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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

12. 1. 2015 - 18:32

Abwahl des Sparkurses?

Die Drohungen mit einen Rausschmiss des Landes aus der Euro-Zone lassen viele Griechen kalt: "Die Entscheidung eines Volkes ist nie falsch. Egal, was wir hier wählen - die EU muss es akzeptieren."

In knapp zwei Wochen, am 25. Januar, finden in Griechenland vorgezogene Wahlen statt, nachdem das Parlament Ende Dezember nicht in der Lage war, einen neuen Präsidenten zu wählen. Es handelt sich um einen der kürzesten Wahlkämpfe in der modernen Geschichte Griechenlands.

In den Umfragen führt das linke Oppositionsbündnis Syriza. Dazu kommen noch neue linksliberale Parteien, um die Gunst der Wähler rittern. Von einem normalen Wahlkampf ist jedoch wenig zu spüren; fast keine Wahlplakate, nur wenige große Kundgebungen. Die Parteien versuchen mit TV-Werbespots die Wähler zu überzeugen.

Das dominierende Thema ist die Debatte über einen sogenannten Grexit, also einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, falls die neue Regierung den bisherigen Sparkurs nicht fortsetzt. Im Gegensatz zu den Parlamentswahlen im Jahr 2012 scheinen die Wähler diese "Drohungen" allerdings nicht ernst zu nehmen.

Die Linkspartei Syriza liegt in aktuellen Umfragen auf Platz eins und hat einen Vorsprung von 3 bis 7 Prozentpunkten vor der konservativen Regierungspartei Nea Demokratia.

Um Platz drei liefern sich die linksliberale neugegründete Partei To Potami, die kommunistische KKE und die neofaschistische CHRYSI AVGI ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Die sozialistische PASOK, die zusammen mit Nea Demokratia die jetzige Regierung stellt, schafft weniger als 4 Prozent, genau so wie die konservativen Unabhängigen Griechen (ANEL) und die linksliberale DIMAR, die von 2012 bis 2013 mit Nea Demokratia und PASOK zusammen regierte.

Die Bewegung der Demokraten und Sozialisten (Kidiso), die der ehemalige PASOK-Chef und Ex-Premierminister Giorgos Papandreou erst Anfang Januar gründete, kann bei den aktuellen Umfragen die Drei-Prozent-Hürde für einen Einzug ins Parlament nicht überwinden, könnte jedoch der Syriza wertvolle Stimmen nehmen.

Der 31-jährige Dimitris ist froh, dass er bald über eine neue Regierung abstimmen kann. Er ist Angestellter und hat gerade Feierabend. Er geht im Athener Zentrum an geschlossenen Läden, Obdachlosen und leeren Geschäften vorbei. Statt dass sich der Schuldenberg wegen des vielbeschworen Sparkurses verkleinert, ist er inzwischen auf einem höheren Stand als zu Beginn der Krise. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei fast 26 Prozent und laut einer Studie des Haushaltsbüros des griechischen Parlaments leben 2,5 Millionen Griechen unterhalb der Armutsgrenze. Weitere 3,8 Millionen sind demnach von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, zusammengenommen knapp 60 Prozent der Bevölkerung.

Schlimmer als jetzt kann es in Griechenland gar nicht mehr werden, meint Dimitris. Die Tatsache, dass der Wahlkampf sehr kurz ist, stört ihn nicht. "Es ist besser so. Denn je mehr Wahlversprechungen man hört, desto mehr wird man desorientiert. Die letzten fünf Jahre haben wir am eigenen Leib die Folgen dieser Politik erlebt. Wir wissen was wir wählen werden."

Griechischer Euro

APA/dpa-Zentralbild/Jens Büttner

Die Drohungen aus dem Ausland über einen Rausschmiss des Landes aus der Eurozone lassen Dimitris kalt: "Die Entscheidung eines Volkes ist nie falsch. Egal, was wir hier wählen - die EU muss es akzeptieren. Es ist ein demokratischer Prozess. Ich sehe keinen Grund, warum Europa Griechenland bestrafen sollte, weil die Griechen etwas Bestimmtes gewählt haben." Die Mehrheit der GriechInnen will bei aktuellen Umfragen in der Eurozone bleiben.

