Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Charlie Hebdo ist keine "islamkritische Zeitung""

8. 1. 2015 - 13:16

Charlie Hebdo ist keine "islamkritische Zeitung"

Charlie Hebdo ist eine satirische Wochenzeitung, die sich herausnimmt über alles zu reden. Vor allem über die Dummen und die Mächtigen, in der Politik, aber auch in der Kirche.

Blaise Gauqelin war von 2002-05 als Journalist für französische Fernsehkanäle tätig, seit 2006 arbeitet er im ORF-Radio. Er schreibt für die französische Tageszeitung "Libération", für das Magazin "L’Express" und für das Radio "France Culture" tätig.

von Blaise Gauquelin

In ihren Artikeln über den Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo haben viele englischsprachige Zeitungen die Karikaturen über Islam zensiert. Für viele Franzosen ist das unverständlich und pietätlos. Denn in Paris will man noch immer über alles reden und lachen können.

Man erinnert sich dort an Voltaire, den einflussreichsten Autor der Aufklärung. Er hat uns so viel gelehrt. Die strenge Trennung von Religion und Staat in Frankreich erlaubt jedem, seine Meinung über Islam, Christentum oder Judentum zu äußern. Deshalb ist es auch schade, wenn manche deutschsprachigen Zeitungen über eine „islamkritische Zeitung“ reden, wenn Sie über Charlie Hebdo berichten. Das Opfer Cabu war nicht Eric Zemmour. Sein Freund Charb war nicht Michel Houellebecq.

Zeitungscover mit vielen Titelbildern der Satirezeitschrift Charlie Hebdo

APA/dpa/Lukas Schulze

Titelseite der Berliner Zeitung vom 8.1.2015

Charlie Hebdo ist eine satirische Wochenzeitung, die sich herausnimmt über alles zu reden. Vor allem über die Dummen und die Mächtigen, in der Politik, aber auch in der Kirche, der Wirtschaft oder der Weltgeschichte.

Die Journalisten von Charlie Hebdo, die gestern im größten Terroranschlag in Frankreich seit 50 Jahren verstorben sind, waren grenzenlos berühmt. Manche arbeiteten auch für Qualitätszeitungen, wie die bedeutendste satirische Wochenzeitung Frankreichs „Le Canard enchaîné“ oder die konservative Zeitung „Le Point“. Und natürlich für „France Inter“, das größte Radio im Land. Philippe Val, Langzeit-Chefredakteur von Charlie Hebdo, war auch bis 2014 Generaldirektor dieser sehr berühmten Radioinstitution, die man mit Ö1 vergleichen kann. Alle waren Kinder des Mai 1968.

Heute denken viele französische Journalisten, dass ihr Beruf eine andere Dimension angenommen hat. Davon sind sie nicht überrascht, aber sie sind traurig. Sie wussten, dass es irgendwann kommen würde. Denn in Syrien, in Afrika und dem Irak sind in den letzten Jahren bereits manche Kollegen und Freunde gefallen oder als Geiseln jahrelang gefoltert worden. Niemand von uns hätte aber geglaubt, in Paris ab jetzt unter Polizeischutz arbeiten zu müssen.

Seit Monaten und Jahren berichten französische Journalisten unermüdlich besonders über den Krieg in Syrien. Seit 10 Jahren reden meine Kollegen über die täglichen Terroranschläge im Irak. Jetzt machen wir dasselbe mit Jemen, weil wir wissen, dass das, was im Jemen 2015 passieren wird, morgen blutige Folgen in einer Pariser Straße haben könnte. Und übermorgen in Wien.