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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 12. 2014 - 21:27

The daily Blumenau. Friday Edition, 12-12-14.

Begriffe, die dringend eine Neudefinition brauchen. Heute: die Klientelpolitik und die Einzeltäter-Theorie.

The daily blumenau hat Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst.
Und bietet Items aus diesen Themenfeldern.

#machtpolitik #demokratiepolitik

1: Klientelpolitik als Maß-Einheit des Versagens

Es war heute in der Gratis-Zeitung, dessen Herausgeberin zum Geburtstag immer direkt aus dem Bundeskanzleramt einen extraschönen Blumenstrauß ins traute Heim geliefert bekommt. Dort wurde ganz simpel aufgelistet, was die Lohnsteuer-Senkungs-Modelle der SPÖ bzw. der ÖVP für Lohnsteuer-Empfänger bedeutet. Bis in die Zweihunderter-Stufen runter.
Wie gesagt, es geht um Lohnsteuerpflichtige, also Einkommensbezieher, bei denen der Trickser-Rahmen eher bescheiden ist; nicht Einkommensteuerzahler, keine Selbstständigen, keine Berufserben. Da ist wenig an Ausnahmen, Vergünstigungen, Rückholungen, Abschreibungen etc. möglich. Da zählt netto für netto.

Das Resultat ist übersichtlich: die ÖVP will alle recht gleich entlasten, auch die mit über 8.000 Euro brutto im Monat, die SPÖ setzt ihren Schwerpunkt in der Mitte und will den Besserverdienern nicht so viel an Reduzierung zugestehen. Relativ gesehen, absolut sehr wohl.

Mir ist niemand mit einem Lohnsteuer-Brutto-Einkommen von über 6.000 oder 7.000 Flocken bekannt, der ein ehrliches Problem damit hätte, in Relation weniger entlastet zu werden als die, die deutlich weniger verdienen. Weil es relativ nicht so ins Gewicht fällt.

Es war ebenfalls heute in der Zeitung, die von zunehmend grummeliger werdenden Medien-Größen immer offener als VP-Parteiblatt bezeichnet wird. Dort konnte man trotz doppeltem SP-Cover-Bashing (eine Breitseite gegen den nächsten Kanzlerkandidaten, eine Watschn für den nächsten Präsidentschaftskandidaten) nicht anders, als das SP-Modell als größere Entlastung für den Bürger zu bezeichnen.

Warum die ÖVP ihre ehernen Prinzipien als sture Vertretung der Besserverdienenden-Interessen über diesen gesunden Menschenverstand der angepeilten Klientel stellt, entzieht sich jeder Logik.

Wie es die Klientel-Politik per se ja auch zunehmend tut. Die wenigen fassbaren Klientele, die sich noch lohnen, sind eh verteilt. Die große Masse der Arbeiter-Pensionisten werden SP-treu bleiben, die Besserverdiener VP-treu, komme was wolle. Wirklich wichtig in so einem Steuerpaket sind die Auslassungen für Schlupflöcher, in denen Vorteile versteckt sind, und nicht die Lohnsteuer-Groschen.

Unter dem Neuen, Retter Mitterlehner, ist die VP-Linie zwar deutlich weniger kerzerlschluckend und altbacken-ideologisch - in die Grundfesten vorgedrungen ist der Reformgeist 2.0 aber nicht. Dabei wäre ein gewagtes Lohnsteuer-Konzept, das den Koalitionspartner auf der Seite, die er für links hält, überholt (was, weil wir uns in echt auf der Mittelspur befinden, gar kein Problem darstellen würde; und was die SP in Grundfesten, die auch die gewogene Presse nur schwer entgegnen würden, erschüttern könnte) nur ein Klacks.

2: Einzeltäter als Fixstarter bei rechtsextremen Verbrechen

Der immer noch andauernde Prozeß um die Neonazi-Verbrecher der sogenannten NSU ist noch auf dem Weg, da taucht ein eng verwandter Geist aus der jüngeren Vergangenheit auf und lässt unangenehme Fragen aufpoppen: das Attentat aufs Münchner Oktoberfest 1980, immer schon mit großen Zweifel an der grobmaschigen Aufklärung versehen, steht heute im Fokus - nicht nur von Recherchen der Süddeutschen Zeitung.

Zentraler Punkt: Zweifel an der Einzeltäter-These. Es steht womöglich doch ein Neonazi-Netzwerk hinter der Bombe, die 13 Menschen tötete, zumindest tauchen immer mehr eindeutig zuordenbare Figuren auf.

1980, in den Ausläufern des deutschen Herbstes, der den Feind linkslinks in den pervertierten RAF-Generationen sah, gab es für die Annahme, es könnte sich eine rechtsextreme Szene entwickelt haben, schlicht keinen Nährboden. Diese seitdem kaum geänderte Denkart hat ja auch die Verfassungsschutz-Katastrophe im Fall der NSU nach sich gezogen.

Und selbst im herbsttechnisch kaum beleckten Österreich tut man sich immer dann, wenn Gewalt aus der Neonazi- oder der rechtsextrem-nationalen Ecke kommt, schwer mit dem Zugeständnis der Existenz von Hintermenschen. Franz Fuchs, die lächerliche Austro-Version eines Breivik, trotzdem ein bösartiger Mörder, gilt etwa bis heute als Einzeltäter.

Wenn zeitgleich irgendein Strommast gesprengt wird, dann waren nicht ein paar verwirrte Linke einzelne Täter - es standen immer gleich ein paar Jusos oder Grüne oder sonst leicht anzupatzende Leute bereit.

Der Einzeltäter ist ein Phänomen, das offenbar ein Monopol auf rechtsextreme Hintergründe hat. Auch und vor allem in den von entsprechender Vergangenheit belasteten Staaten.

Wenn nun in einem ganz anderen, unpolitischen Bereich auch recht schnell und taxfrei der Einzeltäter ausgerufen wird; wenn nun Menschen aus dem System, aus Polizei, Justiz, Politik, die um die schnelle Zurhandnahme des praktischen Einzeltätertums Bescheid wissen; wenn nun in vergleichbaren ausländischen Fällen (nicht nur bei Dutroux, sondern aktuell auch in England) pädophile Klüngel durch Mächtige gedeckt werden ...
... dann kann ich zumindest die Irrungen und Wirrungen jener, die um die Zweifelhaftigkeit der Vorgangsweisen Bescheid wissen, die sich auf der Suche nach dem, was hinter als Einzeltätern Abgehakten stehen könnte, die Finger verbrennen und sich an ihren Ämtern vergehen, nicht gutheißen, aber den Ausgangspunkt verstehen.

Denn selbst wenn es sich dann tatsächlich um einen echten Einzeltäter handeln sollte: die (vor allem jüngere) Geschichte der zu vorschnell durch diese bequeme Praxis verhinderten Untersuchungen sollte Grund genug sein, mehr als genau hinzusehen, wenn wieder einmal was passiert, um mit Wolf Haas zu sprechen.