Erstellt am: 14. 1. 2015 - 15:22 Uhr
Die Welt ist kleiner geworden
Wir reden und reden. Und in unseren Gesprächen reisen wir von Paris nach Wien, dann nach Bulgarien und dann wieder nach Paris. Die Welt ist kleiner geworden.
CC-BY-SA-2.0 - fsse8info / flickr.com
Neulich wurde von bulgarischen Spezialeinheiten der Polizei eine "Zelle" der IS in einer Romasiedlung in der südbulgarischen Stadt Pazardjik ausgeforscht.
In Bulgarien leben Roma außerhalb der Gesellschaft. Viele gehen gar nicht zur Schule. Ganze Generationen werden Analphabeten, sie haben keine großen Perspektiven für ihr künftiges Leben.
Ich hatte mal einen Bekannten, ein evangelischer Pfarrer, der in den Roma-Communities tätig war. Er meinte, er habe nie so viel ehrlichen Glauben wie dort gesehen. Ich habe mal seine bis zum letzten Platz gefüllte Kirche besucht. Die Menschen schenkten Gott ergeben ihre Seelen. Alle sangen aus vollem Halse.
In seinen Predigten erzählte mein Bekannter über die Schädlichkeit von Drogen, über Liebe und Verzicht von Gewalt. Und tatsächlich war in diesem Roma-Viertel, wo die Kirche stand, die Kriminalität niedriger und die Häuser der Bewohner sahen besser aus.
Ich fragte ihn, ob die Roma wegen der Almosen zur Kirche kommen. Tatsächlich, sagte er, gebe es einige, die wegen einer Flasche Sonnenblumenöl oder einer Packung Zucker kommen, die die evangelische Kirche verteilt. Aber die meisten würden in die Kirche gehen, weil sie tatsächlich Glauben brauchen.
Die evangelischen Pfarrer kamen schon vor Jahren nach Bulgarien und zogen sich dann langsam wieder zurück. Man sagt, sie haben kein Geld mehr um Roma zu missionieren. Und die Roma gaben den evangelischen Glauben auf. Da sie aber Gott so dringend brauchen, und die bulgarische orthodoxe Kirche sich nicht um sie kümmert, wurden sie Muslime.
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In der Roma-Siedlung von Pazardjik hat es offenbar ein aggressiver Imam geschafft, ein radikalislamistisches Nest zu etablieren. Die Religion füllte die Lücke, die die fehlenden Sozialleistungen hinterlassen haben. Es wird auch vermutet, dass der Imam Krieger für Syrien angeworben habe. Die Menschen in der Moschee haben sich mit IS-Fahnen in Kriegsposen fotografiert. Jetzt wird ermittelt, ob dort tatsächlich Krieg, Gewalt und Terrorismus verherrlicht wurden.
Gestern versuchte ein Romajunge am Karlsplatz mir eine Zeitung zu verkaufen. Er wusste irgendwie, dass ich aus Bulgarien bin und sagte: „Hilf mit bitte, mein Herr, wir sind ja verwandt!“. Ich fragte ihn, wo er herkomme. "Aus Pazardjik", sagte er, "aus dem Romaviertel". Dann können wir nicht verwandt sein, sagte ich. "Wir sind verwandt, mein Herr!", antwortete er, "Ich bin Charlie und du bist auch Charlie!"
Wenn ich es mir so denke, hat er Recht. Wir sind alle Charlie - gleichzeitig in Angst voreinander und in der Unmöglichkeit ohne einander zu leben.