Erstellt am: 16. 12. 2014 - 18:39 Uhr
"Der Zeigefinger muss weg"
Bettina Weidinger
Bettina Weidinger ist pädagogische Leiterin des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik, Sozialarbeiterin, Sexualpädagogin und Sexualtherapeutin
Alle reden über Safer Sex – aber wer macht ihn, wenn's darauf ankommt, wirklich sicher? Ist Verhütung in Österreich zu teuer? "64% der Jugendlichen sprachen sich für billigere Verhütungsmittel aus. Hier liegt offenbar ein großer Bedarf vor", sagt die Umfrage "RDN WR KLRSEX" der Bundesjugendvertretung. Wir haben mit der Sexualpädagogin Bettina Weidinger gesprochen.
Können Sie dieses Ergebnis aus dem Feedback bzgl. billigeren Verhütungsmitteln von Jugendlichen bestätigen?
Ja, das entspricht auch der Praxis. Aber da gibt es unterschiedliche Aspekte. Da ist zum einen der finanzielle Teil, dass es nicht für alle möglich ist, sich Verhütungsmittel zu leisten. Der andere Teil betrifft die Zugänglichkeit grundsätzlich. Hormonelle Verhütungsmittel sind in Österreich verschreibungspflichtig, und es ist nicht für alle Jugendlichen so einfach, sich mit einem Arzt oder einer Ärztin einen Termin auszumachen, den wahrzunehmen und mit dem Rezept dann in die Apotheke zu gehen. Es sind viele Schwellen dazwischen gelegt, um zu einem Verrhütungsmittel zu kommen.
Was sind das konkret für Schwellen?
Zum Beispiel: eine junge Frau möchte die Pille verschrieben bekommen, da muss sie sich mit einer Frauenärztin einen Termin ausmachen. Sie braucht ihre E-Card. Es gibt viele Familien, wo es üblich ist, dass die Eltern die E-Card hüten. Selbst, wenn sie sie bei sich hat: irgendwann fällt es auf, dass sie einen Arztbesuch gemacht hat, den sie möglicher Weise nicht besprochen hat. Und wenn sie das jetzt alles schafft, dann gibt's immer noch die Preisschwelle, aber vor allem: sie muss in die Apotheke gehen. Jetzt ist das möglicherweise in Wien ein bisschen leichter, in einer Kleinstadt schaut das schon anders aus. Das heißt, es ist fast nicht möglich, mit einem Rezept, auf dem mein Name draufsteht, mir ohne, dass es andere erfahren, ein Verhütungsmittel zu holen. Da wäre es doch zum Beispiel ganz fein, wenn sie das Verhütungsmittel auch direkt in der Arztpraxis bekommen könnten. Und auch beim Kondom, da kann es auch für einen jungen Mann eine Frage sein: Wo kann er es kaufen? Ohne dass Leute, die er aus dem täglichen Leben kennt, weil er dort häufiger einkaufen geht, wissen: er kauft Kondome.
Bundesjugendvertretung
Jetzt könnte man ja glauben, dass junge Menschen im Zeitalter von Youporn und Sexualkundeunterricht in der Schule eh so aufgeklärt sind, dass die Schamschwelle da keine Rolle mehr spielen dürfte.
Naja, Youporn schafft ja keine Information und schon gar kein Kommunikationstraining. Zumindest wäre das an mir vorbei gegangen (lacht). Was Sexualpädagogik in der Schule hoffentlich schon schafft, ist eine Möglichkeit, über Sexualität zu kommunizieren. Aber dass es überhaupt Sexualpädagogik als extra Workshop-Angebot braucht, ist ja schon ein Zeichen, dass das Thema sehr speziell ist. Und da es keine Normalisierung in der Kommunikation gibt, gibt's entweder eine sehr oberflächliche, manchmal auch extremere Kommunikation, oder gar keine. Aber dass alle Menschen sexuelle Bedürfnisse haben und diese halt leben oder nicht und dass es möglicherweise einen Bedarf an Verhütungsmitteln gibt, das ist nicht so normal würde ich sagen.
Jugendliche sind heute ja sehr gut aufgeklärt, wissen, wie man ein Kondom verwendet und warum. Aber wenden sie das Wissen auch an? Oder klaffen Theorie und Praxis Ihrer Erfahrung nach auseinander?
Das wäre genau das, was in meinen Augen Sexualpädagogik leisten muss, also, nicht nur zu erklären wie man ein Kondom drüberrollt, das wissen meiner Erfahrung nach 100% aller Jugendlichen. Das, woran's hakt, ist: Gibt er es zu früh drauf? Dann könnte die Reaktion der anderen Person sein: "Kannst du dich nicht ein bisschen gedulden?" Oder er gibt's zu spät drauf, dann ist er vielleicht verantwortungslos. Das heißt, der Grat des Richtigmachens ist sehr schmal, gerade beim Kondom führt das immer wieder zu einem Weglassen. Diese Situationen gehören besprochen, also es geht auch darum, über Ängste und mögliche Fehlerquellen zu sprechen. Die theoretische Information ist sehr hoch, doch das Wissen: Was tue ich dann real, das ist relativ gering.
Haben Sie das Gefühl, dass die Information über Geschlechtskrankheiten und Safer Sex Jugendliche eher abschreckt, über Sexualität zu sprechen?
Es passiert immer wieder, dass zum Thema Sexualität ein Powerpoint-Vortrag kommt, möglicherweise noch mit Fotos über Geschlechtskrankheiten. Da funktionieren Jugendliche genauso wie Erwachsene: Sie schalten ab, weil's einfach langweilig ist, sie haben den Eindruck, das hat mit mir gar nix zu tun, weil der Vortrag keine Einbettung in die Lebenswelt liefert. Es ist eher schwierig zu sagen: Weil etwas so bedrohlich und schrecklich ist, motiviert mich das jetzt wahnsinnig, mich um meine Gesundheit zu kümmern. Das ist gut vergleichbar mit dem Rauchen. Das ist etwas, was ich sehr schade finde: In Österreich ist das Gespräch über Sexualität häufig sehr schwer, tabubesetzt und mit vielen Drohungen vermischt. Stattdessen wäre es gut, ein lustvolles, positives Gespräch, eingebettet in die Lebenswelt, zu führen. Denn dann wäre es ganz logisch, auch über Verhütung und Krankheiten zu sprechen, denn das ist nun mal ein Thema, das dazugehört. Aber das müsste nicht unbedingt mit dem drohenden Zeigefinger und auch nicht der mitschwingenden Moral vermittelt werden.
FM4 Auf Laut
Wie hältst du es mit Safer Sex? Und wie leicht kommst du an Verhütungsmittel? Anrufen, Fragen stellen und mitdiskutieren kann man heute ab 21 Uhr in FM4 Auf Laut mit Rainer Springenschmid: 0800 226 996 ist die Nummer ins Studio.