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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

5. 1. 2015 - 11:27

2015 leuchtet von der Leinwand (1)

Bombast und Betäubung, Killer und Thriller, Helden-Mythen und Science-Fiction-Fantasien. Drei Filmbessessene schwelgen in Vorfreude.

CHRISTIAN: Meine Lieben, ist schon länger her, unsere letzte Zusammenkunft. Jetzt kommen wir aber nicht umhin, dass wir uns wieder vor den virtuellen Kamin setzen und uns gemeinsam in hemmungsloser Vorfreude verlieren.

SEBASTIAN: Es nahen auch schon wieder unabwägbare Wunder am Horizont, die uns in den kommenden zwölf Monaten von der großen Leinwand herunter den Weg ins cinephile Paradies leuchten werden. Fangen wir doch ganz körperlich mit dem an, was als Spektakel-Kino ungehemmt den Exzess feiert, um dann im zweiten Teil womöglich doch noch sehr viel feingeistiger zu werden.

SEBASTIAN SELIG lebt im Kino und schreibt darüber in so bunten Magazinen wie Hard Sensations, NEGATIV oder der Deadline. Im vergangenen Jahr hat ihn seine unermüdliche Begeisterung für das Kino dazu getrieben, einen Kinostart von "Under the Skin" im deutschen Sprachraum durchzukämpfen.

CHRISTOPH: Kino als Schaulaufen der Schauwerte, als herrlichst überschwappendes und -schnappendes Überwältigungsfurioso, wird ausschweifend zelebriert werden in diesem 2015. Und wenn man vom sogenannten Blockbusterkino spricht, dann ist das zuvorderst mal Comic-Kino, und wenn man wiederum von selbigem spricht, dann kommt jenes zumindest heuer noch exklusiv aus den Stuben von Marvel. Ebendort hat man mit dem zweiten Teil von Captain America und dem geglückten Guardians-Experiment grad erst kräftiger als wohl selbst erwartet Wirbel gemacht, Wellen geschlagen.

CHRISTIAN: Vom Erfolg berauscht, haben die Konzernstrategen auch schon einen Masterplan veröffentlicht, der bei aller Euphorie auch ein wenig Angst macht.

SEBASTIAN: Ja, was die Heldenmythologie angeht, so erfuhren wir von den Konferenztischen der Götterväter von Marvel, ist längst alles vorbestimmt. Bis mindestens 2019 wurde alles bereits vorgeträumt und an die Flip-Charts geworfen. Erste Station im Mai: das XXL-Paket mit mindestens zwanzig Prozent mehr Inhalt und noch ein paar luftdicht verschweißten Spielfiguren mehr zwischen all den Honey Loops. "Avengers: Age Of Ultron", das sind der angenehm aufbrausende Hulk, Robert Downey Jr. in Rüstung, die holde Scarlett in engem Leder, Samuel L. Jackson mit Augenklappe, allerlei gute und böse Mächte aus Asgard, Stars & Stripes ganz brav aus den Fünfzigern und dieses Mal haben sogar noch Elizabeth Olsen mit an Bord.

CHRISTOPH PRENNER schaut sich gern Sachen im Kino oder Fernsehen an - und darf dann als Chefredaktuer des ersten österreichischen Serienmagazins Prime Time oder als Filmchef von The Gap mit heißer Feder darüber berichten.

Avengers: Age of Ultron

Marvel

In "Avengers: Age of Ultron" wieder mit dabei: Scarlett Johansson

Avengers und Ameisenmänner

CHRISTOPH: Die Erwartungen für das Sequel der immerhin erfolgreichsten Comic-Adaption aller Zeiten sind nicht gerade niedrig. Man kann sich hierbei allerdings, das legen die ersten präsentierten, kraftvollen Bilder nahe, wieder überaus gut aufgehoben fühlen im geekgeschulten Kompetenzzentrum des Joss Whedon. Und sich schon durchaus einen herausragenden Zweiteiler der Marke "Spider-Man 2" oder "The Dark Knight" herbeifantasieren. Bombastischer wie abgründiger, sich dabei endgültig sämtlicher Ketten entledigend. Lieber gleich mal den Hulkbuster aus dem Schrank holen.

