Erstellt am: 3. 1. 2015 - 08:35 Uhr
Make love, not war
Sorry, entschuldigt sich der Kinokolumnist, aber inmitten des Jahresrückblicks-Marathons und des Feiertags-Rückzugs fanden etliche aktuelle Filme hier keine Erwähnung. Wenigstens ein paar von ihnen möchte ich dann doch nachholen, bevor eine umfassende Vorschau auf das Leinwandjahr 2015 wieder alle Kräfte vereinnahmt.
Wobei man "Exodus: Gods and Kings" eigentlich unter den Tisch fallen lassen könnte. Der Minitrend zu biblischen Themen im Blockbustergewand gehört für mich ja zu den größten Hollywood-Sackgassen, die sich nur mit geschicktem Zielgruppenmarketing in religiösen Communities erklären lassen. Weil aber Ridley Scott in dem 140 Millionen Dollar schwerem 3-D-Epos den Religionsunterricht erteilt, werde ich doch ein paar Worte verlieren.
Die Geschichte folgt dem Alten Testament. Christian Bale, der den Schwabbelbauch aus "American Hustle" wieder gegen ein Sixpack getauscht hat, schlüpft in die Rolle von Moses, der als Findelkind am Hofe des ägyptischen Pharaos aufwächst. Ausgerechnet von seinem brüderlichen Freund, dem Thronfolger Ramses (Joel Edgerton) als Israelit enttarnt, flüchtet der Feldherr in die Verbannung.
Bei einer Gruppe Schafhirten findet Moses Unterschlupf und lernt auch seine zukünftige Frau kennen. Aber der Moment des Friedens währt nicht lange. Denn Gott persönlich kontaktiert Moses und diktiert ihm eine übermenschliche Aufgabe. Er soll als Auserwählter das hebräische Volk aus der ägyptischen Sklavenherrschaft befreien.
Centfox
Ein göttlicher Hirtenjunge gibt sich die Ehre
Abgesehen von monetären Gründen begreife ich vor allem nicht, warum dezidierte Agnostiker plötzlich Bibelfilme drehen. Nach Darren Aronofsky und seinem fassungslos machenden "Noah" nähert sich nun also Sir Ridley Scott einer zentralen religiösen Fabel. Und auch wenn das Ergebnis nicht ganz so desaströs ausfällt wie beim Kollegen, kann ich die filmische Vision nicht nachvollziehen.
"Exodus: Götter und Könige" will alles Mögliche gleichzeitig sein: Ein monumentales Kriegsspektakel, ein intimes Psychodrama und auch ein Diskussionsstreifen, der es unterschiedlich religiösen Menschen und Skeptikern gleichermaßen recht machen möchte. Vernunftansätze findet man aber eher keine in "Exodus". Fast sinnbildlich landet der Berater des Pharaos, der zur Erklärung der Naturkatastrophen, die Ägypten heimsuchen, moderne Logik bemüht, bald am Galgen.
Wenigstens spricht bei Scott keine Brummstimme aus den Wolken oder gibt sich ein Opa mit weißem Bart die Ehre. An ihm kommt aber auch der Regisseur, der sich in seinen letzten Filmen "Prometheus" und "The Counselor" rabenschwarz existentialistisch gab, nicht vorbei. Ridley Scott präsentiert Gott originellerweise als gar nicht freundlichen Hirtenjungen, der in einen "Omen"-Aufguss passen würde. Die Muffigkeit des Alten Testaments bleibt trotzdem omnipräsent.
Centfox
Schnöde Schauwerte sind alles
Ein Reinfall ist "Exodus" auch auf der Figurenebene. Der famose Christian Bale tappste zuletzt im grässlichen "Terminator"-Reboot dermaßen fehlbesetzt durch die Kulissen, während Joel Edgerton als affektierter Ramses wenigstens die unterhaltsame Camp-Nummer abzieht, inklusive Guyliner-Look. Ben Kingsley oder Sigourney Weaver stehen wiederum bloß kostümiert in der Landschaft herum, die zumindest imposant wirkt.
