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17. 12. 2014 - 13:35

Erbgut für alle

Molekularbiologen in Österreich wollen einen öffentlichen Dialog über die Genomsequenzierung führen. 20 Freiwillige können ihr Erbgut analysieren und veröffentlichen lassen.

Genom Austria ist ein Projekt des CeMM (Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien.

Bereits 500 Freiwillige haben sich für das im November gestartete Projekt Genom Austria angemeldet. Nächstes Jahr wird das Erbgut von 20 ausgewählten Personen sequenziert und dann anonymisiert im Internet zugänglich gemacht. Die Forscher wollen mit dem Projekt einen öffentlichen Dialog über die vielfältigen gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Aspekte der Genomsequenzierung anstoßen.

Giulio Superti-Furga ist der wissenschaftliche Direktor von Genom Austria. Er hat sich selbst als erste Versuchsperson zur Verfügung gestellt - sein Genom wurde bereits sequenziert und im Internet veröffentlicht. Ich habe Giulio Superti-Furga im CeMM-Forschungszentrum getroffen und interviewt.

Giulio Superti-Furga

CeMM

Giulio Superti-Furga

Was ist für Sie denn zur Zeit gerade das spannendste an der Molekularbiologie?

Die Molekularbiologie hilft uns zu verstehen, woraus wir gebaut sind. Wie unser Bauplan und unsere Identität zusammenkommen. Sie zeigt uns damit auch, wie wir zu besseren Menschen werden können.

1990 wurde das berühmte Humangenomprojekt gestartet, um das erste mal das Erbgut eines Menschen zu sequenzieren. Das hat dann bis 2001 gedauert. Wie lange dauert die Genomsequenzierung heutzutage?

Es hat sich wahnsinnig beschleunigt. Jetzt können wir in einer Woche das machen, was früher zehn Jahre gedauert hat - und auch die Geräte, die das können, sind jetzt viel kleiner und viel handlicher.

Auf der Website des „Genom Austria“-Projekts steht, dass sie zur „Entmystifizierung“ der Genomsequenzierung beitragen wollen. Inwiefern ist sie denn zum jetzigen Zeitpunkt mystifiziert?

Wir alle werden in den nächsten fünf, sechs oder zehn Jahren mit unserer Genomsequenz konfrontiert werden – insbesondere die FM4-Hörerinnen und –Hörer, denn die sind jung. Wir möchten, dass die Menschen sich vorher schon damit auseinandersetzen. Was möchten wir aus diesen Genen lesen? Was dürfen wir aus diesen Genen lesen? Was klappt, was klappt nicht? Dabei stellt sich heraus: Das ist einerseits sehr interessant, weil wir unsere Herkunft und sehr viel anderes daraus lesen können. Gleichzeitig ist es aber auch nicht das, was man sich vielleicht vorstellt, nämlich unglaubliche Geheimnisse. Es ist mehr wie eine neue Sprache, die wir erst einmal zu lesen lernen müssen. Wir müssen uns mündig und interessiert mit der Genomsequenzierung auseinandersetzen.

Woraus schließen Sie, dass alle Menschen – und besonders die jungen - in den nächsten Jahren mit der Sequenzierung ihres Genoms konfrontiert sein werden?

Alle möglichen diagnostischen Verfahren, die wir jetzt schon von Geburt an über uns ergehen lassen, werden sicher in irgendeiner Weise ersetzt durch die Genomsequenzierung - weil wir somit alle Erbanlagen, die zu Krankheiten beitragen können, ermitteln können. Das werden auch die Kinderärzte machen, damit sie Maßnahmen für die Gesundheit der Patienten treffen können. Ich glaube, kulturell werden sich alle damit auseinandersetzen müssen. Wer soll diese Information haben können? Was möchten wir daraus lesen können? Ist es wirklich nur eine Frage der Medizin, oder hat es auch mit Philosophie und Ethik zu zun?

Visualisierung Herkunft

CeMM

Beim „Genom Austria“-Projekt werden die Daten der untersuchten Personen mit deren Einverständnis öffentlich zugänglich gemacht. Was erwarten Sie sich davon konkret?

Achtung: Die komplette Datei des Genoms von Giulio Superti-Furga ist 152 Gigabyte groß!

Es ist sehr wichtig, dass die Veröffentlichung freiwillig ist. Mein eigenes Genom ist auf der Website des Projekts schon online. Ich stelle mir vor, dass es coole Leute gibt, die versuchen, aus dieser Information etwas herauszulesen. Es könnte sein, dass man Apps entwickelt, wie man Gene findet. Wir haben ja circa 23000 Gene – die sind alle unterschiedlich, jeder von uns ist ein Unikat. Was kann man daraus lesen? Ich glaube, da sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überfragt. Diese Frage hat auch mit Kunst zu tun, mit Musik. Denn die Identität des Menschen ist nicht nur eine Frage der Medizin. Das Genom ist wie ein molekularer Spiegel. Wer will sich in den Spiegel schauen, wenn man das darf? Wer soll das Spiegelbild nicht sehen? Diese Fragen sollten viele Menschen interessieren.

