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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

30. 12. 2014 - 16:19

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 30-12-14.

Rewind 2014: Systemmedienkrise, Autokratie-PR und andere Sündenfälle.

The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.

Zu den Feiertagen zwischen den Jahren in unregelmäßiger Erscheinungsform.

#jahresrückblick

An einem Punkt fließt so gut wie alles zusammen, was von 2014 bleiben wird. Egal ob Terror-Kalifat, Ukraine-Konflikt, kanalisiert-xenophober Wut-Mob oder populistisches Schaulaufen zwischen Auto- und Demokratie-Promo. Und zwar in der neuen Wahrnehmung der darüber erfolgten Medien-Berichterstattung.

Denn die vielfache Medienkrise (die ums Geschäftsmodell, die Sinnkrise, die um ihren Machtverlust als 4. Kraft etc) hat beim Rezipienten den Pendelausschlag hin zum Gegenteil beschleunigt. Dort wo eine an sich desinteressierte klassenübergreifende Masse vieles (was in ihrem Sinn war) brav nachgebetet hatte, frönt dieselbe, mittlerweile zum Scheininteresse übergegangene Masse heute dem Hobby der Dekonstruktion. Und es fällt ihr leicht, die sogenannten Systemmedien als aufgeblasenen Popanz anzugreifen, weil die (siehe Krise) genug Angriffsfläche hergeben.

Der schleichende Glaubwürdigkeitsverlust, dem die Medien (Verlage und Anstalten, aber auch kleine Blätter und Seiten) in den letzten Jahren letztlich nur Abbau von vertrauensbildenden Maßnahmen entgegenzustellen hatten, setzt sie zwischen alle Stühle.

Worst Practice: der mediale Hauptjob der Vermittlung politischer Bildung, aus dem - in Österreich stärker als anderswo - ein oberflächliches Übersetzungsprogramm zwischen Politik und Bürgern geworden ist. Mittlerweile wird er weder von den Machtträgern noch von den noch partizipativ Erreichbaren überhaupt angenommen: Die einen haben keine Lust mehr, sich einem empörungsgeilen Journalismus zu stellen und verbreiten ihre Nichtigkeiten so in interessensgetriebenen Hausmedien; die anderen (die Mitschuld am empörungsgeilen Journalismus tragen) scheren sich zunehmend nicht mehr um Zusammenhänge und tun die Definitionsmächtigen pauschal als abgehoben/entfremdet/korrupt ab.

Die Bauernfänger, die im Reservoir dieser (neuentdeckten) Enttäuschungen am Fleißigsten fischen, waren heuer nicht so sehr die üblichen innenpolitischen Verdächtigen (die sprangen immer als letzte auf schon flott fahrende Züge auf), sondern die Lobbyisten einer mittlerweile europaweit gut organisierten Autokratie-Kampagne. Da fallen die "Putin ist gar nicht so"-Bewegten ebenso hinein wie die Erdogan-Versteher. In Deutschland langt - mangels Existenz einer FPÖ die derlei in Österreich bereits aufgesaugt hat - da auch noch der rechte Rand (AfD, Hooligans, Pegidas) kräftig zu.

Und so sickert das, was globale Player (und/oder Imageträger wie die FIFA oder das IOC) aus ökonomischen Interessen auf ihrer Agenda für eine für sie bessere Zukunft haben (die fließende Installierung von vorerst demokratisch legitimierten Autokratien), auch schön langsam in die Gemüter derer, die mit ihrer aktuellen Organisationsform (der Demokratie) nicht mehr viel anzufangen wissen.