Wie überhaupt die schnöden Schauwerte alles sind an diesem Film. Spätestens wenn der horrorerprobte Ridley Scott mit den biblischen Plagen als Regisseur zur bekannten visuellen Hochform aufläuft, denkt man sich: Warum hat er nicht gleich einen grimmigen Fantasyschocker gedreht, anstatt sich auf das Minenfeld des (Aber-)Glaubens zu begeben?
Ganz wortwörtlich über vermintes Terrain schickt Regisseur David Ayer das Personal seines neuesten Films. "Fury", der bei uns unter dem potentiellen Rammstein-Songtitel "Herz aus Stahl" läuft, folgt einer amerikanischen Panzerbesatzung durch die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs.
Sony
Das Töten in sämlichen Facetten
Gleich die erste Szene gibt die Ausrichtung vor. Ein dreckverschmierter Brad Pitt springt aus einem Hinterhalt einen deutschen Soldaten an, sticht ihm mit dem Messer ins Auge. Ein Feind weniger, resümiert Sergeant Collier zu seinen Männern. "I started this war killing Germans in Africa. Then France. Then Belgium. Now I'm killing Germans in Germany. It will end, soon. But before it does, a lot more people gotta die."
In "Fury" ist niemand auf der Suche nach einem "Private Ryan". Es geht trotz absurderweise fast hipstermäßig wirkenden Frisuren und maskulinen Posen auch nicht um Coolness-Punkte oder um Erlösung im Angesicht des Grauens. David Ayer erzählt einzig vom Töten, in sämtlichen Facetten.
Dieses Thema spielte auch bisher eine maßgebliche Rolle in den Filmen des Autors ("Training Day") und Regisseurs ("Street Kings", "End of Watch"). Bloß tobte der Krieg stets auf den amerikanischen Straßen und in den Ghettos der Gegenwart. Wollte ein Produzent einen Thriller über neurotische Polizisten machen, die in ihrem Job emotionale Abgründe durchstreifen, dann wandte er sich an Ayer. Nach dem Schwarzenegger-Vehikel "Sabotage", dessen hektische Bemühungen um den härtesten, versautesten und lautesten Actionfilm des Jahres nur noch nervten, wechselte der Regisseur den Tonfall. Und verschärfte ihn gleichzeitig nochmal.
Sony
Trostlose Untergangsstudie mit Starbesetzung
"Wardaddy" lässt sich Brad Pitt als Anführer rufen. Seine Crew im stählernen Sarg hört auf Spitznamen wie "Bible”, "Coonass" oder "Gordo", die an der Oberfläche auf Buddiemovie-Klischees in blutiger Uniform verweisen. Dabei macht der Regisseur aber in Wahrheit die Mutation der Männer deutlich. "Fury" ist ein Versuch über die Entmenschlichung.
Man kennt die bewusste Verwandlung von Durchschnittstypen in Killermaschinen aus Filmen über die Truppen der Wehrmacht. Selten aber sieht man alliierte Einheiten, die wirklich keinerlei Gefangene machen. Erst Quentin Tarantino räumte in "Inglorious Basterds" ganz bewusst mit den Mythen über die Fairness an der Front auf und zeigte Brad Pitt als stolzen Nazikiller. In "Fury" metzelt er nun mit stoischem Gesicht und ohne eine Spur postmoderner Ironie seine Gegner nieder. Auch Shia LaBeouf, Logan Lerman, Michael Peña oder Jon Bernthal ist die innere Versteinerung überzeugend ins Gesicht geschrieben.
Was "Herz aus Stahl" aber noch mehr zur trostlosen Untergangsstudie im besten Sinn macht, sind Kamera und Schnitt. David Ayer, berüchtigt für Handkameragewackel und martialische Montagen, geht es diesmal klassischer und ruhiger an. Besonders wenn die Protagonisten in der Filmmitte ihren klaustrophobischen Panzer verlassen und trügerische Stille in den Film einkehrt, steigt die Beklemmung. Schade, dass der Showdown, der an Ego-Shooter-Spiele erinnert, wieder einiges zunichte macht.