Auf ihrer Website steht unter anderem auch, dass sie durch Aufklärung die Sinnlosigkeit genetischer Diskriminierung aufzeigen wollen. Was meinen sie damit genau?

In der Vergangenheit hatten Menschen die Vorstellung, dass es Rassen gäbe - und dass es Rassen gäbe, die besser wären als andere. Wir wissen jetzt, dass das ein Mumpitz ist, weil wir unser Genom aus vielen verschiedenen Gegenden zusammengetragen haben. Die Leute, die aus Europa sind, kommen aus Afrika, und ihre Gene waren überall in Europa, vielleicht auch überall in der Welt. Die Vorstellung, dass man als Mensch nur eine Herkunft hätte, ist absurd. Ein anderes Beispiel dafür: Schwarzafrikaner haben sich nicht gemischt mit dem Neandertaler, während wir in Europa Mischlinge aus Homo Sapiens und Neandertaler sind. Das heißt, wir sind eigentlich schon von vornherein weniger „reinrassig“ - wenn man sich so einer absurden Terminologie bedient - als die Schwarzafrikaner. Schon das lässt die rassistische Einstellung gegenüber Schwarzen als sehr dumm erscheinen. Es gibt auch nicht den typischen Wiener oder den typischen Österreicher, sondern wir sind alle Mosaikmenschen.

Genom

CeMM

Der US-amerikanische Rassist Craig Cobb – blauäugig und in jüngeren Jahren blond - wurde voriges Jahr mit einem DNA-Test konfrontiert, der besagt, dass er zu 14% afrikanischer Herkunft ist. Er hat dieses Ergebnis als unseriös zurückgewiesen.

Es ist vor allem das blauäugig, blond und weißhäutig sein eine Mutation. Das ist nichts „ursprüngliches“, sondern eigentlich ein Verlust urprünglicher Eigenschaften. Sehr viele Vorurteile werden durch Wissen abgebaut. Und deshalb möchten wir auch, dass sich junge Leute mit diesem Thema auseinandersetzen, etwa in den Schulen.

In welcher Form wird das Genom der Teilnehmer an Ihrem Projekt veröffentlicht?

Es gibt Dateien, die man herunterladen kann – in verschiedenen Formaten. Es gibt eine Datei mit der ganzen Sequenz, es gibt Dateien mit bestimmten Merkmalen. Es gibt auch ein Visualisierungstool.
Es ist sehr komplexe Information, es handelt sich ja um drei Milliarden DNA-Basenpaare. Ausgedruckt wären das 200 dicke Telefonbücher. Man kann noch viele interessante Methoden entwickelt, wie sich diese komplexe Information zusammenfassen lässt. Da braucht man sehr viel Kreativität und viele neue Ideen.

Was interessiert Sie selbst an den Informationen aus der Genomsequenzierung am meisten?

Aus wissenschaftlicher Sicht bin ich sehr interessiert an der Fähigkeit, Wirkstoffe aufzunehmen und zu metabolisieren. Wie gehen wir im chemischen Austausch mit der Umwelt um? Denn da sind wir sehr unterschiedlich. Es gibt Menschen, die ganz anders reagieren auf Medizin, auf Alkohol, Koffein oder Nikotin. Mich interessiert aber auch die Herkunft meiner eigenen Gene, meiner Vorfahren. Wie verwandt bin ich mit anderen Menschen und wie inspiriert mich das? Wie gehören die Menschen auf globaler Ebene zusammen und welche Ähnlichkeiten gibt es mit Tieren?

Nun kann man sich also freiwillig zur Teilnehme an „Genom Austria“ melden. Warum gibt es eigentlich nur 20 Plätze?

Weil wir nicht das Geld haben, um mehr zu sequenzieren. Aber zunächst einmal reicht das auch, um ein Kulturprojekt zu starten. Bisher haben sich 500 Interessierte angemeldet. Ich bin sicher, dass es noch weit mehr werden. Ich hoffe auf viel öffentliche Aufmerksamkeit für das Projekt – und vielleicht ergibt sich später die Möglichkeit, mehr Genome zu sequenzieren. Wir glauben aber nicht, dass wir alle Menschen sequenzieren müssen, sondern dass es darum geht, Beispiele zu schaffen, um anhand dieser Beispiele in den Schulen, in den Hochschulen und auch im Kaffeehaus darüber diskutieren zu können.