Laut einer Umfrage des Instituts Palmos meinen 63 Prozent der Befragten, dass auch ein Sieg von Syriza nicht zu einem Grexit führen wird. Und 47 Prozent meinen, dass es besser wäre, dem Linksbündnis Syriza eine erste Chance zu geben als der konservativen Regierungspartei Nea Demokratia eine zweite. Nur 31 Prozent wären dafür.

Vaso ist 24 Jahre alt und arbeitslos. Sie wünscht sich neue Gesichter in der Politik und ist bereit, eine neue Partei zu wählen. Sie wäre prinzipiell auch bereit, zur alten nationalen Währung zurückzukehren, obwohl sie die Folgen von so einer Entwicklung fürchtet. "Ich habe Angst, dass wir keine Subventionen und andere Mittel bekommen, wenn wir nicht mehr Mitglied der Eurozone sind. Aber falls wir weiterhin Subventionen und Gelder bekommen, ohne dass wir den Euro haben müssen, wäre es auch okay. Die Drachme hat mir gefallen, auch wenn ich sie nur kurze Zeit erlebt habe."

Der ehemalige Syriza-Europaabgeodnete Nikos Choundis meint, dass ein Austritt aus der Eurozone politisch, wirtschaftlich aber auch juristisch nicht möglich sei. Seine Partei will auf der Basis des europäischen und internationalen Rechts verhandeln: Nach dem Vorbild der Londoner Konferenz, als 1953 die Schulden Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg geregelt wurden. "Bei den Verhandlungen möchten wir erklären, dass so große Schulden aus der Erfahrung her nicht bezahlbar sind. Das Begleichen der Schulden führt hier zu einer sozialen Katastrophe, was sicher niemandem in Europa gefällt. Es handelt sich um ein gesamteuropäisches Problem."

Die Linken wollen den strikten Sparkurs beenden und einen Schuldenerlass verlangen. Dazu planen sie diejenigen die das Land in den Sparmemorandum geführt haben und umstrittene Entscheidungen getroffen haben, wie z.B die Schließung der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt ERT, zur Rechenschaft zu ziehen. Die Partei will auch den Mindestlohn und den Steuerfreibetrag für Geringverdiener erhöhen.

Alexis Tsipras

APA/EPA/ORESTIS PANAGIOTOU

Alexis Tsipras, der Vorsitzende des Parteienbündnisses Syriza

Premierminister und Vorsitzender der konservativen Nea Demokratia, Antonis Samaras, wiederum verspicht, dass Renten sowie Gehälter nicht weiter gekürzt werden. Sollte er wiedergewählt werden, werde es sogar zu Steuersenkungen kommen. "Wir sagen die Wahrheit, wir garantieren die Zukunft", lautet der Slogan seiner Partei. Anlässlich des Attentates auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" in Paris kritisierte Samaras die von Syriza propagierte Immigrationspolitik und behauptete unter anderem, dass sie im Falle eines Wahlsieges massenhaft Aufenthaltsgenehmigungen bewilligen wird.

Syriza hat eine inzwischen auch willkommene Unterstützung aus dem Ausland bekommen. Mit einen Brief auf www.with-the-greeks.eu, ruft eine Gruppe von über 300 Intellektuellen auf, Syriza und die Griechen im Kampf gegen die "falsche Wirtschaftspolitik Europas" zu unterstützen. Unter ihnen der Linguist Noam Chomsky, der Philosoph Slavoj Zizek und der Ökonom James K. Galbraith.

Keine Briefwahl für Auslandsgriechen

Eine Gruppe von GriechInnen die ins Ausland ausgewandert sind, sammelt Spenden, um die Reisekosten zu bezahlen, damit sie in ihrer Heimat wählen können. Briefwahl gibt es für Auslandsgriechen nämlich keine. Diese Initiative hat den Namen "A flight for Democracy". Sie hoffen mit ihrer Stimme die Politik zu beenden, die sie dazu gebracht hat ihr Land zu verlassen. "Ich will, dass mein Land endlich aufhört ein Versuchskaninchen für neoliberale Politik zu sein", sagt ein Grieche der in Paris wohnt und mit der Hilfe der Spenden an den Wahlen teilnehmen will.

