Erstellt am: 14. 1. 2015 - 17:24 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 14-01-15.
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Like Billy Bob Thornton said in seiner deshalb vorschnell beendeten Dankesrede bei der Golden Globe-Award-Verleihung: "You can say anything in the world and get in trouble. I know this for a fact, so I am just going to say: Thank You".
Da hat er zwar sehr recht; vor allem wenn man das trollkollektive Schürf-Aufkommen nach der ungünstigstmöglichen Interpretation bedenkt. Aber sind Nesseln nicht auch vor allem zum Reinsetzen da? Und ist es nicht die Aufgabe der Medien sich diesem (unangenehmen) Job zu stellen?
#demokratiepolitik #fundamentalismus
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In der Woche seit dem Anschlag ist einiges an Ungereimtheiten aufgepoppt; und sie sind nicht sonderlich thematisiert worden. Das ist nach einem verstörenden Ereignis, das zuallererst einmal die Suche nach Gemeinsamkeiten bedingt (was die normale, destruktive Medien/Empörungs-Logik außer Kraft setzt) nur allzu logisch. Und auch gut so.
In diesem Zusammenhang war die gestern Abend am Brandenburger Tor in Berlin durchgeführte Mahnwache, die ein so vielschichtiges Bekenntnis von Deutschen aller Denk- und Handlungs-Richtungen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ihres Landes brachte, eine im besten Sinn prägende Erfahrung. Vor allem weil der Vertreter der ausrichtenden (islamischen) Organisation Laizismus und Agnostikertum als ebenso wichtige Grundsätze/Möglichkeiten wie die Freiheit der Glaubenswahl stark betonten.
Inhaltlich und emotional war diese Veranstaltung deutlich genauer gesetzt als die von Österreichs Elite am Sonntag; in Konkurrenz zur global gesehenen Pariser Massendemonstration, abgehaltene Burgtheater-Freiluft-Lesung.
Aber selbst da vermochte die oft zurecht kritiserte Einrichtung des Nationalstaats zu zeigen, was sie kann: nämlich die Praxis des wertschätzenden Zusammenlebens zu zelebrieren, jenseits einer diffusen und vom Turbokapitalismus oder auch vom religiösen Fundamentalismus inhalierten Globalisierung, die sich im Virtuell-Theoretischen verliert und verirrt.
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In diesem Zusammenhang hab' ich etwas nicht verstanden: warum nämlich die vier Toten des Anschlags, den Amedy Coulibaly am Donnerstag auf den kleinen Supermarkt an der Porte de Vincennes begangen hatte, am Sonntag in Israel beigesetzt wurden.
Es war ein koscheres Geschäft; und den vier zufälligen Opfern war nur eines gemeinsam: die Religionszugehörigkeit.
Yohan Cohen war ein Student, der in dem Shop jobbte, Francois-Michel Saada war Pensionist, Philippe Braham war Verkaufsleiter im IT-Bereich, alle drei waren Franzosen.
Yoav Hattab war Tunesier, ausgebildet im lycée français de Tunis und wegen seines Wirtschaftsstudiums nach Paris gezogen. Er war der Sohn des Groß-Rabbiners von Tunis.
Drei in Paris getötete Franzosen, ein Tunesier, alle vier Juden.
Ja, und Braham, der Bruder eines Rabbi, hatte Bezüge zu Israel: er und seine Frau hatten vor ein paar Jahren ihr verstorbenes Kind in Jerusalem begraben.
Das ist es aber auch.
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Ich bin seit Schulzeiten, als der Antisemitismus noch viel frecher Mainstream war, als er heute wieder ist, (er ist nur zwischenzeitlich für ein paar Jahre in den Underground verzogen gewesen) argumentationstechnisch präpariert auf die dümmsten Klischee-Vorurteile schnelle Antworten zu haben.
Das ist vor allem in einem Bereich wichtig: dem der andauernden bewussten Vermischung/-wechslung von Jude/Israeli sein.
In Europa kommt kaum eine jüdische Community über 1%, selbst in den USA/Kanada sind es keine 2%.
Last time I checked waren 75% der Israelis Juden. Das ist zwar viel, aber deutlich weniger, als es etwa in Italien Katholiken gibt.
Und auch umgekehrt: nicht jeder Jude ist automatisch Israeli. Es hat zwar jeder Jude das Recht einzuwandern, der Erwerb der israelischen Staatsbürgerschaft ist aber an keinerlei Religionszugehörigkeit gebunden.