"The Fantastic Four" (Josh Trank)
Der blutjunge Mr. Trank, bisher mit dem Low-Budget-Superheldenabenteuer "Chronicle" auffällig geworden, dürfte in den Studio-Chefetagen ein paar mächtige Fürsprecher haben. Nicht nur, dass er bald eines der "Star Wars"-Spin-offs verantworten darf. Auch die Neuauflage der Fantastischen Vier (und wohl ebenfalls deren Sequel) steht auf seinem angenehm kurzen Lebenslauf. Selbige sollte die Kinosäle ab August einer menschlichen Fackel gleich erleuchten - und nach den deprimierenden Eichingereien der Nuller Jahre zumindest vergleichsweise wenig verbrannte Erde hinterlassen. (CP)

CHRISTIAN: Dem Gegenschlag aus dem Hause DC, wo 2016 dann Superman, Batman und Wonder Woman zusammengetrommelt werden, blicke ich wiederum eine Spur argwöhnischer entgegen. Hat doch Christopher Nolan, der den tollen "Man of Steel" noch stark mitprägte, das Superhelden-Universum jetzt Kraftlackel Zack Snyder alleine überlassen. Ich rechne zwar mit atemberaubend aufgepimpten Bildern, aber auch einem Showdown-Getöse, das Zweidrittel des Films einnimmt.

CHRISTOPH: Auch nicht ganz so euphorisch kann einem zumute sein, wenn man die bisher kolportierte Entstehungsgeschichte eines der eher obskureren Geschöpfe des Marvel-Cinematic-Universums betrachtet. Ich rede von "Ant-Man". Seit der bisherige, mit ausgewählter Hingabe eingearbeitete Ameisendompteur Edgar Wright durch den nicht sonderlich positiv auffällig gewordenen Peyton Reed ersetzt wurde, lodert die Euphorie bloß noch auf ausgesucht kleiner Flamme. Was bei der Figur aber sogar schon wieder irgendwie ins Bild passt. Das mit dem gemeinhin verlässlichen Paul Rudd und auch sonst allerhand fähiger Besetzung ausgelegte Vehikel kann bei der Ausgangslage eigentlich schon wieder fast nur gewinnen.

CHRISTIAN: Mal sehen. Paul Rudd ist ein Guter und ich gönne ihm den Sprung in die nächste Honorarliga, aber bin mir nicht sicher, ob seine Art von patschertem Humor vor dem Greenscreen funktioniert. Mit mildem Schrecken denke ich an Seth Rogen und seinen Versuch, in die Maske der "Green Hornet"“ zu schlüpfen.

Ant-Man

Marvel

Zeigt sich hier noch unkostümiert: Paul Rudd als "Ant-Man"

Weltraumopern revisited

CHRISTOPH: Die Befeuerung mit Großkalibrigem wird jedenfalls heuer wohl längst nicht mehr nur auf die Sommer- und Weihnachtssaison beschränkt sein. Der Start von "Jupiter Ascending" der Wachowskis läutet bereits im Februar den Beginn einer Spektakel-Saison ein, die sichtlich und freudigst kein Inne-Halten mehr kennen will.

"The Lobster" (Yorgos Lanthimos)
Nach "Dogtooth" und "Alpen" nun ein ganz wundervoll seltsamer SF-Film von Ausnahmetalent Yorgos Lanthimos, zudem sein erster Film mit internationaler Besetzung (Colin Farrell, Rachel Weisz, Ben Whishaw, Léa Seydoux, John C. Reilly). Erzählt von einer Zukunft, in der Einsame für 45 Tage in einem Hotel zusammengewürfelt werden, entsteht keine Partnerschaft, darf man sich aussuchen, in welches Tier man dann verwandelt und in die Natur entlassen wird. (SS)

CHRISTIAN: Ich sehe schon, ich bin der Skeptiker in der Runde. Der letzte Film der Wachowski-Geschwister, der mich mitgerissen hat, war der erste "Matrix" anno 1999. Tatsächlich sieht der Trailer von "Jupiter Ascending" aber durchaus ambitioniert aus, wirkt wie der Versuch grelle Weltram-Oper und intelligente Science Fiction zu verschmelzen. Und Mila Kunis und Channing Tatum geben ein schickes futuristisches Paar ab. Zumindest versuchen Lana und Andy Wachowski, die ich einmal als überaus obsessive Interviewpartner erleben durfte, auch der Prequel- und Sequel-Mania einen Originalstoff entgegenzusetzen.