Bei diesen Wahlen können übrigens über 100.000 achtzehnjährige nicht wählen, weil sie nicht in den Wählerlisten der Gemeinden eingeschrieben sind. Normalerweise hätten sie zwischen 1. und 25. Februar 2015 eingeschrieben werden müssen, da die Wahlen jetzt aber früher stattfinden, war das nicht möglich. Medien sprechen von einem Versäumnis des Innenministeriums, das schon seit September von diesem Problem gewusst hätte, aber nichts unternommen habe.

Trotz der Tendenz hin zu einem Sieg von Syriza sind nicht alle begeistert von den Versprechungen der Partei. Der 60-jährige Beamte Giorgos meint, wegen der schwierigen Wirtschaftslage sei es gerade jetzt kein guter Zeitpunkt für Neuwahlen. Er hat die sozialistische PASOK seit ihrer Gründung gewählt und war auch lange aktives Mitglied der Partei. Diesmal möchte er eine neue Partei wählen: die linksliberale Potami, die erst vor den Europawahlen im Mai von einem bekannten Fernsehjournalisten gegründet wurde und in einigen Umfragen auf Platz drei landet. "Wir müssen die Situation für unsere Kinder ändern. Meine Generation ist erledigt. Wir haben ein Land zerstört. Die Klientelpolitik muss weg und das Land muss mit europäischen Standards regiert werden können“, so Giorgos.

Wieviel Bewegung in Griechenlands Parteienlandschaft ist, zeigen die großen politischen Sprünge, die manche Politiker in letzter Minute macht. So will die aus der sozialistischen PASOK stammende Staatssekretärin im Ministerium für Kultur- und Sport Antzela Gerekou beim bevorstehenden Urnengang für die konservative Nea Dimokratia kandidieren. Auch der frühere PASOK-Parlamentarier Vassilis Oikonomou, der 2012 für die Demokratische Linke (DIMAR) ins Parlament gewählt wurde, will auch für Nea Demokratia kandidieren.

Zweifel an den zukünftigen Aktionen der Syriza-Führung äußerte auch der bekannte Komponist Mikis Theodorakis - eine Symbolfigur für die Linke und die GriechInnen insgesamt -, der nach dem Ausbruch der Krise die Bürgerbewegung Spitha gründete. Vor ein paar Tagen sagte er, er würde Syriza nur dann unterstützen, wenn die Partei vor den Wahlen versichert, dass sie das Land gesetzlich vollständig von dem Sparmemorandum entlastet. In einem Brief, der an einen seiner Freunde gerichtet war und der veröffentlich wurde, behauptet Theodorakis, dass sowohl er als auch der Syriza-Europaabgeodnete und bekannte Widerstandskämpfer Manolis Glezos von Syriza bei den großen Protestaktionen im Jahr 2012 nur benutzt wurden, damit die Partei stärker wird und es ins Parlament schafft.

"Ich glaube nicht die Versprechungen Tsipras. Er ist kein Linker mehr, sondern jemand der eine linke Rhetorik benutzt", sagt die 40 jährige Christina die statt Syriza die linke außerparlamentarische Partei Antarsia wählen wird.

Ziel von Syriza ist es, die absolute Mehrheit bei den Wahlen zu gewinnen um eine starke Position bei den Verhandlungen mit den Gläubigern zu haben. Trotz der Zweifel an den Versprechungen der Führung, gibt es die letzten Tage immer wieder Aufrufe zu dieser Richtung.

"Bei diesen Wahlen entscheiden wir, ob wir die Sicherheit des Elends oder die Gefahr des Umbruchs bevorzugen. Wenn Syriza nicht gewinnt, ist sicher, dass die gleiche Politik, die noch mehr Armut bringen wird, fortgesetzt wird. Aber wenn Syriza gewinnt, ist alles offen, und dies stellt eine Hoffnung dar", so das alternative Webportal ThePressProjekt.