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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 1. 2015 - 15:00

The daily Blumenau. Thursday Edition, 08-01-15.

Blättersalat.

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Dieser Eintrag war gestern schon so gut wie fertig, als dann die Meldung vom Charlie-Hebdo-Anschlag dazwischen kam und ein anderes daily nötig machte.

#wasmitmedien

1

Der Spiegel ändert ab demnächst sein Erscheinungsdatum. Von Montag auf Samstag. Anderen mag zu dieser Nachricht nur der übliche Sack Reis umfallen; in mir lässt sie eine Bezugsrahmenswelt erzittern.
Montag ist Spiegel-Tag, seit ich denken kann. So wie Freitag bei Oma der (fleischlose) Fisch-Tag war und Dienstag der Mehlspeis'-Tag.
Ich bin mir nicht sicher ob das Profil auch schon immer am Montag erschienen ist, aber der Spiegel tut dies, seit ich denken kann.

Freunde der Statistik und Recherche, ich bin mir im Klaren, dass es auch Leben vor dem Montags-Erscheinungstermin gab (und tatsächlich kam der Spiegel fast 20 Jahre, bis 1965, an anderen Tagen daher), weil praktisch nichts schon immer so war, wie es jetzt ist (das ist ein selbstgewähltes, rein fiktives Narrativ von Wutmenschen und Nationalen) - aber darum geht es nicht.
Wer wie ich mit dem Spiegel-Montag großgeworden ist, wer (auch) danach seine Wochenuhr gestellt hat, den erschüttert eine solche Umstellung. Auch wenn sie - wie der obige Link klarmacht, schon vor einem Jahr drohte, und jetzt nicht wirklich aus heiterem Himmel daherkommt.

Freunde des draht- und papierlosen Zugangs, ich bin mir auch im Klaren, dass die allgegenwärtig-digitale Verfügbarkeit von Information längst den lineare Fluss, egal ob Beginn-Zeit oder Erscheinungsdatum (was auch spiegel.com deutlich bewies) obsolet gemacht hat.
Aber eben nur eigentlich.

Die Nachrichten-Macher nehmen kaum Rücksichten mehr auf Drucklegungen, Redaktionsschlüsse oder Anstoßzeiten, wie das vor 20 Jahren noch der Fall war, und die echten News-Bomben werden ohnehin mit Vorab-OTsen lanciert.
Trotzdem sind gewisse Routinen nach fast 50 Jahren so vertraut wie der noch leicht nachtblinde Griff zum Zahnputz- oder Kaffeebecher: Er erfolgt automatisiert.

Und das Spiegel-Erscheinen am Montag war so ein kollektives Zahnputzbecher-Ding.

Jetzt, am Wochenende ist der einstige solitäre Leuchtturm nur einer von vielen, die um Aufmerksamkeit buhlen und balgen. Jede Tageszeitung posiert mit einer extrageilen Wochenend-Abteilung. Wie die Fruchtjoghurts im Supermarkt. Auch da gibt's viele; und nicht nur ein Produkt, wie zb beim Haselnuss-Aufstrich.

2

Es geht ja nichts über Synergien. Und effiziente Bereitstellung, vor allem im Dienstleistungssektor, dem der Journalismus letztlich ja angehört.
Eigentlich.

Dann aber blätter' ich am Feiertag in der NZZ von Montag und freu mich übers schiere Gegenteil. Abgesehen davon, dass ich da in einem einzigen Tagblatt so viel an Hintergrund über nur theoretisch ferne, praktisch aber benachbarte Gesellschaften erfahre wie im gesamten österreichischen Medienaufkommen einer Woche, hat es auch etwas, der autarken (letztlich isolationistischen) Planung der einzelnen Redaktionen unterworfen zu sein, und so ungekoppelte Berichte aus/über Russland zu kriegen. Zum einen einen Report übers schiefe Gesundheits-System, zum anderen einen historischen Abriss zum komplexen russischen Europa-Verhältnis, als Draufgabe kommt dann noch die finnische Grenzsicht dazu. Andere würden da noch eine Info-Box und einen scheinaktuellen Kommentar dazusetzen und es als Schwerpunkt verkaufen, die NZZ tut so als wär' gar nichts.

