Erstellt am: 21. 12. 2014 - 19:00 Uhr
Microsoft, das TISA-Abkommen und die NSA
Das Verfahren des US-Justizministeriums der USA gegen Microsoft ist in der zweiten Instanz angelangt. Die nächste Verhandlung könnte noch im Jänner stattfinden, denn beide Seiten sind erklärtermaßen an einer schnellen Entscheidung interessiert. Microsoft hatte sich geweigert, einem erstinѕtanzlichen Urteil nachzukommen, das den Konzern zur Herausgabe der Daten europäischer Nutzer an das FBI verpflichtet. Der Prozess gilt schon jetzt als Musterverfahren, Microsoft wird dabei von einer eindrucksvollen Allianz aus IT- und Medienkonzernen, akademischen Institutionen und Bürgerrechtsgruppen mit Gerichtseingaben sekundiert.
Interessanterweise unterstützt auch das US-Wirtschaftskammer das Vorhaben Microsofts, das den Zugriff von FBI und NSA auf Daten aus Europa durch ein Präzedenzurteil kippen könnte. Wie aus den jüngsten Leaks von Passagen des umstrittenen TISA-Abkommens hervorgeht - das US-Handelsministerium und die Wirtschaftskammer sind treibende Kräfte dahinter - sollen US-Konzerne andererseits von allen europäischen Datenschutzverpflichtungen freigestellt werden, sobald sie EU-Daten in den USA verarbeitet werden.
Sollten diese Passagen in der Endversion des Abkommens über die "Liberalisierung" von Dienstleistungen enthalten sein, wäre nicht nur die kommende Regelung sondern bereits die seit 1995 gültige EU-Datenschutzrichtlinie in einem wichtigen Teil obsolet.
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Public
US-Justiz gegen US-Handel
Die umstrittenen Klauseln zum Investorenschutz finden sich auch im bereits fertig verhandelten CETA-Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, wie auch im TTIP, das mit TISA eng verschränkt ist
Die Unterstützung der Internet-Industrie durch das US-Wirtschaftskammer einem Verfahren gegen das Us-Justizministerium zeigt, dass die Beschwerden der Internetkonzerne über schleppende Geschäftsgänge in Europa bei der eigenen Regierung nicht mehr auf taube Ohren stoßen. Aber auch das Justizministerium hatte in Einklang mit dem Gericht konziliant gezeigt und den Vollzug des Urteils ausgesetzt, um eine Entscheidung der zweiten Instanz abzuwarten. In diesem Musterprozess, der letztlich vor dem Obersten Gerichtshof landen wird, geht es um die verlangte Herausgabe der Daten eines europäischen Benutzers der Microsoft-Cloud an die US-Behörden. Die fraglichen Daten befinden sich nicht in den USA, sondern in einem Datencenter Microsofts in Irland.
Micrsoft hatte sich geweigert, weil man damit gegen europäisches Recht verstoßen hätte, der Hintergrund für diese Vorgehensweise ist weniger juristischer als vielmehr ökonomischer Natur. Tatsächlich war der NSA-Spionageskandal Gift für die US-Cloud-Industrie, deren Geschäfte mit Industriekunden in Europa schon vor den Enthüllungen Edward Snowdens längst nicht so gut gelaufen waren wie in den USA. Die Bereitschaft europäischer Firmen, ihre geschäftlichen Prozesse - oder Teile davon - in die Cloud auszulagern, hält sich seit seit dem Spionageskandal in noch engeren Grenzen.
Investorenschutz, aber umgekehrt
Wie direkt Wirtschaft und Politik hier ineinandergreifen zeigt die Situation, in der sich Microsoft und seine Unterstützer Amazon, Cisco, eBay, Apple etc. befinden. Sie haben in Europa in Datencenter investiert und müssen nun um künftige Erträge fürchten, die längst in ihren Businessplänen verankert sind. Die Position des US-Wirtschaftskammer - einerseits pro Datenschutz, im Fall von TISA wiederum dagegen - ist also nur scheinbar paradox. Sie hat mit Datenschutz nämlich nur peripher zu tun, folgt sie doch geradeaus den Interessen der Industrie, die künftige Renditen für bereits getätigte Investitionen sichern will.
Im Juni hatte Wikileaks ein weiteres Kapitel aus TISA veröffentlicht, das eine weitgehende Deregulation der Finanzsektoren betrifft. Aus dem Dkoument geht auch hervor, dass die Einbeziehung der Wasserversorgung in die umfassenden TTIPO-Privatisierungspläne von TISA kommt. Aller Geheimhaltung zum Trotz wird immer deutlicher, dass TISA de facto ein TTIP übergeordnetes Abkommen ist.
Von der Papierform wäre dies ein nachgerade mustergültiger Fall, in dem Investorenschutzklauseln greifen können, allerdings sind die Vorzeichen genau umgekehrt. Klauseln zum Investorenschutz im TTIP-Freihandelsabkommen und seinem Gegenstück TISA zur "Liberalisierung" von Dienstleistungen sollen ja Investoren vor Gewinnentgängen im Ausland schützen. Im Fall von Microsoft und der US-Internetindustrie sorgt allerdings keine fremde, sondern die eigene Regierung für den Gewinnentgang.
