Erstellt am: 20. 1. 2015 - 16:25 Uhr
Doch keine Jugendherberge
"Was siehst du, wenn du an Vordernbergs Zukunft denkst?" frage ich Adi Lampl, den ich in Vordernbergs beeindruckendem Eisenmuseum treffe.
"Nix mehr. Da bin ich schon unten."
Adi deutet mit dem Zeigefinger auf die Erde.
Während der 76jährige Adi in der kleinen obersteirischen Gemeinde seinen Ruhestand genießt, hier Schi fährt, Tennis spielt und Führungen durchs Eisenmuseum gibt, sieht er für die Zukunft seines Ortes schwarz.
"Wir sind ein total überalterter Ort. Wir haben fast keine Jugend mehr."
Seit den 60er Jahren schrumpft die Zahl menschlicher Arbeitskräfte im Eisenerzabbau aufgrund technischer Automatisierung. Die damit einhergehende Abwanderung setzt Vordernberg ins Spitzenfeld der Gemeinden, die unter Bevölkerungsschwund leiden. Und das sind zwei Drittel aller österreichischen Gemeinden.
Einwohnerentwicklung in Vordernberg, Daten laut Statistik Austria, de.wikipedia.org
"Die Zeit geht hier vorbei. Keiner kommt hier her, kein Betrieb siedelt sich hier an, nicht einmal ein kleiner Betrieb", sagt Adi Lampl.
Um den Abwanderungstrend zu stoppen, hat Bürgermeister Walter Hubner ein Großinvestitionsprojekt des Bundes nach Vordernberg geholt: das erste Schubhaftzentrum Österreichs, das aufgrund des Widerstands der FPÖ im benachbarten Leoben nicht realisiert werden konnte.
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Der Bürgermeister nennt es "Jahrhundertchance"
Im Jänner 2014 wird das von Maria Fekter "Kompetenzzentrum für aufenthaltsbeendende Maßnahmen" getaufte Gebäude mit Bergknappenblaskapelle und "Glück Auf!"-Rufen eröffnet.
2014 sind mit dem neuen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl 192 verschiedene Behörden zusammengelegt worden.
Ehemalige Post- und Heeresbedienstete bearbeiten hier nun Asylanträge.
Bei einem polizeilich geführten Rundgang bekomme ich den "Sonderanhaltebereich für Problemfälle und Disziplinierungsmaßnahmen" gezeigt: Fließenzellen, Gummizellen.
Der ÖVP-Sicherheitssprecher Werner Amon sagt mir ins Mikrofon: "Gefängnis ist das nicht. Es ist eine Einrichtung für aufenthaltsbeendende Maßnahmen. Eher vergleichbar mit einer Jugendherberge."
Zwei Mängel verzögern dann die Inbetriebnahme. Lieferprobleme medizinischer Geräte und fehlende Genehmigungen der Sicherheitsfirma G4S.
Das Outsourcing von "Unterbringungs- und Bewachungsleistungen" im Wert von 68 Millionen Euro bis 2030 an den privaten Sicherheitskonzern G4S ist umstritten: verfassungsrechtlich, wettbewerbsrechtlich, aufgrund intransparenter Verträge und wegen der Verwicklung des Konzerns in zahlreiche internationale Menschenrechtsverletzungen.
Im März 2014 kommen die ersten Schubhäftlinge nach Vordernberg. Seither sind 213 Personen von hier aus u.a. nach Pakistan, China oder Nigeria abgeschoben worden. Alles Länder, in denen G4S geschäftlich operiert.
Der Werbeclaim des Konzerns lautet: "Securing Your World."
Mit einem Jahresumsatz von 9,68 Milliarden € und Geschäftstätigkeiten in 125 Ländern ist G4S der weltgrößte Sicherheitskonzern.
G4S betreibt Gefängnisse u.a. in den USA, Großbritannien und Südafrika, wo die Firma mit Foltervorwürfen konfrontiert ist. Kritiker werfen G4S ebenfalls vor, durch Folterungen im Gefangenenlager in Guantanamo Bay zu profitieren.
2010 erstickte der 46jährige Jimmy Mubenga während seiner Anschiebung von London nach Angola, die von G4S durchgeführt wurde.
In Österreich erwirtschaftet G4S einen Jahresumsatz von über 100 Millionen €. Der mittlerweile wegen Bestechlichkeit verurteilte ehemalige ÖVP-Innenminister Ernst Strasser saß von 2004 bis 2011 im Aufsichtsrat.
G4S-Vorstand Matthias Wechner war stellvertretender Kabinettschef im Innenministerium unter Günther Platter.