Sony
Aufkündigung des bürgerlichen Wertekanons
Ein Krieg der virtuellen Natur, der in den letzten Wochen das Internet massiver beschäftiger als Booty-Diskurse und Katzenfotos, kreiste um eine Hollywood-Komödie. Ich verzichte jetzt, nachdem sich der Aufruhr um "The Interview" halbwegs gelegt hat, definitiv auf eine Nacherzählung der Ereignisse. Sondern will mich kurz dem Streifen selbst widmen, der die nordkoreanische Regierung so erzürnte, dass eine angeblich beauftragte Gruppe von Cyberhackern den Sony-Konzern eindringlich attackierte.
Mit dem bewussten Überschreiten moralischer, ethischer und sonstiger Grenzen kokettieren die Filme von Seth Rogen bereits länger. Hatten sich die durchgehend grandiosen Arbeiten, die der US-Comedystar für und mit seinem Mentor Judd Apatow drehte, noch einer vagen Idee des Humanismus verschrieben, verdunkelt sich die Stimmung in einigen seiner Soloarbeiten, ob als Darsteller oder Regisseur.
In "The Interview" führt Rogen, gemeinsam mit seinen Kreativpartner Evan Goldberg hinter der Kamera und Dauerkumpel James Franco davor, die Aufkündigung des bürgerlichen Wertekanons fort. Rissen die drei Freunde, zusammen mit ihrer Posse, in "This is the End" Witze über Mord, Rassismus und Gangbang-Szenarien, reichert das Trio Infernal nun eine politische Satire mit ausgesucht gehässigem Klamauk an.
Sony
Bromance-Geknutsche und Bruhaha-Brutalität
Ganz konventielle Gürtellinien werden klarerweise auch am laufenden Band unterschritten. Die Story vom Trash-TV-Moderator (Franco), der zusammen mit seinem Produzenten (Rogen) aus dem Boulevard-Gefängnis ausbrechen und Nordkoreas Diktator Kim Jong Un interviewen will, kompiliert Scherze aus sämtlichen Bubenhumor-Bereichen, vom Outing Matthew McConaugheys als Ziegenliebhaber über diverse Sex-Schlüpfrigkeiten bis zur metallischen Sonde, die im Komiker-Popo landet.
Über diese Derbheiten mokieren sich aber höchstens Feuilletonisten und Facebook-Stimmen, die noch nie mit Leslie-Nielsen-Filmen oder der "Scary Movie"-Reihe Kontakt hatten. Der eigentliche Skandal rund um den Film, der sogar den (Apatow-)Fan Barack Obama zu Wortmeldungen zwang, verdankt sich natürlich dem Mordauftrag an Staatsoberhaupt Kim, zu dem die CIA die beiden Fernsehkasperln im Film überredet. Und der tatsächlich auch durchgeführt wird, was jetzt kein großer Spoiler mehr sein sollte.
Na gut, stellt sich die wichtigste Frage: Ist diese Mischung aus Bromance-Geknutsche, Bruhaha-Brutalität, totaler Respektlosigkeit gegenüber dem Pjöngjang-Regime (während Nazis in US-Filmen oft diabolisches Charisma ausstrahlen, wird der Oberste Führer als psychotisches Weichei demaskiert) und radikalem Overacting (besonders James Francos Auftritte wirken fast wie eine Kunstaktion) auch lustig? Ja, durchaus.
Sony
"The Interview" reicht keineswegs an Meilensteine seiner Macher wie "Pineapple Express" heran und verblasst gegen das Marionetten-Meisterwerk "Team America", in dem amerikanische Tölpel gegen Diktator-Daddy Kim Jong-Il antreten. Aber einige köstliche Pointen-Watschen gegen die Medienwelt sitzen. Und die gezielte Bosheit, die der Film in den Mainstream schleust und die im Kontext der analfixierten Idiotie verstörende Formen annimmt, sie macht diesen kalten Komiker-Krieg sehenswert.