Erstellt am: 2. 1. 2015 - 13:00 Uhr
Edward mit den Dokumenten
Was hat Edward Snowden eigentlich enthüllt? In der Kino-Dokumentation "Citizenfour" fragt der junge Amerikaner nach seinem "magischen Umhang". Ein rotes Leintuch wird ihm gereicht, das zieht Snowden über seinen Kopf und bis über den Laptop auf seinen Knien und bedeckt so, welche Befehle er eintippt. Der Laptop gehört dem Journalisten Glenn Greenwald und dessen Blicke in dieser kurzen Sequenz sprechen Bände. Sie schwanken zwischen fassungsloser Ungläubigkeit und dem Realisieren dessen, was gerade vor sich geht. In einem Hotelzimmer in Hongkong arbeiten 2013 vier Menschen an heute historischen Veröffentlichungen: Edward Snowden trägt Dokumente bei sich, die zeigen, dass der US-Geheimdienst NSA systematisch BürgerInnen überwacht - und zwar nicht "bloß" die eigenen.
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Trevor Paglen / Polyfilm Verleih
Dass Angela Merkels Handy von der NSA ausgespäht wurde, machte Schlagzeilen. Am 31. Chaos Communication Congress in Hamburg vor wenigen Tagen machte die Filmemacherin und Journalistin Laura Poitras zusammen mit Jacob Appelbaum öffentlich, welche Verschlüsselungstools die NSA geknackt hat. Nun läuft Laura Poitras Doku "Citizenfour", die bei der Vorführung am Hackerkongress Standing Ovations bekam, in den heimischen Kinos.
Man muss sich also nicht in den Weihnachtsferien die gestreamten Vorträge vom 31C3 hineingezogen haben, um "Citizenfour" folgen zu können. Was bisher geschah, das rekapituliert die Doku. In welchem Ausmaß die NSA Telekommunikationsdaten ausspioniert und wie weit die Überwachung auch international reicht, packt Poitras in den Film.
Im Zentrum ein Kammerspiel
"Citizenfour" ist ein Kammerspiel in einem Hotelzimmer in Hongkong, aufgenommen in acht Tagen. Hier geschieht nichts unwissentlich. Edward Snowden hat seine Heimat verlassen, um Dokumente mit den Journalisten zu teilen. Er sitzt im Schneidersitz am Hotelzimmerbett und arbeitet an einem seiner Laptops, während der Fernseher an der Wand läuft. Die ersten Kommentatoren in amerikanischen Nachrichtensendungen spalten sich in zwei Fraktionen. Die einen wollen mehr über die Spionage erfahren, die anderen den Informanten gefasst wissen. Die Journalisten Glenn Greenwald, Ewen MacAskill vom britischen "Guardian" und Laura Poitras bereiten die ersten Dokumente zu Printgeschichten auf.
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Polyfilm Verleih
Der Film ist aber mehr als das Zeitdokument dessen, wie die ersten persönlichen Treffen mit Snowden verliefen. Poitras bettet die Relevanz der Enthüllungen in den tatsächlichen politischen Kontext und das politische Geschehen ein. Bei Laura Poitras' eigener unmittelbarer Beteiligung an den Enthüllungen keine Selbstverständlichkeit.
Die Dokumentarfilmerin war eine jener Personen, die Edward Snowden 2012 via Email unter dem Pseudonym "Citizenfour" kontaktierte: Er habe Informationen. "Ensure this information makes it home to the public". Wie dreist hochrangige NSA-Bedienstete bei öffentlichen Befragungen agieren und wie der Geheimdienst die Gewaltenteilung des demokratischen Rechtsstaats aushebelt, führt "Citizenfour" prägnant vor Augen. Und indirekt auch, wie egal den meisten Menschen diese Tatsache ist.
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Polyfilm Verleih
"I'm not the story here"
Dass Snowdens langjährige Freundin inzwischen mit ihm in Moskau wohnt, und dass dies "Citizenfour" zeige, wurde vor dem Filmstart publik. Dieser Dreißigjährige, aufgewachsen in einer Soldatenfamilie, versucht seine Frisur mit Wasser unter Kontrolle zu halten und liest Cory Doctorows Roman "Homeland" in der gebundenen Ausgabe. Drohnenangriffe konnte er an seinem vormaligen Arbeitsplatz bei Booz Allen Hamilton in Echtzeit am Desktop anschauen. So much about gossip.
Um ihn solle es auch nicht gehen, erklärt Snowden in einer der Hotelzimmerpassagen. Jede seiner Aussagen klingt, als hätte er lange über sie nachgedacht und für sich formuliert. "I felt the modern media has a big focus on personalities. I'm not the story here." Doch es wäre der größte Widerstand, sein Gesicht zu zeigen, erklärt ihm Glenn Greenwald.
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Polyfilm Verleih
Für geistige Freiheit und eine Privatsphäre
Frei und unbeschränkt habe er das Internet gekannt, bevor die Überwachung einsetzte. Das gibt Snowden als Motivation für sein Handeln zu Protokoll. Einschränkungen der persönlichen Freiheit nehme er in Kauf dafür, denn Einschränkungen geistiger Freiheit wolle er nicht akzeptieren.
Die Person Snowden tritt schließlich in den Hintergrund. Der richtige Krimi beginnt mit den Reaktionen auf die Enthüllungen. Absurd die Aufnahmen, wie Männer mit Werkzeug Festplatten und Speicherkarten mit Material vernichten, das Snowden weiterreichte.
"Citizenfour" läuft seit 1.1.2015 in den heimischen Kinos.
Eines der einprägsamsten Bilder in "Citizenfour" ist eines ohne Menschen: Ein Tableau einer wilden, englischen Küstenlandschaft, das Satelittenschüsseln trägt, die Erich Möchel näher erörtern könnte. Unter dem Meer laufen die Kabel zusammen.