Radio FM4 / Securline VSÖ
"Tendenz zur Aufweichung des Gewaltmonopols"
Noch vor der Inbetriebnahme des Schubhaftzentrums leitet die Volksanwaltschaft ein Prüfungsverfahren zu den privatisierten Dienstleistungen ein:
Mitte März 2014 weist sie in ihrem Zwischenbericht zur Vordernberg-Prüfung auf einige offensichtliche Verfassungswidrigkeiten im bis dahin geheim gehaltenen von G4S selbstverfassten Betriebs- und Organisationskonzept hin.
alwacker
Im April findet eine Besprechung dazu im Innenministerium statt.
Am Abend des 22. Juli 2014 stellt Vordernbergs Bürgermeister im Gemeinderat den Antrag, das Betriebskonzept des Schubhaftzentrums (das einen Teil des Vertrags zwischen der schrumpfenden Gemeinde und dem expandierenden Weltkonzern darstellt) in folgenden Punkten zu ändern:
- Statt dem "Schutz" der Insassen vor Übergriffen und der Durchsetzung der Hausordnung, soll das G4S-Personal in Hinkunft die Mitarbeiter der Polizei "sofort verständigen" bzw. "hinzuziehen".
- In der Aufzählung der Leistungen von G4S wird der Begriff "Sicherheitsdienst" ersatzlos gestrichen.
- Statt der Sicherstellung einer "Tagesstrukturierung" für die Insassen soll nunmehr nur eine "Freizeitgestaltung" sichergestellt werden.
Das demographische Paradoxon
Nachdem diese Vertragsänderungen im Gemeinderat einstimmig angenommen werden, stellt der Gemeindekassier im nächsten Tagesordnungspunkt den Antrag auf ein "kommunales Begrüßungsgeld" in der Höhe von 500 € für neue Gemeindebewohner, der ebenfalls einstimmig angenommen wird.
Über ein Gegenmodell zum Modell Vordernberg berichtete Claus Pirschner 2012: über das 1600-Seelen-Dorf Riace.
Ob diese Maßnahme den erwünschten Effekt vermehrten Zuzugs nach Vordernberg bewirken wird?
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In der abendlichen Gemeinderatssitzung berichtet Vordernbergs Vizebürgermeisterin nun von der Auflassung der Volksschule. In der kleinen Gemeinde, in der auch Kinder im schulpflichtigen Alter für ihre Abschiebung festgehalten werden, gibt es nicht mehr genug Kinder um den Betrieb der Volksschule aufrecht zu erhalten.
"Es schmerzt uns schon sehr, dass die Volksschule mit Ablauf des Schuljahres 2014/2015 geschlossen wird." sagt Bürgermeister Hubner.
Während Menschenrechtsgruppen betonen, dass die Schulpflicht für alle Kinder gilt, bedauert Vordernbergs Bürgermeister: "Kinder, die im Anhaltezentrum sind, unterliegen nicht der Schulpflicht."
In einer Stellungnahme zur Entscheidung der Volksschulschließung, die auf Landesebene getroffen wurde, schreibt die Gemeinde:
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Die Gemeinde hoffte tatsächlich auf Zuzüge durch den Betrieb des Abschiebezentrums.
Vergeblich.
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Welche Auswirkungen hat das Schubhaftzentrum nun auf das Leben in Vordernberg?
"Wir haben da überhaupt keinen Kontakt", sagt Adi Lampl. "Das fällt einem gar nicht mehr auf, wenn man da vorbeifährt. Das ist einfach ein Gebäude, das da ist."
Stoff für Dorfklatsch lieferten Schubhäftlinge, denen es im August und im Oktober 2014 gelang, über die meterhohen Zäune zu klettern und so aus dem Schubhaftzentrum auszubrechen.
Bürgermeister Hubner: "Wir sind grundsätzlich immer davon ausgegangen, dass wir auf dem Standort nicht ein Gebäude haben wollen, das sofort den Eindruck eines Gefängnisses erweckt. Erstens soll das nach Außen nicht so kommuniziert werden und auch nicht nach Innen. Aus dem Grund hat man ganz bewusst auch auf Stacheldraht verzichtet. Die Ereignisse haben uns gelehrt, dass man hier nachjustieren muss und jetzt wird in diesem Bereich, wo diese Fluchtversuche auch gelungen sind, nachgerüstet und dementsprechend Stacheldraht angebracht."
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Der Endbericht über die Prüfung der Volksanwaltschaft soll noch im ersten Quartal 2015 präsentiert werden.