Es geht nicht um die Naturtrottel aus der Verschwörungstheorie-Ecke, nicht um die Links-Reaktionäre die ernsthaft an die Integrität von Russia Today glauben: alle genannten Phänomene haben die Mitte der Gesellschaft erreicht und sind dort auch Thema für die Cocoonisten, für die massig vorhandenen politisch Bewusstlosen, die sich in einer kleinen Nischen/Fach/Scheinwelt eingerichtet haben und das Große Ganze sowieso gern outsourcen. Mit dem aktuellen Grundgefühl (Politik eh machtlos, Konzerne übermächtig, Politiker korrupt, Lügenpresse) geht sich das auch für den kleinen Diktator, den Guten König der Marke Baumgartner aus. Auch wenn man seit heuer weiß, dass der Stratosphären-Hupfer nicht mehr als ein gut gesetzter Gag eines Oligarchen war (weil diesen Sprung eigentlich ein jeder kann).

In den Landstrichen, die die Ostalpen umschmiegen wie eine Mutter ihr erkaltetes Kind, ist man 2014 noch bereiter für eine Version der Postdemokratie geworden, die global allenthalben immer konkretere Vorbildzüge annimmt. Was dem einen die kuschelige Ego-Shooter-Fantasien der IS, mag dem anderen die scheinbar so schnörkellos-effiziente, von ihren strengen und religiösen) Nationalismus getragene Putin-Autokratie sein. Die Modelle sind heuer vielfältiger und attraktiver geworden. Und die auch heuer reaktive heimische National-Rechte wurde von einigen, deren Verächtlichmachung vor kurzer Zeit noch auf der Stimmungsmach-Agenda stand, ohne Anlauf überholt und konnte die erst danach, recht holprig, zum Neo-Verbündeten erklären.

Rechts, das ist die neue Mitte. Weit rechtsaußen, direkt neben der Wand, nationalistisch-rechtsextrem - dort ist das neue Rechts.

Das alles liegt, auch und vor allem in Österreich, einem - auch im Vergleich zu den diversen von diktatorischen Regimes Ausgepowerten - wahrlich prosperierendem Land, an der schwächer werdenden Vermittlung der für einen kollektiven, mentalitätsentsprechenden Zufriedenheitsfaktor notwendigen Basis-Fakten liegt. Und weil die Naturtrottel, ebenso wie die Systemtrottel und die Cocoonisten und all die anderen bewussten und unbewussten Demokratie-Destabilisatoren, seit Jahren beigebracht bekommen haben, dass es nicht Geileres gibt als gegen alles Fremde, aber auch alles den Machtträgern im Inneren nicht Genehme als medial angepeitschter Mob mit entsprechender Häme und selbstsüchtig-missgünstig-habgierigem Hochmut loszudreschen, wenden sie diese in ihre Seelen eingesickerte Stürmer-Taktik neuerdings auch gegen die vormaligen Einpeitscher an. Erste Opfer in diesem Backlash: die Medien, die - nicht erst 2014, klar - alles an Macht, Ethos und Relevanz verloren haben, und deshalb als Opfer herhalten dürfen.

Apropos sieben Todsünden (vier davon waren im vorletzten Satz versammelt): der hochpolitische Jahresrückblick der Spex (Tenor: ein Scheißjahr; das sehen andere in ganz anderen Kulturkreisen auch so) zählt neben den bereits angesprochenen Entwicklungen auch den als unvermeidbar abgenickten Leider-Geil-Schulterzucker in Bereichen wie Bekleidung, Ernährung, Sexismus und Selbstinszenierung, die pofelige Ignoranz gegenüber komplexen Themen wie Überwachung/Algoritmisierung, EU/Demokratie, eine grundverlogene Debattenführung in den Bereichen Drogenfreigabe oder Bildung sowie einen zynischer gewordenen Helden-Begriff und das Aufkommen einer neuen Verhöhnungskultur den Unterprivilegierten gegenüber.

Und auch diese Topics fließen an einem Punkt zusammen: in einer runderneuerten Wahrnehmung der Medien-Berichterstattung. Die Möglichkeit, dass jeder Teilnehmer, jeder Empfänger auch Sender ist - die alte Brecht-Vision) - wurde 2014 also schlagend. Dass die so ausgelöste Hysterisierung sowohl das eh schon geschundene Mediensystem als auch den knirschenden demokratischen Diskurs so beschädigt, dass beide irreparable Schäden davontragen können, ist eine Ironie der Geschichte.