Jupiter Ascending

Warner Bros

CHRISTOPH: Wollte mich hier auch gar nicht über die Maßen als großer Apologet des recht wankelmütigen Wachowski-Werkens auftun. Zumindest das von den beiden immerfort forcierte Einsteigen in neue und unerforschte Welten darf man ihnen aber wirklich zugute halten. Zumal in einem Jahr, in dem die auf viele Jahre und Filme ausgelegte Rückkehr in ein popkulturell, nun ja, ohnehin schon gut ausgeleuchtetes Universum ansteht. Jar Jar, bitte kommen!?

CHRISTIAN: Der ist meines Wissens glücklicherweise nicht an Bord, wenn der Millenium Falke in "Star Wars: The Force Awakens" wieder abhebt. Dafür werden lässige Typen wie Adam Driver, Oscar Isaac oder Domhnall Gleeson sich jeweils auf die dunkle oder gute Seite der Macht schlagen und die Veteranen Carrie Fisher, Mark Hamill und Harrison Ford verstärken. So richtige Sternenkrieger gibt es aber wohl nicht in dieser Runde hier?

SEBASTIAN: Die ganz große Space Opera lässt mich leider tatsächlich meist ziemlich kalt. Fremde Welten, große Raumschiffe, Figurenzeichnungen, wie man sie sonst vor allem in Fernsehserien findet, eigentlich nicht meine Welt. Aber okay, die "Star Wars"-Hommage "Guardians of the Galaxy" im vergangenen Jahr hat mir dann schon großen Spaß gemacht, ebenso Vin Diesels dritter "Riddick", aber der orientiert sich auf das Beglückendste natürlich auch eher an John Milius‘ großem "Conan".

"The Martian" (Ridley Scott)
Es kann nicht genügend Filme mit Jessica Chastain geben. Auch im kommenden Raumfahrer-Epos von Ridley Scott taucht sie auf. Die Hauptrolle spielt allerdings Matt Damon, der als Astronaut von seiner Crew alleine auf dem Mars zurückgelassen wird. Wie schon bei "Interstellar" zielt die Verfilmung eines aktuellen US-Bestsellers eher auf Science-Fact ab und natürlich auf große Gefühle. Mal sehen. (CF)

CHRISTIAN: Zugegeben - als kleiner Bub träumte ich von Laserschwertern und einem Sprung durch den Hyperraum mit Han Solo. Aber später verblasste der Zauber immer mehr, ganz im Gegensatz zu Kindheitsobsessionen wie Godzilla oder dem Raumschiff Enterprise. Das Wiedersehen der alten Streifen in den Neunzigern drückte dann bestenfalls ein paar Nostalgieknöpfe, bis die extreme Infantilität der neuen Episoden I-III von George Lucas jegliche Faszination ausradierte. Ich traue es J.J. Abrams, diesem cleveren Meister des Retrofuturismus, aber zu, dass bei mir plötzlich wieder irgendwelche Gefühle auftauen, ein wenig zumindest. So als ob man am Dachboden eine verstaubte Kiste mit altem Spielzeug findet und einen Augenblick lang sentimental wird.

SEBASTIAN: Im Fernsehen haben "Hannibal" und zuletzt ja dann auch "Fargo" schon einmal eindrucksvoll vorgelebt, wie soghaft so ein Reboot ausfallen kann, wirft man nur die richtigen Turbinen an und wirbelt dann alles kunstvoll, mit weiten Bögen gen Firmament. Mich stimmt es hier durchaus zuversichtlich, wenn Abrams nun bereits die ersten Bewegtbilder seines "Star Wars"-Reboots damit einläutet, dass er einem sonst so anonymen Stormtrooper die Maske vom Gesicht reißt und ihn dann auch noch verzweifelt in der weiten Wüste aussetzt.

