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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 1. 2015 - 16:35

The daily Blumenau. Monday Edition, 12-01-15.

Was tun, Medien? Informations- und Analyse-Kompetenz stärken und/oder zunehmend paranoider werdende User-Äußerungen als gleichwertiges Gegengewicht abbilden?

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

#medienpolitik #demokratiepolitik

Sometimes it's hard to be the mainstream media.
Zuletzt eigentlich immer. Und egal aus welchem Anlass.

So hat sich gestern eines der Flaggschiffe des deutschsprachigen Qualitäts-Journalismus, die Sonntags-Ausgabe der FAZ, dazu durchgerungen, ihre Aufmacher-Geschichte mit einem Zugang zu bestreiten, den die außermediale Opposition der Montagsdemos und Lügenpresse-Verächter sowie die New-Media-Berater und die populistischen Parteien so wortreich einfordern: Sie haben den Blick hinter die offiziellen Stellungsnahmen, die seriösen politisch-korrekten Kanäle und jenseits der auf demokratische Reife und De-Eskalierung getrimmten Zivilgesellschaft gewagt, in die Untiefen der Verschwörungs-Theoretiker-Sümpfe, in die abgründigen virtuellen Welten Vorurteilsgetriebener Faktenverdränger.

"Und schon keimt der Glaube an ein Komplott" heißt die Geschichte hier am FAS-Cover. Sie zeichnet in einer etwas größer angelegten Straßenumfrage, bar jeder Kommentierung oder Wertung die kreuz-und-quer-kruden Ansichten von rund 30 Berliner Muslimen zum Thema #JeSuisCharlie auf, die im Gesamten zu einer Kakaphonie stupidesten Gewäschs gerät, zu einer Symphonie langfristig inszenierter Instrumentierungs-Ideologie, und legt den Blick auf eine bereits zur Groteske erstarrten Parallelrealität frei.

Interessanterweise wird diese zugegebenermaßen stark vorpreschende, ungewohnte Herangehensweise von Öffentlichkeit und Medien-Kritik (zumindest dem politisch-korrekten Teil davon) zerzaust.

Das Cover der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 11.1. 2015

fas

Wäre man mit derselben Herangehensweise an 30 Teilnehmer einer Pediga-Demo herangegangen und würde deren gleichermaßen faktenfrei entstandene, protorassistische Dümpfeleien abbilden, wäre zwar von anderen Teilen der Öffentlichkeit eine ebenso watschende Kritik erfolgt, die Zahl der Gutheißungen wären aber deshalb höher gewesen, weil viele selbsternannte Wutbürger und die durch nichts als ihren populistischen Riecher zum Mandat selbstermächtigten Politiker genau das fordern. Von der "Lügenpresse", dem neuen Feindbild.
Nämlich die Abbildung ihrer Position.

Im Fall der an akuten Alltags-Verschwörungstheorie erkrankten Muslime, die die FAS zitiert (und die jeder Reporter in jeder Großstadt innerhalb von wenigen Gesprächen bestätigt bekommen wird, weil dieser Alltag ein übergreifender ist) mag das den rechten Populisten Wasser auf die Mühlen spülen und deshalb jenen, die den in den Alltag eingesickerten Propaganda-Irrsinn gerne ausklammern möchten, nicht so gut gefallen.

Im Fall der (noch ausstehenden, aber sicher demnächst daherkommenden) Selbst/Darstellung der nationalstrammen Pegida-Isolationisten wird es umgekehrt sein: denn natürlich ist die Ausstellung von dümmlichen (und leicht zu widerlegenden) Stereotypen den Krakeelern nur bis zu einem bestimmten (Überzeugungs-)Grad bekömmlich. In den meisten Fällen werden sie sich lächerlich machen. Und außerhalb ihrer Kern-Community nichts erreichen.

Genau deshalb ist das Feindbild der vorsichtigen, seriösen, sich nix-trauenden "Lügenpresse" aktuell auch so wichtig für die Rechtsaußen-Bewegungen. Vor allem im Deutschland, wo der Fight tobt - (noch) nicht in Österreich, wo all das nur in Ansätzen stattfindet.

Das groß vorgetragene Anliegen, die Abbildung dessen, was die Propagandisten, egal ob jene im Namen eines Imans, eines Oligarchen oder eines Inländerführers (da nehmen einander die Fundamentalisten aller Sorten nichts) so an Vorurteilen und Verschwörungstheorien abzuladen haben, ist ja nicht ganz so ernst gemeint, wie sie erhoben wird - zumindest von jenen, die sie steuern. Der offensive Blödsinn würde, bei entsprechender Ausstellung, eher abschreckend als anziehend wirken.

Weshalb die Lügenpresse-Chefschreier auch auf den konservativen Mechanismus der alten Medien hoffen. Dass diese in einer berechenbaren Schutzhaltung erstarren. Dass ihnen die Fassadenwahrung gegenüber großbürgerlichen Eigentümer-Interessen wichtiger ist als ihre natürliche Neugier, dass sie ein abwartendes Lavieren dem Risiko einer Strategie (egal welcher) vorziehen.
Insofern ist der kürzlich erfolgte _Aufruf der Zeitungsverleger(www.faz.net der sich noch vor den Pariser Ereignissen auf den Pediga-Schock bezog, eine Überraschung, mit der niemand gerechnet hat. Auch weil die Konsequenzen nicht abzusehen sind.

Die erste Frage, vor der die als System-Medien und Lügenpresse diffamierten Mainstream-Medien stehen, ist zum einen die, ob (zunehmend paranoider werdende) Leser/User-Äußerungen künftig als gleichwertiges Gegengewicht zu den Ansagen des politischen Establishments und dem schmalen Rest der verantwortungsbewussten Zivilgesellschaft gestellt werden.
Die zweite Frage ist die, ob dieses – in sich populistische und in jede Richtung instrumentalisierbare – Tool alleine bleibt, oder durch eine dem Volksgemurmel entgegengestellte Stärkung der Informations- und Analyse-Kompetenz begleitet wird. Letztlich ist nämlich der FAS-Prototyp auch nichts anderes als die Krone-Lesermeinungs-Seite: eine Ansammlung von durch Alltags-Ängste getragene Gehässigkeiten, die einem echten Faktencheck keine Sekunde standhalten, einer gut verknüpfende Analyse kein Jota entgegenzusetzen vermag.

Diese zugegebenermaßen unglaublich anstrengend herzustellende Mischung hat eine Chance, die „Lügenmedien“ wieder zu Mitspielern in einem Diskurs zu machen, der das Label demokratisch wieder verdient.
Das was aktuell im Umfeld der Wütenden/Wüteriche als „Debatte“ betrachtet wird, die Erschaffung von diversen, ideologie- und interessensgetriebenen, durchwegs fundamentalistisch orientierten Parallel-Realitäten, ist ein gewaltiger Schritt im Richtung Totalitarismus; sie leisten einer Realitätsflucht der Massen (wie sie etwa Hannah Arendt als wesentliches Merkmal einer solchen Entwicklung beschrieben hat) Vorschub. Das (mit)zuverhindern kann/soll/muss die vielleicht letzte hehre Aufgabe der klassischen Medien heutigen Zuschnitts sein.