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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

11. 1. 2015 - 18:57

Etwas Transparenz - das letzte Aufgebot für TTIP

Von der EU-Kommision nun veröffentlichte Dokumente zeigen, dass die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP vielfach noch ganz am Anfang stehen.

Mit der Veröffentlichung von Unterlagen zum umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP am Dienstag versucht die EU-Kommission noch einmal, das festgefahrene Abkommen wieder in Schwung zu kriegen. Der Applaus für die Veröffentlichung war in Europa jedoch verhalten, obwohl der zentralen Forderung der Kritiker nach Transparenz der Verhandlungen damit teilweise stattgegeben wurde. Dieser von US-Thinktanks seit Monaten dringend empfohlene Kurswechsel dürfte der letzte solche Vorstoß sein. Das Zeitfenster für die TTIP-Verhandlungen wird sich nämlich in der zweiten Jahreshälfte langsam schließen, wenn der Wahlkampf um die US-Präsidentschaft beginnt.

In den USA kämpft Präsident Barack Obama um eine Mehrheit im republikanisch dominierten Kongress für ein "Fast Track"-Verfahren. Dieser legistische "Schnellsiedegang" ist nach Ansicht aller Beobachter unumgänglich, um einen Handelsvertrag wie TTIP abzuschließen. Mindestvoraussetzung dafür, dass die "Fast-Track"-Frage überhaupt aktuell wird, ist eine transatlantische Einigung auf ein gemeinsames Verhandlungsgerüst bis zum Herbst. Die aktuell veröffentlichten EU-Dokumente zeigen allerdings, dass man nach gut 18 Monaten Verhandlungen in wichtigen Bereichen noch ganz am Anfang steht.

Empfehlungen der "Atlantic Community"

Im Oktober hatte das Cato Institute zusammen mit dem Atlantic Council einen ganz ähnlichen Forderungskatalog veröffentlicht. Vor allem schlug man vor, besonders umstrittene Maßnahmen separat zu verhandeln, weil ein Abschluss sonst bis zu zehn Jahre dauern könnte

Die aktuellen Empfehlungen der "Atlantic Community" sind nicht nur weitgehend deckungsgleich mit jenen der NATO-nahen Thinktanks "Atlantic Council" und "Cato Institute" und identisch mit den Argumenten der Kritiker des Abkommens. Oberster Punkt ist die Transparenz der Verhandlungen, hier müssten die Entscheidungsträger einsehen, dass es nicht genüge, "wiederholt oberflächliche Versicherungen abzugeben", vielmehr müssten belegbare Beispiele auf den Tisch, wie auch "sensitive Industrien" harmonisiert werden könnten, ohne dass Sicherheitsstandards dadurch beeinträchtigt würden.

Empfehlungen der Atlantic Community zu TTIP

Atlantic Community

Die besonders umstrittenen Klauseln zum Investorenschutz müssten nach Ansicht der Atlantic Community entweder tiefgreifend geändert oder überhaupt gestrichen werden. In seiner dritten Empfehlung rät der Thinktank dringend, damit aufzuhören, "enorme ökonomische Gewinne" zu verprechen, wenn alle Schätzungen von bestenfalls moderaten Zuwächsen ausgingen. Weit glaubwürdiger wäre es, ѕtattdessen sei die tatsächliche geostrategische Bedeutung des Abkommens hervorzuheben

Gehäufte Konjunktive

Die drei Empfehlungen des Atlantic Council tragen den Titel How to Save TTIP

Das letzte Aufgebot der EU, um doch noch aus der Defensive zu kommen, in der man sich seit dem Start der Verhandlungen befand, besteht aus zwei Kategorien von Dokumenten. Zum einen sind es "Fact-Sheets" pro Teilgebiet, die sehr allgemein gehalten und deshalb nur begrenzt aussagefähig sind. Schon interessanter sind da die EU-Verhandlungspositionen, die allerdings erst für einzelne Teilbereiche vorliegen. Sowohl die Anzahl als auch der Inhalt dieser Dokumente zeigt, dass der Prozess nach 18 Monaten Verhandlungen in den meisten TTIP-Teilgebieten erstaunlich wenig fortgeschritten ist bzw. in manchen noch ganz am Anfang steht.

EU-Position zu Kosmetika im TTIP

Public

Das betrifft nicht nur die öffentlich ständig thematisierten Streitpunkte wie Chlorhühner oder Genmais, sondern weniger aufregende Sachthemen wie Inhaltsstoffe in Kosmetika. Die EU-Position hierzu ist voller Konjunktive und auch die Aussagen sind mehr als vage, denn bereits hier zeigen sich fundamentale Differenzen in den Ansätzen und im Prozedere. In Europa sind grundsätzlich erlaubte Farbstoffe, etwa in Produkten zur Haarpflege, aufgelistet und können ohne weitere Tests in neuen Produkten enthalten sein. In den USA hingegen bedarf jedes Farbadditiv einer grundsätzlichen Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde FDA, die für einzelne Substanzen auch Testserien vorschreiben kann.

Annäherung bei Sonnencremes

Der gesamte Vorschlag der EU zu Kosmetika besteht aus nebulösen Sätzen wie "beide Seiten könnten Möglichkeiten zur Annäherung und gegenseitigen Anerkennung erlaubter kosmetischer Ingredienzien erkunden". Bei Filtern gegen ultraviolettes Licht, wie sie in Sonnencremen enthalten sind, könnten "beide Seiten Möglichkeiten zur wechselweisen Anerkennung wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Sicherheit von UV-Filtern diskutieren", heißt es im EU-Positionspapier dazu.