Star Wars: The Force Awakens

Disney

"Star Wars: The Force Awakens"

Steirische Androiden und australische Endzeitkrieger

CHRISTIAN: Auch nochmal auf die Reset-Taste wird in Sachen Maschinenkrieg gedrückt. Nach dem zu Recht allseits geschmähten vierten Teil der Terminator-Reihe, wagt sich jetzt "Game of Thrones"-Regisseur Alan Taylor auf den Regiestuhl, der bereits mit "Thor: The Dark World" erfolgreich Kinoerfahrung sammelte. Als Verstärkung holt er sich die von mir heiß verehrte Emilia "Khaleesi" Clarke, die als Sarah Connor auf ihre Drachen aus Westeros verzichten muss. Arnold Schwarzenegger kehrt in seine Stammrolle zurück und darf als Android sogar altern, inklusive angegrauter Frisur. So richtig aufgewühlt hat mich der Trailer zu "Terminator Genisys" aber trotzdem nicht.

CHRISTOPH: Der hat mich auch ratlos zurückgelassen mit seiner recht gewöhnlichen Fernsehfilmästhetik und seiner irgendwie längst auserzählten, nichtsdestoweniger komplett aufgeblasenen Geschichte. Da bin ich in punkto Androiden-Reboot dann gleich lieber in Taylors Stammhaus dabei, wenn ab Sommer via HBO erneut in die "Westworld" eingezogen werden darf. Aber ich schweife ab.

CHRISTIAN: Du hast aber noch einen dazu passenden Tipp in petto, glaube ich.

Ex Machina

Universal

"Ex Machina"

CHRISTOPH: Tatsächlich gibt es im Menschmaschinen-Spektrum nur einen Film, dessen Einschlag ich mit heftiger, nervöser Neugier erwarte. Einer, der die Zukunft von einer ganz anderen Seite und mit anderem Tonfall ausmisst, mit hoffentlich nicht weniger furchtlosem Funkeln: das Regiedebüt des allseits geschätzten Alex Garland. Dass dieser ein ausgefuchster Geschichten-Wizard, speziell auch auf dem Gebiet gehobener SciFi (siehe "Sunshine" und "Dredd") sein kann, war bekannt. Den bereits einzusehenden Bildern seines "Ex Machina" nach zu folgen versteht er sich aber auch auf visuelle Komponenten aufs Vortrefflichste - ein Traum von Architektur und Computerliebe, irgendwo weint garantiert grad Chris Cunningham.

SEBASTIAN: Bleiben wir doch bei der immensen Vorfreude. Es gibt ja Stimmen, die behaupten, mit das intensivste im Kino 2014 wären die 2:30 Minuten mit "Mad Max" auf der "Fury Road" gewesen, immer dem gewaltigsten Sandsturm ever entgegen. Den Himmel aufreißend, wie ein Gemälde von Caspar David Friedrich. Eine einzige, berstende Arie aus Schmerz, Sand und Gewalt. Der eine große und teure Film in diesem Jahr, auf den wir uns alle am ärgsten freuen?

CHRISTIAN: Ich brülle ein "Ja" entgegen, damit ihr mich da draußen im Sandsturm auch hört. Tatsächlich haben die ersten beiden Teile der legendären "Mad Max"-Saga einen ewigen Platz in meinem Herzen. Und genau an die schließt ja laut Regisseur George Miller die Neuauflage an. Wenn ich dann im Kontext dieser irren Trailerbilder auch noch aufschnappe, dass der ganze Film praktisch während einer einzigen Autoverfolgungsjagd spielen soll, wenn dann auch noch von mir innigst verehrte Menschen wie Tom Hardy und Charlize Theron am Steuer sitzen, kennt die Vorfreude keine Grenzen.

"Midnight Special" (Jeff Nichols)
Nachdem er mit "Mud" die McConaisance nicht unwesentlich mitangeschoben und mit "Take Shelter" einen wunderbar beunruhigenden Abstieg in gelebte Paranoia unternommen hat, durfte Jeff Nichols nun erstmals mit dickerer Brieftasche drehen. Wie immer mit Michael Shannon vor der Kamera sollen wir es hier, je nach Quelle, mit einem am frühen John Carpenter geschulten SciFi-Actioner oder wahlweise auch um einen Sixties-Bikerfilm im Gewande vordergründig familienfreundlichen Entertainments zu tun bekommen. Vielleicht auch mit beidem zugleich. Verheißt viel. (CP)

SEBASTIAN: Was Hardy angeht, ist dieses Einbiegen auf die "Mad Max: Fury Road" wohl gleichzeitig eine Weiterführung von "Locke - No Turning Back", in welchem er ja gleichfalls einen ganzen Film über ans Steuer gefesselt blieb.

CHRISTOPH: Ich stimme da ohne jede falsche Zurückhaltung lauthals in den Vorfreudenchor ein. Wenn Miller auch nur entfernt das einlösen kann, was uns dieser an urgewaltiger Wucht kaum noch zu packende Ersteindruck verheißt, dann werden wir allesamt vermutlich die eine oder andere Zusatzrunde auf der Rennbahn der Rage zu drehen gewillt sein.

Mad Max: Fury Road

Warner Bros

"Mad Max: Fury Road"

Spione in edlem Tuch

CHRISTIAN: Ein bombastisches Leinwand-Comeback feiern in diesem Jahr nicht nur Luke Skywalker, der T-800 und Mad Max. Sondern auch eine Berufsgruppe, die wohl im echten Leben von breitesten Bevölkerungsschichten abgrundtief gehasst und selbst von prominenten Politikern gefürchtet wird. Der Geheimagent, eigentlich eine trostlose Existenz, wie wir zuletzt aus Filmen wie "Tinker Tailor Soldier Spy", "A Most Wanted Man" oder der TV-Serie "Homeland" erfahren haben, darf sich wieder glamourös geben. Anstatt den ganzen Tag mit müden Augen auf den Bildschirm zu starren und unsere Facebook-Korrespondenz zu kontrollieren, lassen die Spione wieder die Whiskygläser klirren.

CHRISTOPH: Wobei sich hier zuvorderst mal zwei befreundete Angelsachsen hervortun, die mit "Snatch" und Co. vor eineinhalb Dekaden den Brit-Crime-Film neu definierten, nunmehr aber schon längere Zeit, mit unterschiedlichen Erfreulichkeitsgraden, getrennt werkeln und deren Wege sich nun im cinephilen Spy Game sogar wieder überschneiden. Während es um Guy Ritchies Exhumierung von "The Man From U.N.C.L.E." stiller kaum sein könnte, dürfte das Hype-Geläute für Matthew Vaughns "Kingsman: The Secret Service" nach den bisherigen Vorführungen keineswegs mehr zu überhören sein. Was meint ihr: Zu Recht?

SEBASTIAN: Durchaus, durchaus. Matthew Vaughn halte ich für eine sichere Bank in Punkto Hemmungslosigkeit und zudem einen verdammt stilvollen Hedonisten. Für seinen "Kingsman", so hört man ja aus den ersten Screenings, hat er zudem erfolgreich durchgekämpft, im letzten Drittel auch alle Schranken durchbrechen zu dürfen, was eine mögliche Ab18-Altersfreigabe angeht. Ich bin gespannt.

Kingsman: The Secret Service

Centfox

"Kingsman: The Secret Service"

CHRISTIAN: Ich fiebere dem Film auch entgegen, nicht nur weil mein Lieblings-Kinodandy Colin Firth hier einen britischen Topagenten spielt, der auf edles Tuch ebenso Wert legt wie auf technische Gadgets. Die angekündigte, etwas perverse Mischung aus Humor und Härte fand ich schon in Vaughns "Kick-Ass" super. "Kingsman" scheint zusätzlich eine gloriose Tradition aufzugreifen, nämlich die der herrlichen Bond-Rip-Offs, die vor allem in den späten Sechzigern am laufenden Band produziert wurden. Wem die Namen Derek Flint oder Matt Helm nichts sagen, der sollte sich sofort zuhause einbunkern und Nachhilfeunterricht bei den übercoolsten, schnittigsten Sixties-Spionen nehmen.

