Erstellt am: 22. 12. 2014 - 13:05 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 22-12-14.
The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.
Zu den Feiertagen zwischen den Jahren in unregelmäßiger Erscheinungsform.
#demokratiepolitik #popmuseum
In Österreich, und dann auch im gesamten deutschsprachigen Bereich, sind jene rar, die mit einer klaren, kantigen Aussage gänzlich unverschämte, unter dem Deckmantel des Biedermännlichen daherkommende und bewusst volksverblödende Verbal-Schase mit einem in einer sehr sehr breiten Öffentlichkeit mehr als laut ankommenden "Kusch!" in den geistigen Schweinestall, dem sie entstammen, zurückschleudern können.
Udo Jürgens konnte das, und er tat es auch.
Zuletzt in der Causa Hymne/Gabalier, wo er nicht nur den Lederhosen-Reaktionär ins Winkerl schickte, sondern auch gleich ein Lanze für genderübergreifende Gleichheit brach. Und davor früh im Jahr 2014 anlässlich der gruselig-xenophoben Volksabstimmung in seiner Schweizer Wahlheimat, die er vollmundig verurteilte. Und auch davor immer und immer wieder.
Jürgens mag im Privatleben (wo er sich als Versager betrachtet) ein Egomane alter Schule und in der Wahl seiner musikalischen Mittel nicht immer ein Feingeist gewesen sein, sein gesellschaftspolitisches Engagement war zwischenzeitlich auch schon einmal marktingtechnisch arg duchkalkuliert - sein Standpunkt als Verfechter von Grundregeln wie Freiheit und Gleichheit und sein gesundes Misstrauen allem Dumpfen, Reaktionären, Nationalistischen gegenüber ließ ihn auch jenseits einschlägiger Hit-Songs (die sich gegen die Kirche, die spießige Doppelmoral oder die Rüstungsspirale richteten, in denen Parteinahme für die sonst Angepatzten selbstverständlich war) als jemand auftreten, der unangenehme Wahrheiten aussprach.
Und obwohl er sich gegen die Vereinnahmung durch Haiders offizielles Kärnten (bis hin zu Petzners angeblicher Diplomarbeit) immer offen wehrte, blieb er selbstkritisch genug sich zu fragen ob er nicht auch hier, gegen den Vater der "faschistischen Tendenzen", die Jürgens ortet, genug unternommen hat.
2015 wird es damit weitergehen, mit noch mehr Xenophobie, Islamophobie, noch mehr Wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Alltagsfaschismus und noch mehr in die Mitte der Gesellschaft gespülten nationalistischen Dreck. Und da wird Udo Jürgens fehlen. Weil er einer ist, auf den die von jüngeren Engagierten nicht mehr erreichbare und zahlenmäßig so wichtige Generation 60+ gehört hat.
Mir wird 2015 auch noch ein anderer Udo Jürgens fehlen.
Nämlich der, der dem ganze Gehuche, Gekreische und Gejaule rund um den in Wien stattfindenden Eurovisions-Song-Contest ein paar erdende Statements entgegensetzt. Der, der das ganze Klimbim relativieren hätte können, die Gefahr der selbstverliebten Selbstvergessenheit des Wir-sind-so-super-Kosmos, den so ein ESC-Spektakel ganz automatisch mit sich bringt, geringer hätte halten können. Tony Vegas und Thomas Forstner werden das nicht schaffen.
Der Rest ist ein kurzes Kramen in Kindheitserinnerungen. Ich werde irgendwann an den Feiertagen, wenn ich meinen Vater besuche, in seinem Schallplattenschrank herumkramen und die Longplayer herausfischen, die in meiner Volksschulzeit den Sonntag-Mittagstisch besoundtrackt haben. Da waren Becaud oder Aznavour, die französischen Chansonniers dabei, ein paar rauhe Italo-Schnulzer, ein paar schöne Sampler (mein liebster war ein UNESCO-Benefizdings mit viel Gospel und Soul, von Mahalia bis zu den Supremes), und die unvermeidlichen Peter Alexander und Udo Jürgens.
Ich denke nicht, dass ich das, was die traurigen Lovesongs wie Warum nur Warum oder Sag ihr ich lass sie grüßen erzählen, verstanden habe, das war erst viel später, bei If you see her, say hello und anderen herzblutenden Stücken von Blood on the Tracks ansatzweise der Fall. Udo Jürgens Balladen waren so ein früher, kindgerechter Reinzieher.
Abgelöst wurden die Jürgens/Becaud-Mittagsplatten dann in den ganz späten 60ern von der Song-Seite des Yellow Submarine-Albums, aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Dass Udo Jürgens neben seiner Herrschaft über die deutschsprachigen Wohnzimmer auch einen Fuß im großen internationalen Musik-Business hatte, für Sinatra, Shirley Bassey und andere schrieb, habe ich erst anlässlich der heuer omnipräsenten 80-Jahre-Dokus erfahren - so sehr weit weg war der alte Sänger.
Und wenn ich mir das anhöre, was dabei herumgekommen ist, dann denke ich schon: wäre Udo Jürgens Amerikaner oder Brite gewesen, er hätte locker den damals noch nicht global vergebenen James Bond-Soundtrack-Song geschafft.
If I Never Sing Another Song, von Jürgens eigentlich für Sinatra geschrieben, dann von Sammy Davis aufgenommen.