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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

20. 12. 2014 - 15:56

The kids are allright

Kristen Stewart kehrt in „Clouds of Sils Maria“ dem Mainstream den Rücken zu. Und sie steht unter den Teeniestars der Gegenwart nicht alleine da.

Wahrscheinlich gibt es noch immer puristische Cineasten, die affektiert den Kopf schüttelten, als sie von der Besetzung des neuen Olivier-Assayas-Films hörten. Wählte der französische Autorenfilmer für sein Generationendrama „Clouds of Sils Maria“ doch „Twilight“-Superstar Kristen Stewart als Konterpart zur gefeierten Juliette Binoche.

Dabei beweist Assayas damit nur erneut sein Gespür für perfektes Casting. Nicht nur, weil die spezielle Präsenz von Stewart so dermaßen gut zu ihrer Rolle passt. Der jüngste Streifen des Pariser Regisseurs, der sich mit seinem Schaffen bewusst zwischen die Stühle von Kunstkino und Popkultur setzt, erzählt nämlich unter anderem von den Vorurteilen der Bildungsbürger gegenüber der ach-so-bösen Hollywood-Industrie.

Aber auch etliche andere Themen, von Beziehungen über politische Korrektheit bis hin zur Macht des Internets, werden leidenschaftlich aus konträren Perspektiven betrachtet. Gleich die erste Szene in einem Zugabteil macht die Positionen klar. Wir folgen der renommierten Schauspielerin Maria Enders (Juliette Binoche) zu einer Preisverleihung in die Schweiz. Während die alternde Kunstfilmdiva über die Machenschaften von Google schimpft, checkt ihre junge Assistentin Val (Kristen Stewart) auf zwei Smartphones gleichzeitig News und Termine.

Der Streit der beiden Frauen über die Vor- und Nachteile der digitalen Welt ist nur der Beginn einer langen Reihe von Auseinandersetzungen. Es geht um Anspruch und Anpassung, Kompromisslosigkeit und Ausverkauf, Richtig und Falsch.

Clouds of Sils Maria

Filmladen

Juliette Binoche und Kristen Stewart in "Clouds of Sils Maria"

Ambivalenz statt Eindeutigkeit

„Clouds of Sils Maria“ ist ein Dialogdrama, ein Diskursstreifen voller Metaebenen. Aber alles andere als ein spröder Film. Das liegt nicht nur an den großartigen Hauptdarstellerinnen Binoche und Stewart, die perfekt zwei Generationen verkörpern, ergänzt durch wunderbare Nebenrollen von Chloë „Kick-Ass" Grace Moretz und Angelika Winkler.

Olivier Assayas verzichtet auch auf eindeutige Schlussfolgerungen und zeigefingerhafte Kritik, er ergreift weder für die kulturpessimistische Maria noch die flappsige Val Partei. Wie kaum ein anderes Werk heuer bringt „Clouds of Sils Maria“ in all seiner Ambivalenz dadurch die Widersprüchlichkeiten der Gegenwart auf den Punkt.

Und da sind auch noch die Wolken von Sils Maria. Mit der alpinen Landschaft, die schon Autoren wie Friedrich Nietzsche oder Herman Hesse angezogen hat, kommt auch noch die Natur ins Spiel. Assayas kontrastiert die Stille der Landschaft mit dem Lärm des Celebrity-Zirkus, trifft aber auch in diesem Fall keine Wertung. „Clouds of Sils Maria“ ist eben kein Film mit einer selbstgefälligen Botschaft. Sondern eine flirrende, hochemotionale, blitzgescheite, poetische und gleichzeitig bodenständige Reflexion über das Leben im Hier und Jetzt.

Clouds of Sils Maria

Filmladen

Kristen Stewart in "Clouds of Sils Maria"

Flucht aus der Mainstreamhölle

Dass sich Realität und Fiktion in „Clouds of Sils Maria“ ständig durchdringen, verdankt sich nicht nur Szenen, in denen wir Mainstream-Ikone Kristen Stewart das aktuelle Comickino verteidigen hören. Mit der Figur eines abgöttisch verehrten Jungstars (Chloë Moretz auf den Spuren von Lindsey Lohan und Miley Cyrus) zeigt der Film auch die Mechanismen des Prominentenkults unter den Bedingungen der Youtube-Ära.

Dabei besticht Olivier Assayas auch hier mit einem zwar sanft amüsierten, aber dennoch unvoreingenommenen Blickwinkel. Die skandalumwitterte Jo-Ann Ellis pendelt professionell zwischen dem Paparazzi-Blitzlichtgewitter und seriösen Anflügen, Talkshow-Klatsch und Credibility-Exkursen. Der Weg von Kinderstars und Teenie-Idolen, weiß der Regisseur, ist eben längst nicht mehr so vorgezeichnet, dass er zwangsläufig vom hysterisch umkreischten Red Carpet direkt in die Rehaklinik führt. Oder zumindest zum überbezahlten Therapeuten.