CHRISTOPH: Wenn schon von 007-Wiedergängern die Rede ist, soll auch noch erwähnt werden, dass auch "Mission: Impossible 5" anstehen wird, für den ja bekanntlich Tom Cruise - zum wochenlangen Gaudium des Gratisblätterwaldes - kurz mal von der Wiener Staatsoper gehüpft ist. Mehr will mir dazu nicht bekannt sein. Allerdings wird auch Ian Flemings Originalspion heuer noch an heimischen Drehorten vorstellig werden...

"Crimson Peak" (Guillermo del Toro)
Das Horrorkino lebt zwar heftig auf Genrefestivals und im Heimkinobereich, stagniert aber in Hollywood, von überflüssigen "Insidious"-Sequels abgesehen. Eines des wenigen Highlights könnte der neue Geisterthriller von Señor del Toro werden. Ein (Alb-)Traumteam, rund um Jessica Chastain, Tom Hiddleston und Mia Wasikowska, ist dabei in einem Haus gefangen, das ein bedrohliches Eigenleben entwickelt. Klingt tausendfach gesehen, aber die Besetzung und die visuelle Brillanz des Regisseurs versprechen Spezielles. (CF)

CHRISTIAN: Ja, zu guter Letzt lässt sich dann gegen Ende des Jahres auch noch James Bond himself einen Martini einschenken. Die Hypemaschinerie rund um "Spectre", das neueste 007-Abenteuer, läuft längst auf Hochtouren. Und ich bin auch etwas angesteckt von der Hysterie, nicht bloß weil der Agent ihrer Majestät wie Ethan Hunt ebenfalls auch auf österreichischem Boden ermittelt. Die Aussicht auf eine Rückkehr zu den Wurzeln der Bond-Figur - da sind wir wieder in Reboot-Land -, die der Titel allen Fans der Sean-Connery-Ära verheißt, ist es, die mich kribblig macht. Jüngeren Menschen ist der Mythos rund um den Oberbösewicht Blofeld wohl egal, ich kann es aber kaum erwarten, Christoph Waltz in dieser Rolle zu sehen. Auch wenn mir dessen "Mister Bond!" mit deutschem Akzent fast schon zu naheliegend scheint. Ich würde aber auch nur wegen des Göttertrios Daniel Craig, Léa Seydoux und Monica Bellucci ins Kino eilen.

Spectre

Sony

Thriller und Killer

SEBASTIAN: Eigentlich kehrten sie ja schon 2014 in aller Härte zurück. Die bis zu den Knien im Schmerz stehenden Einzelgänger, die "Equalizer", "Wild Cards", die "Cold in July" inmitten einer ausgebrannten "Blue Ruin" wohl nicht mehr auf Erlösung hoffen dürfen. 2015 legen aber gleich ein paar der größten Meister des unironischen Männerkinos noch ein paar Werke nach. Allen voran der, was seine Bildsprache angeht, immer schon zwei, drei Jahre allen anderen voraus in der Zukunft drehende Michael Mann. Sein fiebriger Hacker-Thriller "Blackhat" irrlichtert schon in den ersten Bewegtbildern höchst meisterlich durch tiefenscharfe Frachthäfen und herrlich ausgebeinte Architektur.

CHRISTIAN: Ja, dem formidablen Michael Mann traue ich es auch zu, dass er eines der schwierigsten Filmgenres überhaupt, den Cyberthriller, mit pulsierendem Leben erfüllt. Statt einem Klischeenerd an der Tastatur gibt ausgerechnet Chris "Thor" Hemsworth den Hackerkönig, der aus dem Gefängnis entlassen wird, um einen fatalen Angriff auf das weltweite Bankensystem abzuwehren.