Die Liste der Kontraste
Noch selten habe ein Fall in einem so frühen Stadium ein so breites Engagement so vieler Rechtsabteilungen gezeitigt, sagte Brad Smith, der Generalanwalt von Microsoft bei der Vorstellung der Unterstützer. Deren Eingaben zeigten in Summe, dass es hier nicht um die Klärung irgendeiner juristischen Frage gehe, sondern um eine Entscheidung, die sich "fundamental auf die Zukunft der globalen Technologie auswirken" werde, sagte Smith. Diese Ansicht teilen nicht nur die mithin wichtigsten US-Internetkonzerne, sondern auch die Telekoms und die Großen der US-Medienindustrie.
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Microsoft
Schon die Kombination der Firmen zeigt, warum Microsoft sechs Monate für diese Allianz gebraucht hat. Auch die beiden größten US-Telekoms AT&T und Verizon sind dabei, dazu haben die Microsoft-Strategen eine ausgesprochen kontrastreiche Liste von Medienhäusern kombiniert. Neben dem Guardian, CNN und Forbes ist mit Fox News auch der einzige große US-Nachrichtenkanal vertreten, der durch völlig apologetische Berichterstattung über den NSA-Skandal aufgefallen ist. Die Cloud-Geschäfte von Rupert Murdochs News Corp in Europa haben hier ganz offenbar mehr Gewicht als die rechtskonservative, politische Ausrichtung des Medienkonzerns.
Offiziell wird stets nur das FBI zum Datenabgriff gerichtlich ermächtigt, allerdings landen diese Daten allein schon deshalb bei der NSA, weil das FBI - ebenfalls offiziell- zum US-Geheimdienstkomplex gehört.
EFF, ACLU, Medien und die BSA
Dasselbe Konstrastprogramm wird bei den unterstützenden Organisationen noch klarer ersichtlich. Dass die Electronic Frontier Foundation und die American Civil Liberties Unіon mit der Business Software Alliance (BSA) und Verlegerverbänden bei ein- und derselben Kampagne auf derselben Seite stehen, ist ein absolutes Novum. Gewöhnlich strengen diese Organisationen nämlich Verfahren gegeneinander an, wenn es etwa um Urheberrechte, Internetsperren und Ähnliches geht. Am Ende dieser Liste der Kontraste findet sich dann das Chamber of Kommerce, die Wirtschaftskammer der USA.
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Microsoft
Transatlantische Geschäftsprozesse
Von dem stammt auch der jüngste geleakte TISA-Text mit den Vorschlägen der USA, die nur scheinbar in Widerspruch zu dieser Positionierung stehen, denn primär geht es hier um Geschäftsinteressen und keineswegs um Datenschutz. Der diesbezügliche EU-Gesetzesrahmen wird von der Wirtschaftskammer und dem US-Handelsministerium konsequenterweise als Hemmnis für die Geschäfte in Europa angesehen, für die massenhaften Datenabgriffe durch FBI und NSA gilt dasselbe, weil ebenfalls erwartete Renditen in Frage stehen.
Das in der abgelaufenen Woche geleakte Kapitel aus dem TISA-Abkommen samt dem begleitenden Rechtsgutachten
Im aktuell geleakten Kapitel aus den TISA-Verhandlungen (Siehe Screenshot oben) finden sich denn auch mehrere Paragraphen, in denen es um die Verarbeitung von Daten im Rahmen von translatlantischen Geschäftsprozessen geht. In Artikel X4 der US-Vorschläge heißt es dazu: "Keine Partei darf einen Serviceanbieter daran hindern, auch personenbezogene Informationenen zu transferieren... und inner- oder außerhalb des Territoriums der betreffenden Partei zu speichern, wenn dies in Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit des Serviceanbieters passiert."
Konsequenzen
Falls Europa also eine Datenschutzverordnung schafft, die für bestimmte Arten von sensiblen Daten eine Speicherpflicht innerhalb der EU vorsieht, wäre dies ein klarer Verstoß gegen den TISA-Vertrag. Auch bei Ausschreibungen von EU-Mitgliedsstaaten würde X4 ebenfalls aus denselben Gründen schlagend werden, wenn nämlich ein US-Anbieter deshalb leer ausgeht. Hier besteht also derselbe, geschäftliche Hintergrund wie beim Prozess des US-Justizministeriums gegen Microsoft - nur sind die Vorzeichen dabei umgekehrt.
Die TISA-Analyse von Glyn Moody widerspiegelt in etwa den Tenor der anderen Analysen des geleakten Texts.
Neben Firmen und Intreressensvertretungen großer Branchen haben auch 35 Universitätsprofessoren aus den USA gerichtliche Eingaben ("Amicus Curiae Briefs") zur Unterstützung Microsofts verfasst. Auch hier wurde ganz offensichtlich auf Kontrast gesetzt, denn neben bekannten Institutionen wie Princeton, Harvard oder dem MIT sind auch viele kleine US-Universitäten dabei vertreten. Dabei wird es nicht einmal bleiben, denn erst am Freitag wurde ein weiterer "Amicus Curiae Brief" eingereicht, der zu den scheinbar paradoxen Zügen des gesamten Microsoft-Prozesses passt.
Auf der Website der EFF finden sich alle bisherigen "Amicus Curiae" in Sachen Microsoft gegen das Justizministerium der USA
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Mit Jan Albrecht unterstützt ausgerechnet ein prominenter Abgeordneter der Grünen Fraktion als erster EU-Politiker offiziell Microsoft. Unter Albrechts Federführung als parlamentarischer Berichterstatter der kommenden Datenschutzverordnung wurden empfindliche Strafen für internationale Konzerne wie Microsoft - bis zu drei Prozent des Weltumsatzes - für den Fall von Datenschutzverstößen in Europa festgesetzt.