Erstellt am: 23. 12. 2014 - 15:12 Uhr
Über die Musik: Highlife!
Ghana Tagebuch
Andreas Spechtl reist einen Monat durch Ghana:
Ankommen in Accra, der erste Tag, der erste Tagebuch-Eintrag
Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich seit etwa drei Stunden in einem Bus, der in Richtung Tamale, in den Norden Ghanas fährt. Auf mich warten noch etwa sieben weitere Stunden. Es sind zwar nur 600 km, doch wir kommen bloß langsam voran. Um den kraterartigen Schlaglöchern auszuweichen, fahren wir auch öfter mal auf der Gegenspur oder weichen auf das Kiesbett neben der Fahrbahn aus. Doch unser Fahrer steht anscheinend auf alte Reggae- und Rocksteady-Klassiker, die laut aus den Boxen dröhnen, und so cruisen wir dann doch ganz angenehm dahin.
Andreas Spechtl
Von lauter Musik ist man hier in Ghana eigentlich fast immer umgeben. Ob im Taxi, im Restaurant oder einfach an irgendeiner Straßenecke, oft fällt es einem schwer, ein Gespräch zu führen, weil man selbst sein eigenes Wort nicht mehr versteht.
Die Musikbegeisterung der GhanaerInnen konnte man auch am Wochenende auf dem Sabolai Radio Festival spüren, einem kleinen Festival in einem aufgelassenen Vergnügungspark mitten in der Stadt. Hier feierte zwei Tage lang die junge Musikszene Ghanas und Westafrikas mit über 30 Bands. Hip Hop, Highlife, Afrobeat, Azonto und Hip Life, dazu Kunstinstallationen und viel Wodka Lemon. Ein Abend mit tollen Konzerten und netten Gesprächen, der mich etwas verstrahlt im Bus sitzen lässt.
Andreas Spechtl
Andreas Spechtl
Die Wurzeln der populären Musik in Ghana liegen bei den Highlife-Bands der 1880 Jahre, die die traditionelle palm wine music mit den kolonialen Einflüssen aus den Niederlanden, England und Portugal vermischten. Britische Militärblaskapellen, die Shanties der Seefahrer, die Musik der christlichen Missionare und der Calypso aus Trinidad, all das fand seinen Eingang in die junge Szene.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts blieb Highlife eine sich stetig verändernde und weiterentwickelnde Musikrichtung, die sich einer strengen Kategorisierung verwehrte. So kamen in den Jahren des Zweiten Weltkriegs über in Ghana stationierte US Soldaten Jazz und Swing, in den 60igern und 70igern etwas Soul und Funk und in den 80iger sogar vereinzelt Disco hinzu.
Tempos
Anfangs noch als Unterhaltungsmusik für die Kolonialverwaltung und die oberen Klassen gedacht - der Name ist eine Anspielung auf ebenjene High-Society - entwickelte sich bald parallel zu diesen oft opulenten Highlife Orchestern eine rauere, gitarrenlastigere Form, die von den jungen Männern gespielt wurde, die in den 1920er Jahren zum Arbeiten oder Studieren in die aufstrebenden Städte Accra, Kumasi oder Cape Coast kamen.
Mit ihrem steigenden ökonomischem Status und der Loslösung aus den alten und strengen Familienstrukturen entwickelte sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts allmählich eine junge und selbstbewusste Mittelschicht, die nach ihren eigenen kulturellen Ausdrucksformen suchte und diese in Social Clubs und Ballroom Dancehalls nach englischem Vorbild fand. Hier wurde Highlife zum Soundtrack für die sich anbahnende Unabhängigkeitsbewegung, die 1957 unter Kwame Nkrumah zur Geburt des Staates Ghana führte.
