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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

28. 12. 2014 - 13:00

The Art of Asking

Rockstar, Performance-Artist, Crowdfunding-Pionierin, Bloggerin, feministische Ikone und TED-Sprecherin Amanda Palmer hat ein Buch geschrieben. Ein Must-Read für ihre Fans und all jene, die ihre Welt kennenlernen oder besser verstehen wollen.

Vor zwei Jahren hat Amanda Palmer die erfolgreichste Crowdfunding-Kampagne in der Musikgeschichte abgewickelt. Statt der angepeilten 100.000 Dollar hat sie für die Produktion ihres Albums Theatre Is Evil mehr als 1,2 Millionen Dollar von ihren Fans erhalten. Ein kleines Wunder im kränkelnden, nach wie vor von Major Labels gesteuerten Musikbusiness, das die DIY-Musikerin in ihrem 2013 gehaltenen Ted-Talk zum Thema so zusammengefasst hat:

Amanda Palmer vertreibt ihre Musik nach dem Pay-as-you-wish-Prinzip.

I think people have been obsessed with the wrong question, which is: How do we MAKE people pay for music? What if we started asking: How do we LET people pay for music?

Hier findet sich das Transkript des TED-Talks.

Aus diesem knapp 14-minütigen Vortrag ist dieses Jahr in einem viermonatigen Schreibmarathon in Australien ein mehr als 300 Seiten langes Buch entstanden. In The Art of Asking or How I Learned To Stop Worrying and Let People Help legt Amanda Palmer ihre persönliche Geschichte und Lebenseinstellung dar.

Buchcover "The Art of Asking or How I Learned to Stop Worrying and Let People Help" von Amanda Palmer. Sie hält eine rote Blume, über ihre Brust ist mit Bodypainting der Titel geschrieben.

Allan Amato / Elizabeth Connor

"The Art of Asking" hat es nach nur wenigen Wochen auf die Bestsellerliste der New York Times geschafft.

Lehrjahre als "Eight Foot Bride"

Kein Kurs ihres Studiums an einem Liberal Arts College, schreibt sie, hätte sie dermaßen auf ihre spätere Karriere als Rockstar und Crowdfunding-Ikone vorbereitet wie ihre fünf Jahre als lebende Statue.

Mit kreideweißem Gesicht, schwarzer Perücke und einem Hochzeitskleid aus dem Second-Hand-Laden stand sie oft stundenlang regungslos auf einer Getränkebox mitten am Harvard Square in Boston. Wer ihr einen Dollar in den Hut warf, bekam eine Blume überreicht.

Aus dieser Position ergaben sich durch Zufall und Augenkontakt intime Begegnungen mit Mehrwert für beide Seiten: Sehen und gesehen werden bedeutet in Amanda Palmers Welt verstehen und verstanden werden.

I wanted to be seen. That was absolutely true. All performers - all humans - want to be seen; it’s a basic need. Even the shy ones who don’t want to be looked at. But I also wanted very much to see. I didn’t quite grasp this until I had been up on the box for a while. What I loved as much as, possibly even more than, being seen, was sharing the gaze. Feeling connected. I needed the two-way street, the exchange, the relationship and the invitation to true intimacy that I got every so often from the eyes of my random street patrons.

Social Media Queen

Diese Form des persönlichen Austauschs hat sich Amanda Palmer als Sängerin auf der Bühne und im Umgang mit einem Millionenpublikum beibehalten. Kein anderer Künstler ihres Formats hat soviel Kontakt, Vertrauen und Respekt für ihre Fans wie die Social Media Queen.

Sie unterscheidet nicht zwischen Interaktion übers Internet oder auf der Straße. Auf Tour übernachtet sie oft auf den Sofas ihrer FollowerInnen, auf Partys lässt sie ihren nackten Körper von völlig Fremden bemalen: I trust you this much. Should I? Show me. Diese Art der Beziehung kann man sich nicht in einer Marketingsitzung ausdenken.