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Was ich also nicht verstehe: warum werden drei Franzosen und ein Tunesier nach Israel überführt? Sich da auf das Einverständnis der Familien zu stützen, ist etwas dünn.
Vor allem in Tunesien stieß diese Aktion auf starke Kritik. Dazu sollte man sich erinnern, dass die Bürgerrechts-Bewegung des Mittelmeerlands nicht nur den arabischen Frühling losgetreten hatte, sondern ihren nachhaltigen Kampf auch in eine neue, demokratische Praxis überführen konnte, und so eine säkulare Gesellschaft, in der alle Platz haben, errichtet hat. Die Parlaments- und Präsidentschafts-Wahlen von 2014 konnten die Republik stabilisieren. Zuletzt steckte man mitten in einer Debatte, inwieweit man die Beziehungen zum maritimen Nachbarn Israel normalisieren könne.
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Der Fall Yoav Hattab führt jetzt zu einer heftigen Verstimmung. Man betrachtet die Überführung nach Jerusalem als Affront, als Quasi-Entführung, noch dazu weil Freunden der Familie der Besuch beim Begräbnis verwehrt wurde.
Gerade die Tatsache, dass Hattab ein Teil der kleinen, aber alteingesessenen und angesehenen tunesisch-jüdischen Community war, hätte - bei entsprechender medialer Begleitung einer in Tunis durchgeführten Trauerfeier - enorme Wirkung/Strahlkraft entfalten können. Aber womöglich auch das Monopol, das der Staat Israel in Bezug auf jüdische Opfer von islamistischem/neonationalem/sonstigem Terror beansprucht, angegriffen.
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So bleibt der schale Beigeschmack, dass das offizielle Israel sich in Bereichen für moralisch, politisch und (dann auch durch schnelles Handeln rein praktisch) zuständig erklärt, die sie nichts angehen. Diese Aktion ist Teil einer mittlerweile für selbstverständlich erachteten und auch in vielen Communities (etwa der österreichischen) nicht sehr hinterfragten Gleichsetzung von Israel und allen Menschen jüdischer Religion weltweit.
Das ist insofern praktisch, weil man damit jede Kritik an der politischen Praxis der israelischen Regierung (die genauso viel und oft irrt wie jede andere und dafür Kritik einstecken dürfen muss; Nethanjahu war ein ebenso beliebtes Ziel von Charlie Hebdo wie die ultraorthodoxen Siedler und andere jüdische Fundamentalisten) als Kritik am Judentum schlechthin und somit als antisemitisch beklagen kann.
Das ist nicht nur aus den oben genannten Gründen (dass Israel kein monotheistischer Staat ist; dass nicht jeder Jude als Israeli reklamiert werden kann, nur weil er theoretisch einwandern dürfte) moralisch unzulässig, sondern auch weil eine solche Gleichsetzung allen Juden weltweit vorschreibt, dass sie ihre Religionszugehörigkeit über alle anderen Identitäten und Lebensprinzipien zu setzen haben.
Das gilt aber nur für eine kleine Minderheit.
Schon fast die Hälfte aller israelischen Juden bezeichnet sich als säkular; der säkulare Anteil der in Europa lebenden Menschen mit jüdischer Religionszugehörigkeit ist noch deutlich höher, das Gegenstück zu dem, was in Österreich als Taufschein-Katholizismus stark ausgeprägt ist (der Religion halt noch alibimäßig angehören, weil die Oma den Austritt nicht überleben würde).
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Die Begräbnisse von Jerusalem helfen dabei eine populistisch-simple Sicht auf die Dinge (Juden sind Israelis, Israelis sind Juden, eh alles dasselbe) zu propagieren, die einer kurzfristigen Wir-Gefühl-Strategie geschuldet sein mag und sich auch als Angebot an Schutzsuchende versteht, aber nichts zur Aufklärung jenseits alter Vorurteile beiträgt. Und damit Wasser auf die Mühlen der hiesigen, ihren ererbten Antisemitismus eh nur schwer loswerdenden Vereinfacher sind. Und mir das Leben, vor allem den Teil, in dem ich mit den zahllosen Exponenten dieser Spezies immer wieder und immer mühsame Erklärungs-Gespräche über diesen Teil ihrer blindfleckigen Welt führen muss, wieder ein Stück schwerer machen.