschönen Kirche und niemand passt da besser hin, als die bebrillte Isländerin. Wir sollen uns ein Begräbnis vorstellen, sagt sie und singt dann "One Eyed Lady" mit der sich immer wiederholenden Zeile "Would you kill for love?" Yes, we would.
Ich quetsche mich in einen kleinen Theatersaal um DJ Flugvél og Geimskip (Flugzeug und Raumschiff) zu erleben. Eine sehr junge Isländerin verbirgt sich hinter diesem Namen. Jeder ihrer Finger leuchtet in einer anderen Farbe (bestes DJ-Gadget). Bevor sie beginnt, befreit sie den Raum mithilfe von Räucherstäbchen von allem Bösen. "The Songs are evil enough." Sie singt über böse Katzen, den Teufel und generell viel "Böses", aber halt auch so verschroben und süß, dass man sich kaum fürchten muss. "I don't get her headband", flüstert mir eine Engländerin ins Ohr. Dabei habe ich gerade das Stirnband als einziges an dieser Performance verstanden. Seltsam, aber sicher ein guter Geburtstagsparty-Act.
Bevor ich ins Bett falle, folgt noch das großartige Konzert der österreichischen Band Gods, die hier rundum Begeisterung auslöst. Mit ihrem Sound schaffen sie das, was ich beim Eurosonic schon fast für unmöglich hielt: das Publikum tanzt. Nicht unentscheidend sind dabei zwei Drum-Pads, die je nach Song ein Glockenspiel, eine Cowbell oder was auch immer mimen können. Im Februar erscheint ihr erstes Album, watch out for them!
Freitag, Tag 3
Bilderbuch, Bilderbuch, Bilderbuch! Wir wissen es ja eh schon alle, aber jetzt weiß es ganz Europa: Diese Band ist einfach nur großartig!
Danach ziehe ich weiter zu MOURN, wohl die jüngste Band am Festival, die Mitglieder sind alle 1996 geboren, sagt das Programmheft. Doch was hat das Alter schon zu sagen, sie sind professionelle Musiker und spielen Punk vom Feinsten. Die wilde Rohheit ihrer Musik steht ganz im Gegensatz zu ihrer verlegenen Bühnenpräsenz. Sie schauen kaum ins Publikum, shoegazen eher, und lächeln sich gegenseitig Mut zu. Als der Applaus dann endlos scheint, lassen sie sich doch zu einer angedeuteten Verbeugung hinreißen und der Schlagzeuger macht das internationale Zeichen für "Rock on".
Und dann ist es da noch, das Konzert, dass alle anderen Konzerte in den Schatten stellt. DIE NERVEN aus Deutschland verwandeln eine kleine Bar im Zentrum Groningens in das Zentrum der Welt. Es gibt Moshpit und sogar den Versuch crowdzusurfen, das endet aber aufgrund der wenigen Quadratmeter dann doch eben nur als Versuch. Es ist egal, was zählt ist die Musik: von Wut und Angst getriebener Punk, der nur in Nuancen die Hoffnung durchschimmern lässt. Die Texte von DIE NERVEN tun weh, aber es ist ein guter Schmerz. "Ich gehe barfuß durch den Schlamm, um mich zu verletzen."
Dank je wel Eurosonic 2015!