Erstellt am: 12. 12. 2014 - 17:20 Uhr
Typographically directed by ...
Rowohlt Verlag
Der Beruf des Schriftsetzers ist mit dem Offset-Druck, spätestens aber mit der Einführung des Digitaldrucks und der Computer-Layoutierung ausgestorben. In Ostdeutschland wurden noch bis etwa 1990 Schriftsetzer ausgebildet, ein Lehrberuf, der einem einiges abverlangt hat. Kreativität, Augenmaß, technisches Verständnis und Kraft. Händisch wurden mit bleiernen Lettern Buchstaben um Buchstaben einer Seite arrangiert, bevor sie mit schweren Druckplatten auf Papier gedruckt wurden, fast so wie in der guten, alten Gutenberg-Zeit.
Martin Z. Schröder beherrscht die Schriftsetzerei noch heute und kann den Texten von Max Goldt viel abgewinnen. 1988 hat er sich als Wehrdienst-Leistender in die Ostberliner Samariter-Kirche geschlichen, ohne Erlaubnis seiner Kaserne, um bei einer Max Goldt-Lesung dabei sein zu können. 1996 schrieb er dem Titanic-Kolumnisten und Musiker (und nunmehrigen Schreiber der Katz & Goldt-Cartoons) einen Brief mit der Bitte, einige seiner Texte in der Werkstatt seiner Berliner Wohnung auf Postkarten drucken zu dürfen. Nach einem Treffen stand fest: Die beiden müssen zusammenarbeiten.
Man beachte, wie liebevoll die Wiener Wochenzeitung "Falter" in diesem Video hindrappiert wurde...
Seit 1998 gestaltet Martin Z. Schröder in mühsamer Handarbeit vier kleine Büchlein mit Goldt-Texten. Je länger die Zusammenarbeit währt, desto stärker wird auch das Vertrauen in den Schriftsetzer. Max Goldt schreibt sogar eigene Texte für Martin Z. Schröder, der durch das Arrangement der Buchstaben, der Auswahl der Schriftarten, den Hervorhebungen und zum Teil spiralförmigen Anordung eine eigene Interpretation der oftmals dadistischen Goldt-Werke schafft. Eines der Büchlein trägt sogar den stolzen Untertitel "typographically directed by Martin Z. Schröder". Den Arbeitsprozess dokumentiert Schröder ausführlich in seinem Blog.
Die Büchlein sind nur in einer Auflage von wenigen hundert Exemplaren erschienen und damit einem ausgewählten Leserkreis vorbehalten. "Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken" setzt dem nun ein Ende und veröffentlicht die vier Bücher nochmal als Faksimile, also als Fotokopie. Sie heißen "Atlas van de nieuwe Nederlandse vleermuizen", "Nackt in einem Märchenschloß voll wirklich schlechter Menschen", "Sind wir denn nur in Cordbettwäsche etwas wert?" und "Ein gelbes Plastikthermometer in Form einen roten Plastikfisches". In gewohnt-gediegener Sprache karikiert Max Goldt hierbei den Alltag, driftet in Nebensächlichkeiten ab, übertreibt bis ins Absurde und ist politisch inkorrekt. Das Altmodische wird liebevoll in die Auslage gestellt, das Hinterfragen überlässt Max Goldt den Lesenden. Auch der ein oder andere Altherrenwitz lässt sich in Max Goldt-Manier vorfinden. Kostprobe? Kostprobe!
Warum ein Mann 80 werden sollte
Mit 30 blickt man am Pissoir an einem straffen Leib herunter. Mit 40 kann man wegen des dick gewordenen Bauches seinen Penis nicht mehr sehen. Mit 50 kann man wegen des Herrenbusens seinen Bauch nicht mehr sehen. Mit 60 kann man aufgrund seines Doppelkinns seinen Busen nicht mehr sehen. Mit 70 kann man wegen seiner Tränensäcke sein Doppelkinn nicht mehr sehen. Mit 80 kriegt man, statistisch gesehen zumindest, Krebs, wird dünner und sieht wieder alles.
Rowohlt Verlag, Max Goldt und Martin Z. Schröder
Nun könnte man Max Goldt wieder einmal Wiederverwertung vorwerfen, und statt der Faksimile bevorzugen bibliophile LeserInnen natürlich die handgepressten, meist vergriffenen Originalwerke. Aber ein schönes Weihnachtsgeschenk für Menschen mit (kompatiblem) Sinn für Humor ist "Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken" allemal.