CHRISTOPH: Dass man bei Maestro Mann gewöhnlich bestens aufgehoben ist, ist eine der zuversichtsspendendsten Konstanten im Kinobetrieb. Mich irritiert grad nur, dass man ihn im filmischen Brachland des Januar ins Rennen schickt. Was ja wenig Erquickliches verheißt. We’ll see. Eine nicht ganz so eindrucksvolle Quote hat dagegen Clint Eastwood. Wenn er aber doch mal trifft, dann zielstrebigst ins Schwarze - genau so wie die von Bradley Cooper gespielte Scharfschützenfigur in seinem "American Sniper". Zumindest der minimalistisch nervenzerfetzende erste Trailer war ein genuiner Handschweißgenerator, der alles zerpflückende und auserzählende zweite hat die Begeisterung wieder etwas relativiert. Wo wir schon bei titelspendenden Waffenmännern sind - dazu hat sich doch auch der französische Besson-Schüler Pierre Morel was überlegt?

The Gunman

StudioCanal

"The Gunman"

SEBASTIAN: Morel ist für mich ein zweischneidiges Schwert. Seinen "Taken" (bei uns etwas unbeholfen "96 Hours" betitelt) darf man wohl als den einflussreichsten Actionfilm der vergangenen zwanzig Jahre werten. Kein Konzept wurde häufiger kopiert, variiert, immer weiter geführt, gerade rollt zudem ja auch Teil 3 bei uns in den Kinos an. Nach seinem in meinen Augen ziemlich herzlosen "From Paris with Love", präsentiert er ein ganz großes, kerniges Versprechen für 2015: "The Gunman", mit Sean Penn in der Liam Neeson-Rolle. Doch damit nicht genug. Ihm zur Seite gestellt wird das komplette Who is who der harten Kerle: Irrlicht Javier Bardem, "Sexy Beast" Ray Winstone und dann auch noch "Luther" Idris Elba plus der immer wieder unberechenbare Mark Rylance oben drauf. Zudem basiert die knochentrockene Story um einen Profi-Regierungs-Killer, der sich gegen das System wendet, auf der höchst nihilistischen Romanvorlage von Jean-Patrick Manchette. Auch deswegen: Vorfreude deluxe.

"Triple Nine" (John Hillcoat)
Viel weiß man noch nicht vom neuen Werk des so sehr geschätzten australischen Cave-Spezls John Hillcoat. Wohl aber, dass sich ein funkelnder Cast, der von Kate Winslet und Aaron Paul über Norman Reedus und Gal "Wonder Woman" Gadot bis Woody Harrelson und Chiwetel Ejiofor reicht, in einem Szenario wiederfinden wird, in dem es mit dreckigen Cops und einem noch dreckiger geplanten Überfall keinen geben dürfte, der das nur irgendwie unbeschadet überstehen kann. Ganz so wie man es vom Macher grimmiger Großtaten wie "The Road" und "Lawless" auch erwarten möchte. (CP)

CHRISTIAN: Der Thriller, den ich 2015 am wenigsten erwarten kann, verlässt das Terrain des männlich dominierten Rachekinos und betritt eher die Bereiche des kriminellen Gesellschaftsdrama, in denen sich Martin Scorsese in seinen Klassikern so souverän bewegte. Und eine selbstzerfleischende Beziehungsgeschichte kommt ebenfalls dazu. "A Most Violent Year" zeigt den wunderbaren Oscar Isaac als New Yorker Heizöl-Großhändler, der sich gegen die verbrecherische Unterwanderung seines Geschäfts wehrt. Man schreibt die frühen Achtziger Jahre, die einzigartige Jessica Chastain schwebt in der weiblichen Hauptrolle in Designerklamotten durch das korrupte Geschehen. Und dann führt bei diesem vielversprechenden Krimi-Epos auch noch J.C. Chandor Regie, der Mann hinter spannenden Ausnahmewerken wie "Margin Call" oder "All Is Lost".

A Most Violent Year

A24

Elegant in den Abgrund: "A Most Violent Year"

It’s A Wild Wild West

CHRISTIAN: Jetzt, wo wir so viel über Comebacks, Reboots und Hommagen geredet haben und klar ist, dass sich das Kino 2015 mehr denn je alten Themen in frischer Verpackung widmet, müssen wir gegen Ende natürlich aber ein ganz besonderes Genre sprechen.