In der letzten Zeit gelingt es immer mehr erfolgreichen Jungdarstellern aus der Mainstreamhölle zu flüchten. Und zwar in einen Bereich, wo das Kino ganz und gar nicht zuckerlbunt daherkommt. Ryan Gosling, der Bub aus dem Mickey Mouse Club, wandelte sich bekanntlich zum gefeierten Neo-Noir-Darsteller. Und sogar Shia LaBouef, von Mentoren wie Michael Bay und Steven Spielberg als Hollywood-Darling aufgezogen, zeigte denen nach drei „Transformers“ Filmen den Mittelfinger.

Place Beyond The Pines

StudioCanal

Ryan Gosling in "Place Beyond The Pines"

Ausbruch aus dem Blockbuster-Gefängnis

Die Mutation des jungen Indiana Jones von der Blockbuster-Nervensäge zum Schmerzensmann mit Indie-Abgründen gehört dabei zu den umstrittensten Karriere-Kehrtwendungen der letzten Jahre. Als Shia LaBouef in John Hillcoats Prohibitionsthriller „Lawless“ an der Seite von grimmigen Typen wie Tom Hardy auftauchte, hatte er noch etwas von einem Fremdkörper an sich. Dabei musste man sich eingestehen, dass er keine wirklich schlechte Figur in Gangsterklamotten machte.

Als LaBouef dann hintereinander nackt durch ein Sigur Rós-Video spazierte, sich für das Aussteiger-Drama „The Necessary Death of Charlie Countryman“ (angeblich wirklich) mit Drogen wegsprengte, in Lars von Triers „Nymphomaniac“-Zweiteiler in Hardcore-Sex-Sequenzen zu sehen war und dazwischen mit einem Papiersackerl auf dem Kopf als Performance-Künstler agierte, konnte man die Transformation nicht leugnen.

Wer aktuelle Interviews mit LaBoeuf liest, wo er äußerst offen über seine verkorksten Eltern spricht und seine Verehrung für tough guys wie Gary Oldman oder Mel Gibson kundtut, merkt, dass es bei aller übertriebenen Gockelei nicht bloß um leere Posen geht. Hier bricht ein hochgezüchtetes Kind aus seinem bestbezahlten Gefängnis aus. Und landet demnächst auch mit Brad Pitt im Panzer, im erbarmungslosen und empfehlenswerten Weltkriegs-Epos „Fury - Herz aus Stahl“, wo Shia LaBouef als fanatisch religiöser Soldat ebenfalls überzeugt.

Fury

Sony

Shia LaBouef in „Fury - Herz aus Stahl“

Edward und Bella im Kunstkino-Exil

Bemerkenswert ist auch, was aus Harry Potter wurde. Daniel Radcliffe trägt nach seinem Abschied aus Hogwarts am liebsten Schwarz. Oder, wie sein Kollege Shia, auch einmal gar nichts. Letzteres passiert auf Theaterbühnen, wo der junge Brite in künstlerisch ambitionierten Nacktrollen an seine Grenzen geht. Auf der Leinwand schlüpfte Radcliffe beispielsweise in die Rolle des kontroversen Beatpoeten Allen Ginsberg, jagte für die legendären Hammerstudios die gespenstische „Lady in Black“ oder verwandelt sich in den Teufel.

In der bizarren Horrorkomödie „Horns“, inszeniert vom französischen Schock-Shootingstar Alexandre Aja, wachsen dem ehemaligen Kinderzimmer-Posterboy plötzlich Teufelshörner, als er des Mordes an seiner Freundin verdächtigt wird. Ziemlich verwirrend zwischen Satire und Romanze, Splatteransätzen und Rock’n’Roll-Persiflage herumspringend, bietet der Film doch einige bitterböse Momente und einen glaubwürdig gequälten Daniel Radcliffe.

Schließlich sind da Edward und Bella, die „Twilight“-Vampire, die so putzig in der Sonne schimmern. Robert Pattinson quält seine bedingungslosen Fans gerne mit radikalen Parts bei David Cronenberg, im Avantgardedrama „Cosmopolis“ etwa oder jüngst in dem Sarkasmus-Meilenstein „Maps To The Stars“. Eine schwere Bewährungsprobe für verbliebene Twihards ist wohl auch der hypnotische australische Apokalypse-Schocker „The Rover“, der sich so konsequent hoffnungslos gibt, dass trotz Robert Pattinson viele Verleiher den Film ignorierten.

The Rover

Lionsgate

Robert Pattinson in "The Rover"

Um am Ende wieder auf Kristen Stewart zurückzukommen: Im Vergleich zu manchen Bad Boys mit Kommerzvergangenheit wusste man über ihr Talent immer schon Bescheid. In tollen Indiefilmen wie „Adventureland“ oder „The Runaways“ faszinierte sie parallel zur Kommerzkarriere mit einer Mischung aus Rotzigkeit und traumwandlerischer Slacker-Attitüde. Wie Olivier Assayas in „Clouds of Sils Maria“ mit diesen Vorzügen spielt, muss man gesehen haben, ebenso wie einige andere Auftritte ehemaliger Teenidole. Es ist längst Zeit, die Scheuklappen abzulegen. The Kids are allright. Oder besser gesagt: The kids are not allright, im besten Sinn.