Erstellt am: 7. 1. 2015 - 14:48 Uhr
Bulgarien, Rumänien und Bangladesch
Vor einem Jahr stieg der Rumäne Victor Spirescu - als erster rumänischer Arbeitsmigrant nach der Öffnung des Arbeitsmarktes - im britischen Luton aus dem Flugzeug. Dort wurde er vom Labour-Abgeordneten Keith Vaz empfangen. Heute will Victor nach Hause, um eine Frau zu finden. "Die englischen Mädchen trinken zu viel Alkohol und sind zu laut!", sagt er. Die rumänisch-bulgarische Migrationswelle, die ganz Europa Angst gemacht hatte, geht jetzt offenbar zurück.
CC BY-SA 3.0 von http://fr.wikipedia.org/wiki/Utilisateur:Steff
Ich spreche darüber mit Andrei aus Timişoara. Er steht vorm Supermarkt nebenan im 12. Bezirk und verkauft Zeitungen. Er hat ein ernsthaftes Bierbäuchlein und für einen Rom ungewöhnlich blauen Augen - wie der Himmel im Mai. Sein freundliches Lächeln bringen mich dazu, manchmal eine Zeitung von ihm zu kaufen oder ihm einen Kaffee zu spendieren.
Ich erzähle Andrei, dass Victor nichts gegen die Engländerinnen hat, er findet sie nur zu laut. Andrei lacht: "Und die Roma sollen ja das lauteste Volk der Welt sein!" Andrei will wissen, was Victor in England verdient. 300 Pfund am Tag, sage ich. Andrei pfeift aus Verwunderung. Dann sagt er mir, was er als Zeitungsverkäufer in Wien verdient. Dieses Mal bin ich an der Reihe zu pfeifen, denn Andrei verdient doppelt so viel wie ich. "Ich verdiene mehr als du, aber wenigstens kannst du dich bewegen.", scherzt Andrei. "Viele Menschen schimpfen auf mich, weil ich auch bettle während ich Zeitungen verkaufe. Aber niemand zwingt sie, sich eine Zeitung zu kaufen. Mein Beruf ist einer der ältesten der Welt. Mein Volk auch… Unsere Zivilisation stammt aus Bangladesch…"
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Im Radio und auch als Podcast zum Anhören.
"Die Leiden des jungen Todor"
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Am Abend spreche über Skype mit Toto, einem Freund von mir, der in Birmingham lebt. Wir sprechen wieder über Victor, der in England kein passendes Mädchen finden kann. "Dieser Victor hat keine Ahnung. Auch hier gibt es schöne Frauen. Ich mag zum Beispiel eine Krankenschwester... ihre Mutter ist aus Bangladesch. Aber der Hauptarzt, Doktor Rodgers meint, ich solle nicht mit den Krankenschwestern verkehren. Klassenunterschiede, sagt er." Toto absolvierte die Medizinische Akademie in Sofia. Danach spezialisierte er sich im Spital für Nothilfe "Pirogov". Jetzt ist er ein Traumatologe. Seit Anfang 2014 arbeitet er in England. Er kann mit den englischen Klassenunterschieden nicht klarkommen. Warum darf er mit der Krankenschwester nicht reden? Er mag sie ja. Soll er auch nach Bulgarien zurück um eine Frau zu finden?
Ich verspreche ihm, dass, falls er mich in Wien besucht, ich ihn mit Andrei bekannt machen kann. Dann könnten wir alle gemeinsam die schönen Seiten von Bangladesch besprechen.