FM4 Film

Weitere Rezensionen und Vorschauen

CHRISTOPH: Ungezählte Mal totgesagt, dann schlussendlich aber doch stets von Neuem wiederauferstanden, mit herzhaft rauchenden Colts in den schwieligen Händen: der Western. Folglich auch nur stimmig, dass die zwei wohl entgegenfiebernswertesten Exemplare in diesem Jahr selbst schon mehrfach halb unter der Erde lagen, verschoben, schon abgesagt und dann doch wieder ans Licht befördert wurden: das bereits bewegt ausdiskutierte "The Hateful Eight" von Quentin Tarantino sowie Gavin O‘Connors "Jane Got A Gun" mit Natalie Portman als namensgebend waffenschwingender Lady.

SEBASTIAN: Dass nun der Western nach einem Jahr, mit solch schneeverwehten Meisterwerken wie dem "Finsteren Tal", so massiv wieder zurück in die Kinos kommt, freut mich ungemein. Zudem dann auch noch so illuster besetzt. Schön. Kurt Russell beispielsweise reitet ja nicht nur mit Tarantinos "Hateful Eight". Fast noch mehr freue ich mich, ihn als Sheriff in "Bone Tomahawk" einer Bande von Kannibalen durch unwegsames Gelände hinterherjagen zu sehen, zumal in seinem Suchtrupp wohl dergestalt verwegene Kerle wie Michael Paré, David Arquette und Matthew Fox mitreiten und Sean Young auch noch eine tragende Rolle haben soll. Spielt 2015 nicht auch Michael Fassbender in einem Western mit?

CHRISTOPH: Ganz genau. Fassbender ist ja einer jener, die bei "Jane Got A Gun" vorzeitig von Bord ging bzw. vom Pritschenwagen stieg - im Wüstenstaub darf man ihm demnächst, in einem seiner insgesamt vier Filme heuer, aber dennoch entgegentreten. Als, wie könnte es anders sein, mysteriösen Fremden wird er in "Slow West" an der Seite des jungen Kodi Smit-McPhee, der ja noch in kindlicherem Alter bereits mit Viggo Mortensen in "The Road" einer ungewissen Zukunft entgegenstapfte, durch den Westen ziehen. Zusehends wild und ungezügelt wohl, wie auch die Erwartung dessen, was da auf uns lauern mag.

SEBASTIAN: Hatte nicht auch David Gordon Green angekündigt, "Unsere kleine Farm" in den nächsten Monaten fürs Kino zu adaptieren? Ach nein, der dreht ja jetzt mit Sandra Bullock und Billy Bob Thornton "Our Brand is Crisis".

CHRISTOPH: In dem erstere ja auch ohne Westernbezug eine Figur namens Calamity Jane spielt - aber das führt jetzt zu weit. Keinesfalls außer Acht lassen sollte man hingegen eine recht wagemutig anmutende Genre-Wechslerei: In "In A Valley Of Violence" wird sich ausgerechnet der Horror-Hotshot Ti West ("The Sacrament") mit Ethan Hawke und John Travolta in die Prärie begeben, um dort mit dem Wunsch nach Rache zur Sache zu kommen. Möglicherweise legt er seine so geschätzte Handkamera dafür zumindest zeitweise mal ab.

The Hateful Eight

Weinstein Company

CHRISTIAN: Nicht nur angesichts so vieler rauchender Colts, sondern auch wegen all der Filme, die wir hier angesprochen haben, raucht mir ein wenig der Kopf. Aber es gibt keine Verschnaufpause, wir lassen in Kürze an dieser Stelle noch einmal unseren kollektiven Vorfreude auf das Kinojahr 2015 freien Lauf. Im zweiten Teil unserer Plauderei geht es dann um Arthouse, Autorenfilme und vor allem avanciertes Kino, das außerhalb dieser Schubladen passiert. Bis bald, wir freuen uns!