Mitte November hatte die französischer Regierung erklärt, TTIP nicht zu unterzeichnen, wenn die ISDS-Klauseln nicht eliminiert würden. In den USA ist das Abkommen ebenso umstritten wie in Europa

Das lässt angesichts der bestehenden, transatlantischen Unterschiede nicht eben auf einen fortgeschrittenen Verhandlungsstand schließen. Während EU-weit etwa 1.300 Substanzen nicht in Kosmetika enthalten sein dürfen, sind es in den USA lediglich elf Chemikalien, die dezidiert verboten sind.

Vorläufige Pestizide

Für das TTIP-Kapitel über Chemikalien existieren zwar bereits drei Positionspapiere, von denen allerdings eines vager als das andere gehalten ist. Bei Chemikalien verfolgen sowohl die USA wie auch Europa einen "risikobasierten Ansatz", der beiderseits des Atlantiks jedoch völlig unterschiedlich gehandhabt wird. Dies betrifft weniger den Analysevorgang als vielmehr die Schlussfolgerungen daraus.

Liste zugelassener und verbotener Pestizide in  der EU und den USA

CIEL

Der Umweltschutz-Thinktank CIEL listet aktuell 82 Pestizide die in der EU verboten, in den USA jedoch längst am Markt sind. Die großen Unterschiede resultieren laut CIEL daraus, dass Ausnahmen in den USA dabei die Regel sind, denn 65 Prozent aller in den USA verkauften Pestizide sind nur mit einer Ausnahmegenehmigung auf dem Markt. Dass heißt, diese Substanzen haben längst nicht alle vorgeschriebenen Testserien hinter sich, sondern wurden vorläufig zugelassen.

Der Bericht des in der Schweiz und den USA niedergelassenen Thinktanks CIEL trägt den Titel "Kleinster gemeinsamer Nenner:Freihandelsvertrag EU-USA droht die Standards zum Schutz vor giftigen Pestiziden abzusenken

"Non-Paper", Prioritätenliste

Alle drei EU-Dokumente zum Verhandlungsstand über Chemikalien sind von einem Ansatz zur Lösung dieser Differenzen bei der praktischen Umsetzung des "risikobasierten Ansatzes" meilenweit entfernt. Ein mit 24. September datierter diesbezüglicher EU-Vorschlag ist ausdrücklich als "Non Paper" gekennzeichnet, Dokumente mit dieser Kategorisierung kursieren typischerweise in den Vorbereitungsphasen von Verhandlungen.

Inhaltlich skizziert das "Nichtpapier" der EU eine mögliche Ablaufhierarchie wechselseitiger Konsultationen und Abgleiche während eines solchen Zulassungsverfahrens für Chemikalien. Der erste Punkt dabei ist die Erstellung einer Prioritätenliste für chemische Substanzen sowie deren anschließende Evaluation. Wie angesichts eines solch dürftigen Verhandlungsstands nach 18 Monaten ein Grundgerüst für die TTIP-Verhandlungen binnen eines halben Jahrs erstellt werden soll, ist äußerst fraglich.

Non-Paper der EU zu Chemikalien in TTIP

Public

Hier wurde seitens der EU schon einmal versucht, einen ungefähren Überblick über jene Klassen von chemischen Substanzen zu geben, die einer Regelung bedürfen.

US-Positionen und "Fast Track"

Zudem geht aus den Dokumenten nicht hervor, was die USA eigentlich anstreben und wo sie ihre "roten Linien" gezogen haben. Der Forderungskatalog bleibt, wie alle US-Dokumente, weiterhin geheim, zumal alle Handelsverträge der USA in den letzten beiden Jahrzehnten hinter verschlossenen Türen ausgehandelt und dann im "Fast Track" abgeschlossen wurden.

Ob der Kongress mit "Fast Track" dem eigenen Ausschluss aus dem Verhandlungsprozess zustimmen wird, steht völlig in den Sternen. In beiden Häusern stellen die Republikaner nun die Mehrheit. Sie sind zwar eher Pro-Freihandel, aber nun einmal die politischen Gegner des Präsidenten. Barack Obama wiederum ist bei TTIP mit großen Widerständen in seiner eigenen Partei konfrontiert. Die hatte ihre Zustimmung zu "Fast Track" nämlich bereits verweigert, als ѕie im noch im Senat die Mehrheit stellte.

Beim Start wurden die möglichen finanziellen Benefits mit über 100 Mrd Euro jährlich viel zu hoch angesetzt. Diese Summe wurde obendrein manipulativ dargestellt, indem sie direkt auf die Einkommen der europäischer Haushalte umgelegt wurde.

Rückblick, Ausblick

Was die Transparenz von Verhandlungen, vor allem aber "Fast Track" in Zusammenhang mit internationalen Handelsverträgen angeht, so gibt es nur ein Verfahren, das hier aus der Reihe fiel. Das 1995 gestartete "Multilaterale Abkommen über Investitionen" (MAI) zwischen der OECD und der EU kam nämlich nicht so weit, als dass sich der US-Kongress überhaupt damit hätte befassen können. Als Einzelheiten über das erste große globale Abkommen mit Fokus auf Investorenschutz bekannt wurden, weigerten sich angeführt von Frankreich mehrere europäischen Staaten, weiter an den MAI-Verhandlungen teilzunehmen. Das Abkommen flog in die Luft.

Nach einer durch die EU-Wahlen und die "Midterm Elections" in den USA bedingten mehrmonatigen Verhandlungspause werden die TTIP-Verhandlungen Anfang Februar fortgesetzt. Schon bald danach wird sich zeigen, ob dieses letzte Aufgebot geeignet war, um das Ruder bei diesem Freihandelsvertrag herumzureißen, der mit dubiosen Zahlen und unrealistischen Versprechen gewissermaßen unter falscher Flagge in See gestochen war.