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Andreas Spechtl

Ist Sänger der Band "Ja, Panik" und lebt in Berlin.

30. 12. 2014 - 18:15

Ein Paar Gedanken zum Jahresausklang

Das Jahr, das die Musikzeitschrift Spex gerade als Scheißjahr betitelt hat. Gräueltaten, Kriegsverbrechen, Heuchelei und Doppelmoral. Donezk, Gaza, Ferguson, Boko Haram, IS, Ebola und Europas Grenzpolitik.

Ich sitze am Strand von Cape Coast, es sind die letzten Tage eines langen Jahres, das hier unter Kokos Palmen leicht unwirklich für mich ausklingt.

Andreas Spechtl

Wenn ich linker Hand über die Felsen schaue, erhebt sich im Dunst der Mittagshitze eine riesige weiße Burg aus dem Meer. Cape Coast Castle, über Jahrhunderte die wichtigste Sklavenburg des Transatlantischen Dreiecks. Von hier verschleppten die Briten Millionen von Menschen aus ganz Afrika in die Diaspora. Die ganze Westküste Ghanas ist gesäumt von derartigen Forts und Burgen der Europäer, die immer noch furchteinflößend zwischen oft winzigen Fischerdörfern stehen. Cape Coast Castle und das benachbarte Elmina Castle sind jedoch die mit Abstand größten und ältesten derartiger Bauten. In dieser Kulisse drehte Werner Herzog übrigens Cobra Verde, seinen letzten Film mit Klaus Kinski.

Ghana Tagebuch

Andreas Spechtl reist einen Monat durch Ghana:

Ankommen in Accra, der erste Tag, der erste Tagebuch-Eintrag

Über die Musik: Highlife

Mehr Fotos& Videos finden sich auch hier.

Andreas Spechtl

1806 wurde in England der Sklavenhandel, 1833 schließlich die Sklaverei abgeschafft. In Amerika war es etwa 30 Jahre und einen Krieg später soweit. Bis die Rassentrennung vollständig aufgehoben war, dauerte es allerdings noch fast hundert Jahre. Und doch: 2014 kann ein weißer Polizist in Ferguson noch immer ungestraft einen unbewaffneten schwarzen Teenager erschießen. Ein Tiefpunkt dieses an Abgründen reichen Jahres.

Andreas Spechtl

Für mich persönlich wird 2014 wohl als eine Art Übergangsjahr in Erinnerung bleiben. Nach einer gefühlten Ewigkeit voller Zweifel und anstrengender Arbeit haben sich Ja, Panik am Ende nicht aufgelöst, sondern im Jänner eine Platte veröffentlicht. Libertatia. Für uns ein Manifest des Weitermachens, der Nichtauflösung.

Nach einem Jahr in dem wir unterm Strich mehr unterwegs als zuhause waren, sind wir am Ende auch wieder zur Band geworden, in dem eigentlichen Sinne, wie ich eine Band verstehe. Eine Gruppe von Menschen, die ephemere Situationen auf der Bühne schaffen kann. Mehr für sich selbst, als für ein Publikum. Und doch im besten Falle: mit dem Publikum. Ein Konzert als Heterotopie. Nicht zuletzt an unserem neuen Mitglied Laura liegt es, dass wir dahin wieder zurück gefunden haben.

Wir werden 2015 also auf ein Neues in unseren Probekeller hinuntersteigen, in dem die Luftfeuchtigkeit ähnlich hoch ist wie hier in Ghana, und wir werden neue Stücke schreiben. Alles weitere werden wir sehen, wenn es soweit ist.

Und auch sonst habe ich schon wieder viel vor. Wie immer werde ich einiges davon machen, einiges nicht und von einigem habe ich jetzt auch ganz bestimmt noch gar keine Ahnung. Ich hoffe, es wird ähnlich absurd werden, wie es die zwei Hausschweine sind, die grad hier am Strand an mir vorbeilaufen.

Andreas Spechtl

Morgen wird unsere kleine Reisegruppe das beschauliche Cape Coast wieder in Richtung Accra verlassen. Gerne werde ich an die Tage hier zurück denken. Mit den vielen zur Ruhe gesetzten Rastafaris, den alten Fischern am Strand, und den für ghanaische Verhältnisse vielen Touristen, hat dieses nur knapp 150.000 Einwohner zählende Studentenstädtchen fast etwas kosmopolitisches an sich. Im Gegensatz zum kargen und armen Norden, in dem die Zeit stillzustehen schien, hat sich uns hier ein ganz anderes Ghana präsentiert. Ein Ort, an den ich gerne wieder zurückkommen werde.

Liebe lovers, liebe haters, es bleibt mir an dieser Stelle euch von Herzen ein schönes neues Jahr zu wünschen. Quält euch nicht mit Vorsätzen, außer dem einen vielleicht: love more, hate less.