Erstellt am: 2. 1. 2015 - 15:04 Uhr
Die Chroniken von Portland, Oregon
Heyne Verlag
In unserer Reihe "G'sungen und G'schrieb'n" über Musiker, die auch Bücher geschrieben haben, reiht sich heute Colin Meloy, der Leadsänger und Songschreiber der Indie-Folk-Band The Decemberists. Allerdings ist Colin Meloy kein Musiker, der sich eines Tages gedacht hat, "Hmm, Buch schreiben, könnt ich auch mal probieren", sondern er hat noch vor seiner Musikerkarriere Kreatives Schreiben studiert. Mit "Wildwood" hat er dieser Leidenschaft schließlich Rechenschaft gezollt.
Die Geschichte
Gerade noch schaut Prue ihrem Baby-Bruder Mac beim Spielen im Park zu, als plötzlich ein Schwarm Krähen angeflogen kommt und ihren kleinen Bruder einfach davonträgt, und zwar ausgerechnet in den dunklen Wald westlich ihrer Stadt Portland.
Seit Prue denken konnte, prangte in der Mitte jeder Landkarte, die sie jemals von Portland und Umgebung gesehen hatte, ein großer dunkelgrüner Fleck: Er erstreckte sich wie Moos von der nordwestlichen Ecke bis in den Südwesten und war mit den geheimnisvollen Buchstaben "U.W." beschriftet.
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U.W. steht für Undurchdringliche Wildnis. So nennen die Leute den Wald, den niemand von ihnen jemals betreten hat. Und dorthin muss Prue sich jetzt begeben, um ihren kleinen Bruder zu retten. Zur Unterstützung begleitet sie ihr Schulkamerad Curtis, aber der wird nach kürzester Zeit von Kojoten in Soldatenuniform gefangen genommen, wodurch Prues Quest noch um eine Rettungsaktion erweitert wird. Auf ihrer Reise durch die Undurchdringliche Wildnis, die von ihren Bewohnern Wildwald genannt wird, lernt sie viel über den Wald und seine Bewohner. Es gibt jede Menge sprechender Tiere und sogar eine kleine Stadt voller Tiere und Menschen, inklusive aufwendigem Verwaltungsapparat. Um ihren Bruder zu retten, reicht es nicht aus, ihn zu finden und wieder mit nach Hause zu nehmen. Prue sieht sich mit einer heiklen und überaus komplizieren Situation konfrontiert.
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Politics, Politics
Diese erwähnte Situation umfasst einen despotischen Regenten, seine verbannte Tante, die sich mit einer privaten Kojotenarmee umgeben hat, um den Regenten zu stürzen, außerdem gibt es noch ein souveränes Fürstentum von Vögeln und im Wald lebende Räuber, die jede andere Herrschaftsperson von außen ablehnen. Achja, und die Krähen, die Prues Bruder entführt haben, sind Separatisten vom Vogelfürstentum.
Allein obiger Absatz gibt einen Eindruck davon, wie sich die Geschichte im Roman "Wildwood" liest. Obwohl das Setting eigentlich märchenhaft und fantastisch ist - ein Zauberwald voller sprechender Tiere - beschreibt Colin Meloy das Leben dort als sehr politisch und vor allem bürokratisch.
"Der Mäuserich verdrehte die schwarzen Knopfaugen. 'Du bist doch vermutlich hier, um den Gouverneurregenten zu sprechen. Und jeder, der eine Audienz bei Gouverneur Svik möchte, muss sich im Amtszimmer anmelden. Sobald man angemeldet ist, wird der Name auf eine Warteliste gesetzt, und wenn der Name auf der Liste ganz nach oben gerutscht ist, wird man vom Attaché benachrichtigt und kann einen Termin für eine Audienz vereinbaren.'"
Prues Reise nach Wildwald ist ein Abenteuer, das an manchen Stellen an große Märchen wie "Die Chroniken von Narnia" oder "Mio, mein Mio" erinnert, allerdings werden klassische Fantasy-Elemente bei Colin Meloy durch Bürokratie und Politik stark in die Schranken der Weltlichkeit verwiesen.
Meloys Stil kann leicht irritieren, wenn er zum Beispiel die Flugbahnen der Entführer-Krähen genau beschreibt, wozu auch immer. Und seine Hauptfiguren haben auch nicht besonders viel Farbe oder Charakter, ihre Handlungsweisen und Entscheidungen lassen sich häufig nicht nachvollziehen, zum Beispiel, warum Prue ihren Bruder unbedingt alleine retten will und niemanden um Hilfe fragt (ihr Klassenkamerad hat sich ihr aufgedrängt).
Ein nettes Detail ist, dass Colin Meloy sich in seiner Geschichte an realen Orten orientiert hat. Er selbst lebt in Portland und der Wald westlich der Stadt existiert ja tatsächlich, dort ist in der Karte sogar ein Wildwood Trail eingezeichnet. Auch die Herrschaftsresidenz Villa Pittock aus dem Buch existiert tatsächlich und sieht auch so aus, wie im Buch beschrieben.
CC BY-SA 2.5, http://en.wikipedia.org, User: Cacophony
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Die Illustrationen im Buch stammen allesamt von Colin Meloys Ehefrau Carson Ellis, von der auch die Albumcover der Decemberists stammen. Ihre Bilder sind eine wichtige Bereicherung für das Buch "Wildwood", da sie teilweise eine Atmosphäre schaffen, die der Text alleine nicht zu vermitteln vermag. Womöglich hat das Buch eine andere Wirkug auf das Publikum, das mit den Örtlichkeiten von Portland und seiner Umgebung vertraut ist, denn "Wildwood" war immerhin so erfolgreich, dass es auch schon einen zweiten und dritten Teil davon gibt.