Erstellt am: 10. 1. 2015 - 13:58 Uhr
Rosa und Karl
Die ausführliche Berichterstattung zu den unerträglichen Pegida-Versammlungen und das Entsetzen über den Anschlag in Paris lassen ein großes Demonstrationsereignis, das am Sonntag in Berlin ansteht, ein wenig in den Hintergrund rücken. Aber auch dieses Jahr werden - wie stets am zweiten Januarwochenende - Tausende Menschen mit Bussen aus ganz Deutschland anreisen, um an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu erinnern, die 1919 von rechten Freikorps in Berlin ermordet wurden.
Rosa Luxemburg ist fast 100 Jahre nach ihrem gewaltsamen Tod immer noch recht präsent in Berlin. Der Rosa-Luxemburg-Platz mit der Volksbühne, dem Babylon Kino und der gleichnamigen U-Bahn-Station ist ein beliebter Platz, liegt im Zentrum (Ost). Die Rosa- Luxemburg Stiftung der Linken hat dort ihren Sitz und es gibt eine Rosa-Luxemburg-Oberschule in Berlin. Und jedes Jahr im Januar wird die Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin abgehalten.
Arthaus
Das Bild, das hier viele von der berühmten revolutionären Sozialistin haben, ist aber weniger durch Fotos und Plakate, sondern durch den Film "Rosa Luxemburg" mit Barbara Sukowa in der Titelrolle geprägt. Und da die Schauspielerin auf energische, politisch aktive Frauengestalten abonniert ist und dabei trotz aller Schauspielkunst doch immer ähnlich spricht und schreitet, setzt sich das persönlich-mediale Rosa- Luxemburg-Bild bizarrerweise aus dem von Gudrun Ensslin, Hildegard von Bingen, Hanna Arendt und anderen Sukowa-Rollen zusammen.
Das jährliche Gedenken an "Karl und Rosa", wie sie von den Genossen heute noch liebevoll genannt werden, ist kein Relikt aus DDR-Zeiten. Schon während der Weimarer Republik von 1919-1933 zog man am Todestag der beiden zur einer Gedenkstätte – die wurde dann vom NS-Regime zerstört, die Kundgebungen wurden verboten. Aber bereits 1946 ging es in der sowjetischen Besatzungszone weiter und ab 1949 wurde in der DDR der Gedenkmarsch als zentrale staatliche Veranstaltung fortgesetzt. 1988 reihten sich auch Ausreisewillige und Dissidenten ein, um gegen Berufsverbote in der DDR zu protestieren, und das Recht auf Freizügigkeit und auf freie Meinungsäußerung zu fordern, die ja in der DDR-Verfassung garantiert waren. Auf den Plakaten der Bürgerrechtler standen die Luxemburg-Zitate: "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden" und "Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht". Ein Großteil der Beteiligten wurde danach in den Westen ausgewiesen.
Seit der Wiedervereinigung 1990 gibt es auch miteinander konkurrierende Luxemburg-Gedenkmärsche. Mal fühlen sich die Trotzkisten provoziert, mal wollten "die Falken", mal die Jusos nicht mitmarschieren. Vor allem die Jugendgruppen monieren, die Erinnerung an "Rosa und Karl" sei zu einem Ritual erstarrt. Außerdem stellten sie die Frage, ob "alt- und neostalinistische Organisationen" die richtigen Bündnispartner bei einer solchen Ehrung seien.
Aber 2015 scheint man wieder Seite an Seite gemeinsam bei der großen LL-Demo zu marschieren. Traditionell läuft der Demonstrationszug am Sonntagmorgen vom Frankfurter Tor in Friedrichshain bis zur Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof in Friedrichsfelde. Dort werden Blumen, überwiegend "Arbeiterblumen", nämlich rote Nelken und Kränze niedergelegt. Die Vertreter der politischen Linken sind selbstverständlich anwesend. "Die Falken" organisieren einen Gedenkspaziergang durch das ehemalige Berliner Zeitungsviertel.
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In inhaltlichen Diskussionen, wie sie auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz geführt werden, geht es darum, Luxemburg und Liebknecht nicht als linke Ikonen zu verherrlichen, sondern vielmehr, ihre Schriften in Bezug zur heutigen politischen Situation zu studieren. Besonders aktuell gelten zur Zeit Luxemburgs Schriften zu Massenstreik und Liebknechts theoretische und praktische Initiativen gegen Militarismus.
Im vergangenen Jahr wurde in Deutschland an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 erinnert und dabei oft das Geschichtsbild vermittelt, die europäischen Nationen wären irgendwie schlafwandelnd in den Weltkrieg getaumelt. Rosa Luxemburg hingegen schrieb bereits 1915: "Auf seinen objektiven historischen Sinn reduziert ist der heutige Weltkrieg als Ganzes ein Konkurrenzkampf des ... Kapitalismus um die Weltherrschaft."
Darauf bezieht sich auch der Aufruf zur Rosa-Luxemburg- Demo und fragt: Geht es der Reaktion in den USA und in der EU, geht es der NATO und deren Verbündeten (im Geiste und im Profit) heute weltweit um etwas anderes als letztlich um Kapitalinteressen?