Die jungen Jahre der neu gegründeten Nation kann man wohl als die goldene Zeit des Highlife bezeichnen. Stars dieser Zeit waren Musiker und Bands wie The Tempos, The African Brothers, The Professional Uhuru Dance Band, Ramblers International oder der Trompeter E.T. Mensah:
Anspieltipps
The Tempos: Freedom
African Brothers Dance Band International - Abusua Nnye Asafo
Professional Uhuru Dance Band - Ima Uyen Mi (Efik)
The Ramblers International - Grazing in the Grass
WizKid: Azonto
Reggie Rockstone: Hiplife Grand Papa
Buk Bak: Kolom
Sehr gute Zusammenstellungen aus den verschiedensten Perioden der Highlife-Geschichte findet man neu aufgelegt bei den Labels Soundway Records oder Honest Jon's Records, das übrigens Damon Albarn mitbetreibt. Nicht zu vergessen ist natürlich der großartige Blog Awesome Tapes from Africa, auf dem man neben vielen anderen Perlen auch eine Menge Raritäten aus Westafrika findet.
Nach dem Sturz von Präsident Nkrumah folgten politisch unruhige Zeiten, die viele MusikerInnen dazu veranlassten in die USA, nach England, Nigeria oder auch Deutschland zu emigrieren.
So entstand im Hamburg der 1980iger Jahre der sogenannte Burger Highlife, der Synthesizer und Drumcomputer anstatt des traditionellen Instrumentariums verwendete. Über Umwege fand diese Variation seinen Weg in den 1990igern wieder nach Ghana und wurde dort sehr populär.
Die politische Instabilität und anhaltende ökonomische Krise führte im Laufe der 70iger und 80iger Jahre zu einem religiösen Boom und viele der verbliebenen MusikerInnen verlegten ihre Bühne von den Nachtclubs in die Kirchen. Gospelmusik eroberte die Charts und ist bis heute einer der erfolgreichsten Musikrichtungen des Landes.
Die letzte große musikalische Neuerung in Ghana - sieht man vom Gangnam Style inspirierten Azonto ab - ist wohl Hiplife: eine Symbiose aus US-Hip Hop und Highlife. Der erste Hiplife-Künstler war der in den USA aufgewachsene Rapper Reggie Rockstone, der heute eine bekannte Bar in Accra betreibt. Er war der erste ghananische Musiker, der in Twi rappte, der Sprache der Ashanti, einer der größten und wichtigsten Volksgruppen Ghanas.
Mit Rappern wie Mensah oder der Band Buk Bak ist Hiplife der Sound der Jugend Ghanas geworden, den man heute am öftesten auf den Straßen hört. Und obwohl der Glanz der frühen Jahre mit Sicherheit schon lange verflogen ist, ist Highlife auf keinen Fall ganz verschwunden. Ob im Taxi, ob aus kleinen Bars in Accra oder Kumasi, immer noch prägen die hellen Bläser, synkopischen Percussions und ineinander verwobenen Gitarren den Sound der Städte Ghanas. Und nicht nur das. Gerade in den letzten Jahren haben weltweit viele MusikerInnen, von Vampire Weekend über St Vincent bis zu Brian Eno darauf Bezug genommen. Letzterer hat dieses Jahr sogar gemeinsam mit Karl Hyde eine Platte mit dem Namen Highlife veröffentlicht.
Tipp
Mehr Fotos& Videos finden sich während der nächsten Tage auch hier. Nach den Feiertagen folgt der nächste FM4 Blog von Andreas Spechtl.
Mittlerweile ist es kurz vor 20 Uhr, wir sollten bald in Tamale angekommen sein. Die laute Musik ist noch lauteren Soap Operas und Action Serien aus Nollywood gewichen. Es ist dunkel auf den Straßen, doch man kann den Unterschied zum tropischeren Süden schon erahnen. Die Landschaft wird karger und trockener, die Sahelzone, die an der Grenze zu Burkina Faso beginnt, macht sich bereits bemerkbar.
Dort, in der dürren Landschaft von Mali und dem Niger, wird auch die Musik eine ganz andere werden. Die Tuareg-Gitarren aus Agadez, die psychedelischen Autotune-Vocals von Mdou Moctar haben sich dem Staub der Wüste angepasst. Aber das ist eine andere Geschichte.