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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

7. 1. 2015 - 21:33

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 07-01-15.

Was das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo noch alles offenlegt…

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Die 12 Toten.

… außer den bereits bekannten Problemfeldern wie dem Satire-Hass von Auto- und Plutokratien & anderen Diktaturen und Weltreligionen mit Eroberungs/Missionierungsanspruch, der bildergierigen Vorgangsweise des radikalen Islamismus (was angesichts der Bilderverweigerungs-Haltung des Ausgangs-Religion ein sehr billiger Treppenwitz ist) oder der relativen Chancenlosigkeit der Demokratie gegen Terrorismus per se.

Etwa dass ein solcher Anschlag in Österreich, aber wohl auch in Deutschland (noch längere Zeit) nicht möglich ist. Und den Grund dafür. Die deutschsprachigen Länder sind in ihrer demokratiepolitischen Entwicklung, vor allem im Bereich der Meinungsfreiheit, nicht so weit wie etwa Frankreich oder auch die angloamerikanischen Länder.
Und können deshalb auch nicht die Primärziele sein.

Klar, Paris ist auch deshalb ein ideales Pflaster für einen schnell in der ganzen Welt Entsetzen auslösenden Anschlag, weil es als Brennpunkt des Zusammentreffens gleich dreier Weltregionen (Mitteleuropa, der arabische Raum und Afrika) automatisch mehr Emotion in das sonst ja großteils friedliche Zusammenleben von alteuropäischer, maghrebinischer und frankophon-subsaharafrikanischer Bevölkerung wirft.

Aber ein Satire-Magazin wie Charlie Hebdo, ein auf Zeitungspapier erscheinendes Wochenblatt, das die Finger aufklärerisch in alle erdenklichen Wunden aller Beteiligten legt und dabei auf ein reichhaltiges kulturelles Leben samt permanentem Diskurs zurückgreifen kann, gibt es im satire- und demokratiepolitisch unterentwickelten deutschsprachigen Raum nicht.

Ansatzweise im zeitlosen Feuilleton-Bereich, ohne echte politische Anbindung, als rückkanalloser Begleiter.
Charlie Hebdo hatte, und deshalb war der Attentats-Zeitpunkt wohl auch nicht zufällig gewählt, mehr als nur eine Vorgeschichte im alten Karikaturenstreit zu bieten: sie sind aktuell auch Diskussions-Forum rund um das heute erscheinende Buch von Michel Houellebecq.

Cover der aktuellen Charlie Hebdo-Ausgabe mit Michel Houellebecq

charlie hebdo

Seine „Soumission“, die nächste Woche auch auf Deutsch („Unterwerfung“) herauskommt, ist die hochprovokante, ganz klassisch-uelbeckmäßig-sextriefende dis/u/topische Satire auf ein Frankreich unter einem muslimischen Präsidenten und der danach folgenden schleichenden Anpassung, der sich eine immer gern an die Macht anbiedernde europäische Gesellschaft dann auch mit einer gewissen Lust unterzieht.

Letztlich seziert Houellebecq, der Zyniker, in erster Linie die vielen Gemeinsamkeiten der beiden Systeme, breitet genüßlich die Verzopfheit, die reaktionären Grundgedanken und andere Elemente aus, die westlichen Kapitalismus und die in den meisten islamischen Staaten politisch determinierte Verzerrungs-Praxis verbinden.

Und so sind sich –logischerweise – die allermeisten im Entsetzen und der Empörung über die literarische Möglichkeitsform einig: die Fundamentalisten beider Seiten sowieso, aber auch die Linke, die reflexartig mit der Rassismus-Keule winkt. Charlie Hebdo hatte Houellebecq in seinem aktuellen gruseligen Look irgendwo zwischen Junkie und Michael Jeannee am Cover und auf der Schaufel. Und damit ist das Buch auch gleich mittendrin im Debatten-Hochdruck-Kochtopf, der jetzt losbrechen wird.

Im deutschsprachigen Raum existiert nun weder die entsprechende Satire, noch der entsprechende Mut der zeitgenössischen Literatur sich mit solchen Themen auseinandersetzen. In Österreich noch weniger als über der Donau. Das ist jetzt kein Vorwurf an die Tagespresse oder Glavinic und Co – die tun sicher ihr Bestes. Es ist Ausfluss einer demokratiepolitisch unterentwickelten Gesellschaft, der es nicht vergönnt war ihre eigene kritische Geschichte über mehr als nur ein paar Jahre zu schreiben, wo andere Jahrhunderte an Traditionslinien aufweisen können.
Und es fehlt auch die transkontinentale Sicht, die globale Selbstverständlichkeit – die reicht hierzulande eben nicht über die kulturelle Fehlinterpretation der Türkenbelagerung hinaus.

Genau diese Leerstelle aber macht besonders Österreich so uninteressant, was die Symbolik des krassen Gegensatzes betrifft. Auch darum fühlen sich die Zentralen der Öl – und Atom-Player in Wien so wohl. Weil das weiche Konsens-Klima der zum faulen Versinken einladenden Hauptstadt eines sich in seiner Dumpfheit suhlendes Landes als reines Gegenteil von echtem Fortschrittswillen niemanden verschreckt. Es ist nicht nur die gute geopolitische Lage, es ist auch die systemimmanente, allumfassend vor sich hergetragene Korruption, die lauwarme Version von Demokratie, die Antidemokraten jeder Färbung anlockt.

Es ist nicht das erste Mal, dass Rückständigkeit Österreich vor den aktuellen Gefahren, in denen höher entwickelte Demokratien schweben, schützt. Im Gegenteil.

Aber es wird – sofern die fundamentale Welten-Auseinandersetzung weiter exponentiell fortschreitet, und das wird sie schätzungsweise – auch nicht ewig halten. Sich (vielleicht auch noch Kreiskys Erbe gedenkend) in ewiger Sicherheit zu wiegen wäre fahrlässig: irgendwann sind auch die Lauwarmen dran.