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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

5. 1. 2015 - 14:32

Berlin 2015

Das neue Jahr begann in Berlin mal wieder deutlich weniger aufgeregt als das Jahr zuvor.

Die Silvesterfeier am Brandenburger Tor, angeblich eine der größten weltweit, war auch dieses Jahr von den Bookern des Grauens organisiert worden. Tokio Hotel, Roland Kaiser, Anett Louisan, Howard Carpendale und David Hasselhoff zogen eine Million Menschen an - aber auf den Straßen und in den Clubs war, einer privaten Umfrage zu Folge, deutlich weniger los.

Silvester am Brandenburger Tor

EPA/LUKAS SCHULZE

Silvester am Brandenburger Tor

In Kreuzberg wohnen ja jedes Jahr weniger Jugendliche und mehr ökologisch orientierte akademische Doppelverdiener, das heißt weniger Knallerei und Raketenbeschuss. Die Hostelhorden ziehen geschlossen zu den Ballermannzonen am Schlesischen und Kottbusser Tor und verirren sich selten in die Nebenstraßen. In den normalen Bars ging es eher ruhig zu, einige Clubs hatten am 31. Dezember sogar geschlossen und verzichteten auf das Geschäft am Jahresende, denn in den letzten Jahren war es einfach zu stressig und unschön, zu viele Idioten unterwegs.

Wie sagte schon einst der beliebte Berliner Entertainer Harald Juhnke: "Ich hasse Silvester, da saufen auch die Amateure".

Seit zwei, drei Jahren gibt es in Berlin den Trend, einen Tag später zu feiern. Am 31. bleibt man zu Hause, der 1. Januar ist das neue Silvester. Da viele Clubs sowieso drei Tage durchgehend geöffnet haben, geht man am 1. nachts los und mischt sich frisch und nüchtern unter die Restverstrahlten, im Berliner Jargon die "Druffis" und "Durchis", des Vortages.

Berliner Themen 2015

Weihnachten und der Jahreswechsel sind geschafft, nun heißt es zurück in den Alltag. Wie geht es weiter in Berlin? Einen guten Überblick über die Berliner Themen des Jahres 2015 bietet das aktuelle Stadtmagazin tip mit seiner Liste der peinlichsten Berliner.

Dieses Jahr auf Platz eins geschafft hat es die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg Monika Herrmann. Zu Recht muss man sagen, ebenfalls zu Recht hinter ihr auf Platz zwei der Berliner Innensenator Henkel. Beide haben aus unterschiedlichen Motiven im Umgang mit den Flüchtlingen in Kreuzberg auf peinlichste Weise total versagt. Die Bürgermeisterin hat nebenbei noch Millionen verbraten, weil sie eine Woche lang mehrere Straßenzüge absperren ließ.

Supporters of the refugees and police stand in front of former Gerhart-Hauptmann school in the Kreuzberg neighbourhood of Berlin, Germany, 03 July 2014.

EPA/PAUL ZINKEN

Polizei vor der von Flüchtlingen besetzten Schule in Berlin Kreuzberg, Juli 2014

Ebenfalls keine Lösungsvorschläge haben die beiden für die Probleme um den kleinen Görlitzer Park, der es inzwischen als Problem-Park schon in den Spiegel und internationale Blätter geschafft hat und als Synonym für den Verfall Kreuzbergs steht. Tatsache ist, dass in dem Park seit dreißig Jahren Haschisch und Gras verkauft wird, dass sich die Zahl der Kleindealer aber verzehnfacht hat, dass die bürgerlichen Neu-Zugezogenen das alte laissez faire im Umgang damit als Bedrohung empfinden und es aber auch vermehrt Stress und Gewalt im Umfeld des Parks gibt.

Auf Platz zehn der Liste der peinlichsten BerlinerInnen liegt Hartmut Mehdorn, der zurückgetretene Geschäftsführer der Flughafengesellschaft BER. Wird der neue Flughafen jetzt 2017 oder doch erst 2018 eröffnet? Mehdorn scheiterte an dieser Frage, war aber sprachlich kreativ und sprach statt vom Eröffnungstermin nur noch von einer "Fertigstellungsterminzone" oder einem Terminband. Das veranlasste den Postillon zu der Meldung, Sprachwissenschaftler planten die Einführung der neuen Zeitform Futur III, die ausschließlich dazu dienen soll, Gespräche über den geplanten Berliner Flughafen zu ermöglichen. Für Wenigflieger ist die Frage nach der Flughafeneröffnung weniger drängend, als die nach der Wohnsituation: Wie lange werden sich Normal- oder Geringverdiener noch in der Innenstadt halten können?

Das Prinzip Hoffnung

Am Anfang des Jahres gilt das Prinzip Hoffnung, heißt es, positive Utopien zu entwickeln: Berlin ist durch und out, die Touristen und die Jeunesse Dorée finden andere, faszinierendere Städte die sie bereisen und bewohnen können. Die verbliebenen Berliner Erlebnis-Touristen konzentrieren sich auf das durchamerikanisierte Neukölln, Kreuzberg gilt als altmodisch und weniger schick und bleibt so von weiteren Gentrifizierungsschüben verschont.

Die Politik verabschiedet die Anti-Verdrängungsgesetze, wir können alle bleiben und werden nicht von steigenden Mieten und den Eigentumswohnungskäufen der Erbengeneration verdrängt. Im Görli schafft man es in einem einmaligen Sozialexperiment alle Parknutzer vom Spielplatzbesucher über die Wochenend-Grillerin bis zum Kleindealer zu verbindlichen Absprachen und gegenseitiger Rücksichtnahme zu verpflichten. Pegida kann in Berlin kein Land gewinnen, die fremdenfeindliche Bärgida-Kundgebung wird wegen zu geringer Teilnehmerzahl (150 gegen rund 30 0000 GegendemonstrantInnen) aufgelöst.

Schließlich sollte man auch in Berlin das Jahr 2015 mit einer Portion Zweckoptimismus und einer Handvoll positiver Grundannahmen angehen: Es ist alles nicht so schlimm, wir werden eine Lösung finden. Kreuzberg ist unausrottbar, und das Leben hier manchmal auch ganz schön. Wir werden die Sache weiter beobachten.