Es gibt noch eine zweiten rein praktischen Grund Pro-Papier: der sehr kleine Mitbewohner ist von Geräten mit Wisch-Funtion deutlich schwerer wegzukriegen als von der Zeitung.
Dort will er nur einmal Bilder durchschauen ob gerade Angesagtes (aktuell: Straßenbahnen) drin sind, dann darf ich selbstbestimmt blättern.

Das widerspricht zwar allem, was derzeit an Ratschlägen von wegen Leser/Userbindung und Überlebensstrategien herumschwirrt, ist aber andererseits genau das, was mich als Papier-Leser hält: dass ich nicht von der bewusst gesetzten, immer thematisch oder interessenstechnisch sortieren Verlinkung/Algorithmisierung abhängig bin, sondern ein auf "random" geschaltetes feststehendes Produkt bekomme, in dem dann eben auch Unwägbares, Unerwartetes und Ungewünschtes lauern - und mir so eine Perspektiv-Erneuerung ermöglichen.

Und genau dafür bin ich auch weiter bereit Geld für sogenannte Qualitäts-Medien auszugeben. Und mit mir vielleicht auch noch ein paar andere, die das für die amazonisierte (wenn Sie das interessiert hat, dann...) Variante nicht tun würden.

3

Wenn ich etwas wirklich Wichtiges verpasse, dann krieg ich's meist in den Link-Schleudern Twitter und Facebook nachgeworfen, von den Usern meines Vertrauens; da können beide Giganten noch so heftig dran arbeiten, dass Hoppala-Videos und Katzenbilder meine Timelines dominieren: es sind immer noch die klassischen Medienlinks, die für vertrauensvolle Info stehen. In Österreich gerne auch zu Unrecht.

Zuletzt war das diese Analyse aus der Süddeutschen, die zum Einen das Triumph-Jahr für die (meist auch autokratischen) Nationalen noch einmal global ausleuchtete und zum Anderen das Fehlen jeglichen linken/linkspopulisistischen Gegenstücks bzw die ideologische Nahezu-Unmöglichkeit seiner Existenz thematisierte.

Der Fehlschluss einer quasi exklusiven Schuld der Linken angesichts ihres deutlich artikulierten Nicht-Verstehens der pegidaischen Wut-Wastln mag da naheliegen.
Aber: der Schuldige an der Verführung ist der Verführer, nicht der zahnlose Wachhund, der so bellt, dass man ihn auch blöd finden kann. Genauso wie die Vergewaltigung Schuld des Vergewaltigers ist und nicht die von Opfer oder jenen, die die Zeichen nicht erkannt hatten.

4

Lieber verpasst hätte ich einen dünkelhaften Kommentar im lachsrosa Leitmedium des heimischen Minderdiskurses. Da reicht ein (wohl überinterpretierter) Halbsatz des Außenministers für 100 Zeilen Wutjournalismus, der seinen Höhepunkt im nur scheinbar nebenbei eingestreuten Halbsatz, der Kurz vorrangig als Studienabbrecher ausschildert, findet.
Nicht nur weil ich Studienabbrecher aus Überzeugung bin, und die jungenhafte, immer noch einzige politische Hoffnung des österreichischen Polit-Establishments seit seinem Debüt in der Regierung verteidigen musste, kommt mir da das Frühstück hoch. Eine solch lascher Argumentations-Ersatz zeigt ganz genau, worin der gestern aus traurigem Anlass festgehaltene Unterschied (zwischen, say, Frankreich und Österreich) in der demokratischen Diskussions-Kultur besteht. Auch die scheinbar liberale Presse führt ihre Distinktions-Rankings heute eben nicht anders als es in der Monarchie (und anderen folgenden Diktaturen) üblich war. Also überaus vorgestrig.