Throughout my career, the fanbase has been like one big significant other to me, a thousand-headed friend with whom I have a real, committed partnership. I don't take vacations from communicating without warning. We share our art with one another. They help me run the business by feeding me constant information. I cop to my mistakes. They ask for explanations. We talk about how we feel. I twitter to say good night and good morning, the way I would with a lover.

Amanda Palmer lässt sich von Fans bemalen.

Unknown

Visionärin oder Narzisstin

Im Buch rekapituliert Amanda Palmer all diese Entwicklungen. Angefangen bei ihren ersten musikalischen Schritten mit The Dresden Dolls beschreibt sie, wie sie mit Drummer Brian Viglione in ihrer Künstlerkommune CDs gebrannt hat (5 Songs für 5 Dollar) und sich aus ihrer handgeschriebenen Emailliste für Konzerteinladungen eine internationale Fanbase aufgebaut hat, oder wie sie von ihrer Lieblingsband als Teenager The Legendary Pink Dots gelernt hat, dass das Signieren nach den Gigs für die Community oft wichtiger ist als die Performance selbst.

Die Musikerin, die sich erst mit 25 getraut hat, ihre eigenen Songs zu spielen, spricht zudem offen über Selbstzweifel und ihr Bedürfnis nach Aufmerksamkeit.

Ein Umstand, der ihr in den Medien immer wieder den Vorwurf von Narzissmus einbringt, da sie mittlerweile weit über die Indie-Szene hinaus bekannt und zu einer polarisierenden Figur geworden ist. Jene, die sich außerhalb ihres Universums befinden, wissen nicht so recht, ob sie sie als Visionärin oder Egoistin beurteilen sollen. Wer mit ihr und um sie kreist, hat darauf meist eine klare Antwort.

In The Art of Asking setzt sich Amanda Palmer daher auch mit den Kontroversen um ihre Person auseinander: Die Trennung von ihrem Label Roadrunner Records im Jahr 2010 ist noch die harmloseste davon.

Im Zuge ihrer Kickstarter-Kampagne wurde ihr Ignoranz und Blindheit gegenüber Race- und Class-Issues vorgehalten. ("Not everyone can ask their crowd for help, because not everyone has a crowd that can help.", schrieb National Public Radio dazu.)

Siehe dazu auch Amanda Palmers Guardian-Artikel über Kunst als Geschäft.

Später hat Amanda Palmers Aufruf nach freiwilligen MusikerInnen für jede Station ihrer Tour, die mit "Bier, Umarmungen, High Fives und Dankbarkeit" abgegolten werden sollten (alle Beteiligten wurden schließlich doch bezahlt) eine Flut von Anfeindungen ausgelöst, die nur von der Berichterstattung und den Online-Kommentaren zu ihrem Gedicht über den Boston-Marathon-Attentäter übertroffen wurden.

Aufgrund der großen Nachfrage nach Gratis-Büchern hat Amanda Palmer auch das Amanda Palmer book gifting Mosaic eingerichtet - eine Tauschbörse, auf der UserInnen ein Exemplar des Buches gegen persönliche Angebote eintauschen oder sogar geschenkt bekommen können.

All das findet in ihrem Buch genauso Platz wie die Ratschläge und Krankheit ihres Mentors und Freunds Anthony oder die Passagen über ihre Ehe mit Fantasyautor Neil Gaiman.

Das Schöne an The Art of Asking ist allerdings, dass es keine abgeschlossene Biographie ist. Es ist eine Bestandsaufnahme. Keine Rechtfertigung für KritikerInnen, sondern eine Erklärung dessen, was Amanda Palmer zu der gemacht hat, die sie heute ist.

Durch ihren informellen Ton fühlt sich besonders die von Amanda Palmer selbst gelesene Hörbuchversion an wie eine Unterhaltung mit einer guten Freundin: Ehrlich, berührend, mit Stellen zum Lachen und zum Weinen.

Und eine gute Freundin ist jederzeit erreichbar:
Wer über ihre Projekte und Gedanken auf dem Laufenden bleiben will, kann ihren Blog lesen oder sie über Twitter kontaktieren.

Was aber nach wie vor am meisten über Amanda Palmer verrät, ist ihre Musik: